Archiv für den Monat März 2008

Wellenbrecher nach vorn

Nach dem sehr witzigen und dennoch durchaus gefühlvollen „Keinohrhasen“ ist schon wieder ein deutscher Film im Kino zu sehen, den man unbedingt sehen sollte und der jeden Erfolg verdient. Ich spreche – man könnte es am Titel schon bemerkt haben – von „Die Welle“.Die Geschichte sollte prinzipiell ja fast jeder aus der Schule kennen, ein Lehrer macht ein Projekt zum Thema Faschismus – genauer hier „Autokratie“ – und aus dem Projekt wird ein Experiment, er gründet mit seinen Schülern eine Bewegung, die sich über den Kurs hinaus ausbreitet und bald die ganze Stadt beeinflusst.

Der Film glänzt mit guten jungen Schauspielern, einem eh glänzenden Jürgen Vogel, und einer Verdichtung der Geschichte, die sich actionreich und spannend erzählt wird, die nicht allzu sehr in den Kitsch abdriftet – ein bisschen muss natürlich sein – und vor allem ein faszinierend gut geschriebenes Ende, dass auch nach dem Lesen des Buches einigermaßen überraschend daher kommt.

Aber jetzt wollte ich eigentlich keine Rezension zum Film schreiben, sondern eigentlich den Trick beschreiben, über den der Film bei mir am stärksten funktioniert hat. Man identifiziert sich ja mit den Figuren des Films, wenn das nicht ginge, wäre der Film ein schlechter. Und interessanterweise sind es die Leute, die der Welle kritisch gegenüber stehen, die irgendwie nicht so richtig sympathisch rüberkommen, die man genauso als Quälgeister empfindet, wie das offenkundig auch die Mitglieder der Welle tun. Man spürt, wie man diese Gemeinschaft irgendwie spannend empfindet, wie man Marco – einer der Hauptfiguren, dessen Freundin im Gegensatz zu ihm die Welle vom dritten Tag an ablehnt – gönnt, dass er mit einem Mädel aus der Welle rummacht, während die Freundin einen auf Sophie Scholl macht und Flugblätter verteilt – die postwendend von den Welle-Mitgliedern wieder eingesammelt werden.

Kurz: Man sympathisiert mit der Welle, und immer wieder spürt man die Gänsehaut, wenn man diese Sympathie registriert. Eigentlich steht ja fest: Ich bin aufgeklärt, mir könnte das nicht passieren, ich bin doch Freidenker, usw. und doch ist da diese Sympathie, und die macht mir Angst, und deswegen konnte mich der Film so gefangen nehmen. Etwas, was viel zu selten passiert. Ich möchte, dass mich mehr Filme atemlos machen.

They call it „Wahn“ – Über Stephen King und sein neues Buch

Ich steh auf Stephen King, ich lese ihn seit ich zwölf war und habe fast alles gelesen, was er je geschrieben hat. Dann ist es natürlich immer eine Freude, wenn es einen neuen King gibt – und den neuesten, der den seltsamen und sinnlosen Namen „Wahn“ trägt, habe ich inzwischen gelesen, und ganz nebenbei auch rezensiert: http://www.media-mania.de/index.php?action=rezi&id=8486. Von hier ab werde ich das Buch „Duma Key“ nennen, also den Originaltitel verwenden. Allerdings werde ich weniger zum Buch selbst sagen, denn dafür kann man problemlos die Rezension lesen, als eine dieser kleinen schönen Entdeckungen erzählen, die man in diesem Buch machen kann.

