Archiv für den Monat April 2008
Kunst ist Demokratur
Wie fang ich an … na ja, gestern Abend hatte ich mit einer kleinen Produktion Premiere, nichts wirklich weltbewegendes, aber eine kleine spaßige Theaterrevue, etwas zu Ausbildungszwecken geschriebenes. Diese Revue hat auch ganz gut funktioniert, aus einer sehr individualistischen Rotte hat sich so etwas wie eine Gruppe gebildet – ist ja alles gut.
Aber – war klar, dass da ein „aber“ kommen musste, oder? – aber es gab eine Szene, in der die jungen Damen – der eine junge Herr war da gerade angebunden und hatte mit dem Problem nichts zu tun – eine vorher geprobte Sache, einen Gag, nicht gemacht haben. Sie haben das auch gut begründet – „wir dachten, das funktioniert nicht“ – und damit für die heutige Ansprache – ein Regisseur muss im Amateurbereich vor jeder Vorstellung eine Rede halten – einen gehörigen Ansch… verdient.
Theater ist keine Demokratie, im Theater kann man nicht einfach Anweisungen und Absprachen ignorieren – gut, wo kann man das schon so – und sich für was besseres entscheiden, also, es war nicht besser, aber das kommt ja nur erschwerend hinzu. Theater ist auch keine Diktatur, zumindest kein gutes Theater. Das hat mehrere Gründe. Erstens muss auch der Egomane manchmal erkennen, dass er nicht der einzige ist, der gute Ideen hat. Es ist einfach so, dass man auch als Regisseur mit etwas Erfahrung und Können manchmal betriebsblind ist. Man verrennt sich in eine prinzipiell schöne, so aber nicht wirklich funktionierende Idee und braucht dann einfach mal den einen oder anderen Schauspieler, der sagt, dass man da Blödsinn macht und es so oder so viel einfacher geht. Wer dafür nicht dankbar sein kann, wer nicht erkennen kann, dass er nicht immer Recht hat, der muss einfach ein schlechter Regisseur sein. Ganz nebenbei, auch wenn wir im Lande des ursprünglichen Geniekultes leben – wenn wirklich alles exakt vom Regisseur vorgegeben wird, werden die Schauspieler wenig Freude und Leben in dieser Inszenierung haben. Und auf diese Dinge, die die Schauspieler einbringen müssen, ist der Regisseur immer angewiesen.
Zweitens kann eine spielfreudige Atmosphäre wirklich inspirierend sein, und Inspiration braucht man bei aller Transpiration in der Kunst eben auch. Und drittens hat man als Diktator immer ein richtig mieses Karma … (kicher)
Also ist Theater Demokratur, man kann über alles reden, aber einer muss das letzte Wort haben – und das ist dann üblicherweise der Regisseur, denn der hält ja auch am Ende seine Birne dafür hin. Wenn man also ein Problem mit einer Szene hat, etwas peinlich ist – das kann auch Profis passieren – oder sonst wie gar nicht passen mag, dann ist das absolut richtig, dass man als Schauspieler an den Regisseur herantritt, sein Unwohlsein kommuniziert, ja, auch mal meckert, aber dann einfach auf der Bühne etwas anderes machen als vorher in den Proben, das geht gar nicht – aber das muss man mit fünfzehn vermutlich erst noch gesagt bekommen.
Eigentlich hätte ich in die Überschrift auch „Theater ist Demokratur“ schreiben können, aber ich glaube, dass ich prinzipiell mit dieser Überschrift recht habe. In der Kunst muss es letztlich immer einen Verantwortlichen geben, das gilt nicht nur im Theater, sondern ganz sicher auch im Film, in der bildenden Kunst – zumindest da, wo mehrere beteiligt sind, ansonsten sei jedem die multiple Persönlichkeit gegönnt – und natürlich in der Musik – es gibt nur einer den Takt an, alles andere ist einfach nur Blödsinn …
Karl May – geht der heute noch?
Ich bin vorbelastet. Ich habe das quasi ererbt. Mein Vater hat schon in den fünfziger Jahren Karl May-Bücher gesammelt, diese Sammlung irgendwann meinem Bruder vermacht und der hat – da eh sammelwütig – diese Sammlung sehr erweitert. Irgendwann – nee, nicht irgendwann, ich war früh neun, und damit in der dritten Klasse – habe dann diese Bücher angefangen. Von vorne weg mit „Durch die Wüste“ quer durch die etwa sechzig oder siebzig Bücher. Das hat für annähernd drei bis vier Jahre gereicht, danach kam Stephen King … „Winnetou“ war das erste Buch, dass ich an einem Tag durchgelesen habe, und ich war damals altertechnisch noch nicht zweistellig.
