Archiv für den Monat Februar 2008

Kabarett ist Liebe

Ja, klingt komisch, ist es eigentlich auch. Der eigentliche Grund für die kranke Überschrift ist der Titel von Hagen Rethers Programm, das heißt nämlich „Liebe“. Davon gibt es inzwischen schon zwei Aufzeichnungen bei WortArt, die zweite ist hier (http://www.media-mania.de/index.php?action=rezi&id=8273) rezensiert, und das auch noch von mir …

Aber nur um eine sinnfreie Werbung für eine Rezension zu machen, schreibe ich den Blog ja nicht weiter … also philosophiere ich ja doch lieber über den Titel dieser Aussage: Kabarett ist Liebe … Jetzt kann man durchaus mit einem gewissen Recht meinen, dass Kabarettisten Geld verdienen wollen, die Inhalte und der Humor so zusammengebastelt werden, dass sie möglichst viele Zuschauer anziehen, es letztlich also nur um die möglichst große Provokation geht, oder um die politisch (un-)korrekteste Meinungsäußerung. Aber das würde bedingen, dass Kunst, und auch Kabarett ist ja eine, ohne Leidenschaft funktionieren kann. Und das ist etwas, was ich nicht glauben will, und was ich nicht glauben kann.

Ich denke, dass jede Hervorbringung, die man in irgendeiner Weise zur Kunst zählen kann, zwingend mit Leidenschaft, mit Aufbietung von Kraft verbunden ist. Wann immer das nicht gegeben ist, funktioniert Kunst nicht, wann immer nur auf Geld geschielt wird, wann immer das Herzblut versiegt, wann immer es die Liebe nicht hat, wird es eben zu tönendem Erz – im biblischen Zusammenhang habe ich das nie so richtig verstanden, in der Kunst passt das aber total, finde ich …

Beim Kabarett geht es gleich in mehreren Belangen um Liebe. Denn erstens muss der Kabarettist natürlich Liebe zu seinem Fach empfinden, Liebe zum Wort, zur Wortspielerei, zur gut gesetzten Pointe. Dann braucht er auch dringend Liebe zum Publikum, denn ohne die funktioniert gar keine Kunst. Kunst ohne Liebe zum Publikum ist Onanie.

Aber vor allem braucht der Kabarettist – wie jeder Satiriker – eine ordentliche Portion Liebe zur Welt im Allgemeinen. Warum? Na, weil er versucht, die Welt zu verbessern. Ist doch klar, er prangert Missstände an, weil er darauf aufmerksam machen will. Hagen Rether setzt das in den Gegensatz zur Kirche: „Aufklärung statt Verklärung“

So viel Liebe bringen nicht viele auf, und alle, die über Kabarettisten schimpfen, weil die unangenehme Wahrheiten verbreiten, sollen sich schämen – aber das tun sie ja schon, denn nur aus Scham, weil man ihnen den Spiegel vorzeigt, schimpfen sie ja.

Hm, eigentlich hatte ich ja mit Hagen Rether, dem Piano Man des Kabarett, diesen kleinen Artikel angefangen, und jetzt hatte der damit gar nicht so viel zu tun, oder? Na, doch, schon, denn der große Spötter aus Essen – „und dann fährst du nach Essen rein und denkst dir, boah, wenn so Essen aussieht, wie sieht dann Kotzen aus?“ – hat „Liebe“ nicht nur zum Titel seines Programms gemacht, er ist gerade die Verkörperung der oben gewünschten kabarettistischen Liebe.

Blutiger Barbier Benjamin Barker

Hach, ich liebe Alliterationen … aber bevor Sweeney Todd in den Mittelpunkt meiner Gedanken rückt, ein winziger politischer Kommentar und Gruß nach Hessen:

Eine Mehrheit ist eine Mehrheit ist eine Mehrheit.

(… und es wäre ein Genuss, Roland Koch abgewählt zu sehen … wer so sehr Ängste schürt und Menschen diskriminiert, hat in der Politik nichts verloren …)

So, gestern Abend habe ich nun das Kino meines Vertrauens aufgesucht und ein Sondheim-Musical in düsterer Verfilmung genießen können. Tim Burton hat einen für ihn typischen märchenhaft überzeichneten Stil genutzt, um eines der bekannteren Sondheim-Musicals in Film zu gießen. Dass ihm dazu mit Johnny Depp, Helena Bonham Carter und Alan Rickman ein wirklich beneidenswertes Ensemble in die Hände fiel, ist auch nicht unbedingt schlecht für den Film, denn diese Darsteller schaffen ein intensives Zusammenspiel – und können auch noch alle singen. Besonders die oft kraftvolle Baritonstimme Depps lässt den Zuschauer auch noch einige Zeit nach dem Film nicht so richtig los.

Die Bilder sind eh großes Kino, das kennt man bei Burton nicht anders, die Geschichte ist schlicht und der Humor schwärzestens. Und die Musik? Tja, die Musik ist keine Webber-Schmalzstulle und auch kein semiklassisches Gewitter, wie das Boublil/Schönberg auf die geneigten Höreröhrchen loslassen. Sondheim schreibt komplex und oft synkopisch, lässt hier und da auch mal eine Harmonie in eine andere krachen, übersetzt die Gefühle der Rollen in Musik. Das „Pretty Women“-Duett von Richter und Barbier ist Musiktheater vom Allerfeinsten, und die Worte sind ja auch nicht zu verachten, zum Beispiel in der bösen Entdeckung, dass man aus Menschenfleisch gar herrliche Pasteten machen kann, in der es so wunderbare Wortspiele und Reime gibt …

Aber das kostet natürlich Zuschauer. Musical ist ja nicht gerade die populärste Filmgattung, und dann auch noch ein musikalisch so anspruchsvolles Stück wird nicht viel Begeisterung erfahren. Der erfahrene Musikhörer wird die Kraft und Qualität dieses Musicals aber wirklich genießen können.

Viele, die sich sonst nur von Hitparadeneinerlei berieseln lassen, werden wegen Johnny Depp und/oder Tim Burton diesen Film sehen wollen, manche werden die Ohren auf Durchzug schalten und sich einfach nur an Bildern und Humor delektieren, manche mögen etwas entdecken, was sie noch nicht kennen. Das freut mich … wirklich, finde ich richtig gut …