Wie das durchaus nicht selten zu lesen ist, gibt es auch bei diesem Roman ein vorangestelltes Zitat. In diesem Fall von einer Band namens Shark Puppy, die im Jahre 1986 ein Lied veröffentlichten, ein Lied mit dem Titel „Dig“, geschrieben von W. Denbrough und R. Tozier. Shark Puppy gibt es allerdings nicht, und hat es auch nie gegeben. Die Herren Denbrough und Tozier sind Figuren aus dem King-Klassiker „Es“, und da William „Stotter-Bill“ Denbrough Schriftsteller ist, und  Richie „Vierauge“ Tozier DJ passt das sogar irgendwie. Der schöne Gag für den erfahrenen King-Leser ist allerdings nicht nur die höchst offiziell aussehende Urheberrechtsvermerk, es gibt noch eine kleine weitere Verbidung, allerdings zu einem anderen Roman. Im anderen ganz großen Werk von King, nämlich „The Stand“, hat Larry Underwood einen kleinen Hit bevor Captain Trips alle Hitparaden beendet, und dieses Lied heißt „Baby can you dig your man?“ – man kann da von Zufall reden, ich mach das mal nicht.

King ist bekannt für seine Querverbindungen, die oft gar nicht so sehr motiviert scheinen, aber einfach für viele King-Leser auch das Salz in der Suppe. Ein paar Beispiele gefällig?

Dick Hallorann, der Koch aus „The Shining“, kommt auch in einer Nebenepisode aus „Es“ vor. Ds Städtchen Castle Rock, nicht weit von Derry („Es“/“Schlaflos“/“Dreamcatcher“) gelegen, ist Ort von etwa zehn weiteren Romanen und Geschichten, unter anderem vom wunderbar bösen „Needful Things“ und „The Body“, dessen meisterhafte Verfilmung von Rob Reiner unter dem Titel „Stand by me – Geheimnis eines Sommers“ bekannt wurde. Natürlich kommt auch der ewige Feind Randall Flagg in mehreren Romanen vor, alles nette Beispiele.

Und in „Duma Key“? – Na ja, die üblichen wiederkehrenden Charaktere und Orte sind erst mal weit weg, denn Duma Key ist eine Insel vor Florida, und der Großteil von Kings Geschichten spielt sonst in Maine, was leicht nördlich liegt. Aber schau an, der Hauptcharakter heißt Freemantle, genau wie Mutter Abagail aus „The Stand“. Und es ist sicherlich auch kein Zufall, wenn er sich einen „Revolvermann der Kunst“ nennt – das deutet ja fast gar nicht auf den „Dark Tower“-Zyklus hin.

Stephen King sorgt mal mehr und mal weniger dafür, dass seine Romane miteinander verbunden sind. Und für den langjährigen Leser sind diese Verbindungen oft nichts anderes als zufällige – na ja, so zufällig ja jetzt eigentlich nicht – Begegnungen mit guten alten Freunden. Natürlich sucht man auch danach, freut sich über jeden Fund. Auf der anderen Seite ist das natürlich ein Nebenschauplatz, die Geschichte ist wichtig, und man kann sagen was man will, King gehört zu den Autoren, die meisterhaft ihren Geschichten dienen. Die Querverbindungen dienen den Geschichten nicht, sondern den Lesern – ist ja auch nicht das Schlechteste.

Zu Stephen King ist noch lange nicht alles geschrieben, ein weiteres Häppchen bald hier.

Edelweißpiraten – der jugendliche Widerstand im Dritten Reich

Schließ Aug und Ohr für eine Weil vor dem Getös der Zeit

Du heilst es nicht und hast kein Heil, als wo dein Herz sich weiht.

Dein Amt ist hüten, harren, sehn im Tag die Ewigkeit.

Du bist schon so im Weltgeschehen befangen und befreit.

Die Stunde kommt da man dich braucht. Dann sei du ganz bereit.

Und in das Feuer, das verraucht, wirf dich als letztes Scheit

(Friedrich Gundolf)

Ich hab eben irgendwo mitbekommen, dass der Film „Edelweißpiraten“ die Tage auch mal im Fernsehen kommt. Ist für mich ein Grund, mal etwas darüber in meinen Blog zu schrieben, denn ich kenn mich ein bisschen mit dem Thema aus, und ich finde, dass es viel zu wenig im Netz darüber zu lesen gibt.