Die nächsten zwanzig Jahre dann habe ich die Karl Mays nicht mehr angefasst. Allerdings habe ich inzwischen einen gewissen Hörbuchtick, und dann das oben schon genannte „Durch die Wüste“ bei Amazon als .mp3-Hörbuch gefunden. Und dann auch noch launig von Peter Sodann mit einem leichten sächsischen Einschlag gelesen – was ich natürlich da noch nicht wusste. Nun ja, das CD-chen kam also in meine Fingerchen und wurde letztlich auch lustig durch die Gegend gefahren – auf diese Art und weise höre ich ja immer meine Hörbücher. Und was soll ich sagen, es gibt zwar einige unfreiwillig komisch wirkende Passagen, in der Kara Ben Nemsi zeigt, was für ein Superman er denn ist, wie viele Sprachen er spricht, wie viele Menschen und Orte er kennt, wie viele Löwen er schon gejagt und wie viele Kenntnisse hier und dort gesammelt hat – am schönsten fand ich, dass er nicht nur Keilschrift lesen, sondern auch die Worte übersetzen kann! Herrlich! -, aber andererseits macht dieser Karl May immer noch riesigen Spaß. Ist doch auch mal schön, wenn etwas funktioniert, und bei Kara funktioniert eigentlich fast alles.
Und dann diese schwülstigen orientalischen Rededuelle, diese Beleidigungen und ehrenvollen Willkommensreden, die gefährlichen Situationen und Sherlock Holmes-artigen Detektivgeschichten – der liebe Karl May hatte schon was auf der Pfanne, wusste mit Worten umzugehen, und schaut man sich Figuren wie Sir David Lindsay oder – und ich schreib das jetzt aus dem Kopf – Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah an, dann sieht man auch den skurrilen Humor des sächsischen Reiseschriftstellers.
Andererseits ist das natürlich schon schlimme Christianisierung, das ist manchmal so fromm, dass man ganz leichtes Erbrechen bekommt. Aber hey, ich hab mir das jahrelang in langen Lesephasen reingezogen, und ich kann trotzdem noch frei denken.
Aber es war natürlich noch viel schöner, als ich die Bücher ohne die Zweifel des Erwachsenen zu lesen. Ich glaube, hätte ich Kinder, ich würde ihnen auch diesen Karl May in die Finger drücken … zumindest weiß man hier immer, wo die Guten und wo die Bösen spielen und das gibt eine gewisse ethische Sicherheit – ist doch gar nicht so schlecht …
Theater vs. Politik – was heißt hier eigentlich unpolitisch?
Ich steh auf Theater. Ich mach Theater, ich inszeniere und spiele, ich geh auch einfach gerne rein. Und ich wunder mich immer, dass manche Theatermacher so unglaublich politisch sein wollen – speziell da wo Theater so modern ist, also im urbanen Bereich – und andere machen ein unpolitisches Theater, das unglaublich brav ist – leider gern bei uns in der Provinz.Ich glaube gutes Theater ist weder das eine noch das andere. Immer wenn ich Rezensionen von unglaublichen Premieren lese, in denen scheinbar Personen des Zeitgeschehens auftauchen, in denen Propheten geköpft oder Attentäter gehängt werden, dann frage ich mich, was bei diesen Regisseuren so abgeht – also in Kopfregion.
