Archiv für den Monat Oktober 2008
Von der Erschöpfung
Es gibt Tage, da verliert man, und dann gibt es noch Tage, da gewinnen die Anderen … blöder Sportlerspruch … Aber manchmal fühlt man sich eben genauso. Gestern zum Beispiel, gestern war so ein Tag, an dem jegliches Erfolgserlebnis gleich wieder eingestampft wurde. Morgens eine Besprechung, es geht um einen neuen Kurs, den wir im Musicalbereich auf die Beine stellen werden. Im Prinzip alles gut, aber ein Problem kommt da auf uns zu, nein, genauer auf mich. Wir haben uns für das nächste Jahr das Dschungelbuch vorgenommen, die Aufführungstermine liegen im September. Jetzt belagern mich die Kollegen von Musik und Tanz, doch bald mit den Proben loszulegen – ich stecke aber in zwei anderen Produktionen drin und hatte bisher noch nicht mal Zeit, mir das Stück so richtig anzueignen. Ja, der Druck steigt …
Dann musste ich für meine Premiere am Freitag den technischen Aufbau mitbewerkstelligen. Das Licht ist auch wirklich gut geworden, oder besser, exakt so scheußlich, wie wir es wollten, aber mit der Tontechnik funktioniert bei weitem nicht alles so, wie wir uns das vorgestellt haben … okay … immer dieser Schritt vor, der aber immer auch noch einen Schritt zurück, oder doch zumindest auf der Stelle, nach sich zieht.
Auch das Mittagessen wurde zur Arbeitsbesprechung, und hier ging es um Planungen, um Termine für ein Musikprogramm, dass ich plane, für ein neues Weihnachtsstück im nächsten Jahr … Da geht man hin und packt sich noch ein Gewicht auf den Rücken, und dann noch eins und dann noch eins …
Dass dann die normalen Kurse stattfinden, ist fast entspannend – aber ich war natürlich keinen Deut vorbereitet, und da hätte mir ein bisschen Vorbereitung auch wieder ein bisschen Druck herausgenommen – immerhin habe ich zwei gute neue Mädels bei meinen Kleinsten in der Gruppe, immerhin wächst auch die Gruppe der nächstgrößeren … aber dazwischen ist eine Pause, die ich im Copyshop verbringe, weil wir ja noch T-Shirts beflockt haben müssen – und wieder klappt die Technik nicht richtig … da muss ich gleich noch mal dran … supi … und dann war da noch das Programmheft, was ich noch basteln muss … und wann hol ich den ganzen Kram ab?
Dass ich in der letzten Pause dann keine Pause mache, sondern zwei der jungen Damen noch Mathe erkläre, passt doch irgendwie ins Schema. Und dann die Hauptprobe … nein, kein Desaster, aber: bei ein paar der kleineren Rollen kommt irgendwie das Gefühl auf, dass sie die Sache nicht ernstnehmen … und die haben durchaus die Macht, das Stück zu kippen … dann versuche ich gleichzeitig die nicht vollständige Technik zu fahren, kämpfe mit dem Tonmischpult, spreche eine Rolle herein, muss meine eigenen Texte noch machen, suche zwischendurch noch nach Sounds, muss soufflieren – und das in der Woche der Premiere, ich könnte mich gerade mal schwallartig über… lassen wir das … ich bin also völlig überfordert, werde aber garantiert für jeden Fehler unbarmherzig angeklagt … ist doch klar, ich bin der Chef, ich darf keine Fehler machen …
Und dann muss auch noch eine junge Dame, die ich prinzipiell sehr schätze und mag, darauf bestehen, dass sie die falsche Rolle hat, anstatt sich wie eine Schauspielerin zu benehmen und einfach konzentriert ihren Job zu machen – davon eine schwierige Rolle als Chance anzusehen, als Herausforderung, ganz zu schweigen. Und hinterher werden alle sagen: „Hey, die hat sich aber gemacht, so was habe ich von ihr ja noch nie gesehen, tolle Arbeit!“ und ich werde lächeln und verschweigen, dass ich manchmal kurz vor der Aufgabe war … vor ein paar Tagen hatte ich noch keine Angst um das Stück … momentan versuchen aber irgendwie alle, mir doch noch ein bisschen Angst einzujagen … aber ich bin standhaft und bekomme keine Angst … Verzweiflung und Depression liegen mir auch im Moment näher …
Ich frag mich dann, warum ich das mache … ich hoffe, ich kann diese Frage am Samstag wieder beantworten …
Musical, Musical I
Ja, ich liebe das Musical, ja, total. Ich bin damit aufgewachsen, aufgrund eines unglaublichen Lehrers habe ich in der fünften Klasse schon als Chorkätzchen eben bei Cats auf der Bühne gestanden, also bei unserer Version, aber Cats ist Cats …
Nun habe ich in letzter Zeit zweimal wieder einen großen Saal als Zuschauer betreten. Erst habe ich „We Will Rock You“ gesehen, und gestern nun endlich mal „Starlight Express“ – das gibt es ja auch erst gut zwanzig Jahren, das habe ich bisher sehr gut ignorieren können.