Der Name „Edelweißpiraten“ ist einer von vielen Namen für eine Bewegung, die sich in den Großstädten der Nazizeit gegen die Obrigkeit wandten. Mehrere „Generationen“ – die ja in Jugendbewegungen sehr kurz sind, also bestenfalls vier Jahre – sogenannter bündischer Jugendlicher kämpften gegen die Vereinnahmung durch die HJ – die teilweise die gleichen Lieder sangen – und wurden im Krieg so politisch, dass sie Juden versteckten, Zwangsarbeiter mit Essen versorgten und jede Menge Parolen und Flugblätter den Menschen zum Lesen gaben, die leider nur zu selten lesen wollten. Als es hart auf hart ging, kamen auch ein paar Nazischergen um, von jungen Edelweißpiraten erschossen. Das Regime schlug zurück und henkte eine ganze Gruppe junger Leute, deren jüngste Mitglieder gerade mal sechzehn Jahre alt waren. Tatort war Köln-Ehrenfeld.

Ganz nebenbei, die anerkannte Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“, die so gerne von Konservativen, von Gebildeten und der medialen Öffentlichkeit in den Vordergrund gespielt werden, kamen auch aus der bündischen Jugend, Hans Scholl war Mitglied von d.j.1.11, einer großen bündischen Jungenschaft, die wie viele andere auch bei der Gleichschaltung verboten wurde. Allerdings waren die Scholls und ihre Freunde Studenten, gebildete junge Leute, und ein Professor wurde ebenfalls vom Regime hingerichtet. Das kommt natürlich gut. Die jungen Edelweißpiraten kamen aus der Arbeiterschicht, waren nicht gebildet und wurden von der Gestapo zu Kriminellen gemacht. Nach dem Krieg waren die gleichen Leute in den Ämtern verantwortlich, die es auch während des Krieges waren. Und man glaubte natürlich den Beamten eher, als den jungen Leuten, die ja schon mal rechtskräftig verurteilt waren. Einer der hingerichteten Jungen – Bartholomäus „Barthel“ Schink, sechzehn Jahre – bekam früher seinen Stein in Yad Vashem, wurde einer der Gerechten unter den Völkern – was verdammt noch mal zu wenige Deutsche verdienten – als das er vom deutschen Staat als Verfolgter des Naziregimes anerkannt wurde, als das Todesurteil offiziell zurückgenommen wurde.

Die Jugendlichen, deren größte Zentren die Rhein-Ruhr-Region und Berlin waren, und deren Taten in Köln am bekanntesten wurden, gehörten also der bündischen Jugend an, lasen Karl May, sangen zur Klampfe ihre Lieder, zogen sich bunt an und waren streng gemischt unterwegs – ganz im Gegensatz zur Hitlerjugend, wo es ganz strikte Geschlechtertrennung gab. Schon in den dreißiger Jahren hatten die bündischen Gruppen, die sich Latscher nannten, oder Navajos oder Nerother, viel Stress mit den HJ-lern, und oft gab es gegenseitig kräftige Prügel. Richtig politisch war das nicht, die Bündischen wollten vor allem in Ruhe gelassen werden. Ein bis zwei „Generationen“ später wurde das anders. Als Zwangsarbeiter überall in den Industrieregionen verhungerten, als die Juden deportiert wurden, als die Jugendlichen das Ausmaß der Verbrechen – und ich meine hier allein die Verbrechen, die jeder hätte sehen können, die haben ja prinzipiell schon gereicht – da versuchten diese Jugendlichen, die von irgendwoher den übergreifenden Namen „Edelweißpiraten“ bekamen, etwas zu unternehmen. In Köln gab es unter anderem ein paar spektakuläre Aktionen, zum Beispiel entgleiste einmal ein Zug, zum Beispiel flogen mal Flugblätter aus der Kuppel des Hauptbahnhofs.