Theater ist natürlich ein Zeitphänomen, der eigenen Zeit verhaftet. Ist letztlich nur heute interessant und morgen schon vergessen. Also wird wie wild aktueller Kram in die Inszenierungen geschaufelt, was aber letztlich allenfalls ein Gag sein kann, dem Stück selbst nicht wirklich helfen kann. Wenn ich aber keine Farce oder Groteske auf die Bühne bringe, die quasi weder sich selbst, noch irgendwas anderes ernst nimmt, sollte ich tunlichst vermeiden, mich an Zeitgeist und Aktualität ranzuschmeißen. Der Effekt ist nämlich immer gleich. Der Zuschauer wird rüde aus seiner Illusion gerissen, lacht, wenn es einen guten Gag gibt, verzieht noch häufiger schmerzhaft das Gesicht oder schmunzelt aus Höflichkeit. Und wenn es noch nicht mal mehr ein Gag ist, dann wirken diese Aktualitäten einfach nur noch peinlich. In wie vielen antiken Dramen sind denn jetzt schon Typen mit Maschinenpistolen herumgelaufen? Und alle sehen entweder wie Palästinenser oder Israelis aus – die Aussage davon? Es gibt zu viel Krieg in der Welt? – Na, sag an, wusste ich ja noch gar nicht. – Der Nahostkonflikt ist was furchtbares? – Echt? Ich dachte, die haben da bombige Stimmung …
Wenn antike Dramen es wert sind, gespielt zu werden, dann wird man auch ohne zweifelhafte Modernisierung das finden, was zeitlos und heute aktuell ist – vielleicht finden die Modernisierer auch ihr Publikum einfach zu beschränkt und müssen die Botschaft mit aller Kraft herausschreien – aber eine solche Missachtung des Publikums ist unethisch.
Moderne Dramatiker schreiben Stücke, die in Arbeitsämtern spielen. Unentwegt kommen Arbeitslose herein und bekommen keine Arbeit, und verzweifeln so gut sie können. Furchtbar, oder? Und im Publikum sitzt das gebildete Bürgertum und wundert sich, dass Menschen so verzweifelt sein können … oder fassen sich an den Kopf vor lauter Unsinn, schließlich kennt nun auch der Akademiker das Gefühl, arbeitslos zu sein. Was passiert da? Ein Klischee wird ausgewalzt – das ist doch Millowitsch-Theater auf einem schlechten Trip.
Das Theater zeigt Menschen, die von der Gesellschaft zerstört werden – früher hat das Büchner mit dem Woyzeck mit Witz und trauriger Poesie gemacht, heute zeigt man Menschen im Arbeitsamt – das ist doch echt nur schlechtes Kabarett. Die Frage ist auch, warum das Theater solche Menschen zeigt. Ist das unterhaltend. Macht es dem Zuschauer neuerdings Spaß, Wracks zu beobachten? Hey, da kann man auch bequem zu Hause Big Brother schauen … es wäre doch viel interessanter, zu sehen, wie aus einem normalen Menschen ein solches Wrack wird – nicht das es besonders originell wäre, aber immerhin interessanter.
Gutes Theater ist nie unpolitisch, hat aber den Anschein. Ein guter Macbeth, spannend inszeniert, mit Witz nicht gespart, wird immer unendlich viel Politik in sich haben, auch ohne dass es irgendeinen offensichtlichen Anknüpfpunkt gibt.
Und wenn Theater wirklich unpolitisch wird? – Dann ist es auch nicht gut. Letztens habe ich mir ein „Frühlingserwachen“ angeschaut, Frank Wedekind hat da vor etwas mehr als hundert Jahren ein äußerst subversives Werk geschrieben. Unter anderem gibt es Onanie und den Masochismus einer 14-jährigen zu bestaunen. Jetzt kann man von einer Schulinszenierung nicht besonders viel erwarten – also an schauspielerischer Qualität (die für solche Verhältnisse recht ordentlich war) und an Subversivität der Inszenierung. Natürlich kann man an einer Schule nicht das halbe Ensemble ausziehen oder ähnlich drastische Mittel wählen. Aber was da zu sehen war, führte sich selbst ad absurdum. Ein eigentlich revolutionäres Stück, wenn auch nur in der Zeit wirklich revolutionär, wird zu einem angepassten, langweilig inszenierten Klassiker. Alles ist so statisch wie möglich, es gibt keinen Humor und kein Leben in diesem Stück. So schafft man wahrlich unpolitisches Theater – aber dadurch wurde es auch zu wahrlich schlechtem Theater.
Berti Brecht wollte mit seinem epischen Theater die Menschen erziehen, hat aber selbst gegen viele seiner Gesetze verstoßen und letztlich lieber unterhaltsames als erzieherisches Theater gemacht. Wann immer der Zaunpfahl mit der Botschaft der Inszenierung kommt, ist dieselbe schon glücklich verstorben.
Wer andererseits aber Theater ohne Herz und Humor macht, der schafft das unpolitische Theater, der schafft die entgültige Destruktion des Theaters, wie es kein genialischer Regisseur schaffen kann.