Die Jugendlichen haben damals ihre Hinterteile aufgerissen, um für die Freiheit zu kämpfen. Sie haben abenteuerlich gelebt, dieses Leben geliebt und sind reihenweise in Strafkompanien an der Front verreckt. Und die Überlebenden haben nach dem Krieg keinen Dank gehört, sie wurden verschrieen und viele von ihnen haben sich verleugnen müssen. Nur wenige haben ihre Fahrtennamen stolz getragen, nur wenige haben ihre Geschichte erzählt. Jede Geschichte, die heute noch erzählt werden kann – auch die jüngsten Edelweißpiraten sind nun an die Achtzig – muss erzählt werden, muss aufgeschrieben werden, muss gelesen werden. Es gab eine Menge junger Leute, die was gegen die Nazis getan haben, und die waren oft Helden im Kleinen. Wir müssen dieser Helden gedenken, und das laut, denn wie heißt es? Der Schoß ist fruchtbar noch …

Hier habe ich mal für Media-Mania.de über das gleiche Thema geschrieben, da gibt es auch viele Literaturangaben: http://www.media-mania.de/index.php?action=artikel&id=33&title=Edelweisspiraten_-_der_andere_Widerstand



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Einer flog übers grüne Schaf

Ich schreib ja nicht nur drüber, ich mach ja auch selbst Kultur, und nun steh ich kurz vor der Derniere – nein, nicht „Die Niere“, Derniere bedeutet letzte Vorstellung, und meine Rechtschreibprüfung meint übrigens, es müsste „Derbniere“ heißen … so viel zu Kulturverfall – von „Einer flog übers Kuckucksnest“ nach dem Roman von Ken Kesey.Ich möchte jetzt hier nicht groß übers Theaterstück schreiben, oder über die Inszenierung – oder noch viel schlimmer, über das, was ich dabei spiele und abliefere. Viel interessanter finde ich die Frage, ob das Thema, ob eine Irrenanstalt in den 50er Jahren in Amerika uns heute noch etwas sagt. Da ist das unmenschliche Regime einer frustrierten Oberschwester, die letztendlich auch kein größeres Interesse am Erhalt von Menschenleben hat, die nur alle ihrer Ordnung anpassen will. In dieser Klinik herrschen unmenschliche, diktatorische Zustände. Was bringt uns das heute noch, solche Kliniken gibt es doch nicht mehr, oder?

Hoffentlich gibt es sie nicht mehr, ersetzt man allerdings die psychiatrische Klinik mit so manchem Altersheim in Deutschland, mag das gar nicht so weit weg sein – liebe Altenpfleger, versteht mich nicht falsch, viele machen großartige Arbeit, und ich finde diese Arbeit auch wirklich bewunderungswürdig, aber es gibt ja immer wieder richtig böse Geschichten. Viel interessanter sind aber die Mechanismen, mit denen Schwester Ratched ihre Häschen (oder waren es doch Schafe?) ruhig hält, wie sie dem Menschen das Denken verleidet, und noch viel mehr das Widersprechen. Sie unterstellt ihren Patienten Sachen, die so nicht stimmen, macht Angst, macht Angst, macht immer noch Angst. Angst macht gefügig … raten sie mal, warum die Amerikaner Bin Laden nicht fangen … Angst macht gefügig. Oder schon mal bei Tarifverhandlungen zugehört, oder wenn über Gesetze gesprochen wird, die der Wirtschaft nicht gefallen – „das kostet Arbeitsplätze!“ – Angst macht gefügig.

Ich glaube, so lange es Theater und Film gibt, Quark, so lange es Kultur gibt, muss immer wieder darüber gesprochen werden, dass Angst uns gefügig macht, und immer wieder muss in genau diese Wunde der Finger gelegt werden. Kultur soll uns befreien, nicht auf ideologische Art wie bei Brecht, sondern einfach so, in dem sie uns unterhält.

Im Gegensatz zu manchem Stück Literatur, dass immer schneller veraltet, kann dieser Ken Kesey uns sehr viel sagen, auch wenn wir heute über seine Psychedelik grinsen müssen. Aber die kann man eh in Film und Theater nicht so einfach transportieren. Wichtiger ist der Kern der Geschichte, und es macht tierisch Spaß, diesem Kern zu dienen. Das grüne Schaf ist übrigens Canada, und Amerika ist Fernsehen … wie wahr.