We Will Rock You
Ja, die Musik ist großartig, die Sänger waren es zu einem großen Teil auch, und auch wenn es immer ein bisschen seltsam ist, wenn Leute einfach so anfangen zu tanzen – das ist ein schwieriges Feld … und später dazu mehr – die Tänze selbst waren teilweise wirklich toll gemacht. Das von der Story nicht allzu viel zu erwarten war, sollte im Prinzip jedem klar sein. Da wird eine Handlung in ein Musikkorsett gezwängt. Das kann eigentlich nicht gehen. Das zwickt hier und dort ist es viel zu groß. Aber das ist wirklich nicht anders zu erwarten. Die Geschichte ist dafür sogar eigentlich noch nett. In einer fiesen Zukunft ist die Rockmusik verboten, aber ein Auserwählter soll kommen, der die Rockmusik befreit. Der bekommt auch noch eine wunderbar zickige Rockerbraut und irrt durch eine freudlose Welt, die er mit Musik füllen will. Und da das Musik von Queen ist, ist das auch immer gute Musik.
Aber so nett das alles ist, der Humor des Stückes ist zu mindestens 85 Prozent so unterirdisch, dass man mit Schmerzen den Saal verlässt. Es kommen schließlich Bohemians vor, um mal ein Beispiel zu geben, die sich Namen von alten Helden gesucht haben. Die Idee wäre gar nicht so schlecht, wenn die sich dann nicht zu Gunsten von ganz schalen Lachern zu Namen wie Dieter Bohlen und Jeanette Biedermann entschlossen hätte – die dürfen einfach nicht in einem Atemzug mit Musik genannt werden – auch wenn Frau Biedermann immerhin für einen echten Lacher sorgte – also bei mir -, denn der Typ, der sich diesen Namen ausgesucht hatte, opferte sich für den Auserwählten (übrigens mit dem Namen Galileo Figaro – na, merkt man, lieber Leser, welch Geistes Kind dieses Musical ist?), und der sagte später: „Jeanette Biedermann ist für uns gestorben!“ – Ja, für mich auch …
Dieser Humor hat noch einen zusätzlichen Makel: Er ist zeitgebunden. Meiner bescheidenen Meinung nach, hat jegliche Zeitgebundenheit auf der Theaterbühne eher nichts zu suchen, macht man große Themen, dann ist die Aktualität automatisch da. Und dann so ein Verschachern an den Zeitgeist – da kann man schon mal ein bisschen das Essen von vorgestern wiederkäuen.
Starlight Express
Oh, das erfolgreichste Musical der Welt – ja, stand da irgendwo, keine Ahnung, ob das stimmt – und mit Sicherheit Andrew Lloyd Webbers schwächste Nummer. Natürlich hat Weber auch in seinen seichten Momenten noch ordentliche Melodien, aber der muss auch dringend Geld gebraucht haben, als er auf so ein blödes Libretto seine Musik schrieb. Nein, die Grundidee, wir sitzen im Kopf eines kleinen Jungen und schauen zu, wie in seinem Traum Lokomotiven ein Rennen fahren, ist nicht mein Problem – ich habe nie ein Problem mit phantastischen Momenten – aber die Geschichte, die dann kommt, ist so klischeehaft, durchsichtig und dumm, dass man sich schon fragt, wie es zu solch einem großen Erfolg kommen konnte. Ein besonderes Problem war für mich, dass der Rusty von gestern einfach ein unglaubliches Weichei war. Weich in der Stimme, weich in der Birne, kein Fitzelchen Power – bäh! Man merkt, bei „We Will Rock You!“ hatte ich mehr Spaß. Die Starlight-Show ist natürlich akrobatisch und lichttechnisch hervorragend. Aber es gibt nur einen richtig guten Song – und einen richtig guten Sänger – den der Rolle „Papa“.
Und es gibt ein weiteres Ärgernis, das ähnlich zeitgeistig gestrickt ist, wie die unterirdischen Witze der Queenjünger. Man hat ein paar HipHopper ins Stück geschrieben. Was für eine blöde Anbiederung an das junge Publikum. Vor allem, weil die Rap-Elemente dann auch noch richtig schlecht sind – also ganz übel, ähm, furchtbar, also kurz: Nicht gut! Da kann man so sehr dran packen, dass das ins Stück reingepfropft ist. Die müssen ganz schlechten Shit gehabt haben, ganz schlechten …
Uhhh, was ist aus dem Musical geworden, wenn es das nötig hat? Warum rennt man in einer so großartigen Kunstform dem Zeitgeist hinterher? Das muss wohl daran liegen, dass die Substanz der Stücke nicht gut ist – aber wenn das so ist, warum führt man sie dann auf?
Bald sehe ich Cats … und ich freu mich tierisch drauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich da auch nach billiger Hilfe vom Zeitgeist umgeschaut hat. Und ich bete, dass ich recht habe zum lieben Musicalgott!
PS Ich schrieb oben, später mehr zum Tanzen in Musicals – ich hab gemerkt, dass das hier den Rahmen sprengen würde. Das kommt als eigenständiger Artikel nach.
Kraut und Rüben
Ahrgh, es gibt so viel zu sagen, es gibt so viele Themen, die auf mich einprasseln, lest Zeitung, hört Euch Nachrichten an, da muss man einfach mal was sagen. Und weil es von allem etwas gibt, hab ich mir gedacht: Kraut und Rüben ist ein nicht besonders origineller, aber ein treffender Titel für diese kleine Kolumne …
Peter Sodann ist von der Linken als Präsidentenkandidat aufgestellt worden. Hey, wie schade, dass er keine Chance hat. Ein bodenständiger Intellektueller, gleich zwei Sachen, die der Sparkassendirektor, der momentan Deutschland nach außen vertritt, nicht ausstrahlen kann. Ein Mann aus der Kultur, nicht aus dem Bankengewerbe, was wäre das für eine Richtungsentscheidung, wie sehr würde ich sie mir wünschen … und ist es nicht herrlich, die Junge Union NRW – wie sehr ich mich schämen muss, dass es ausgerechnet die Abteilung aus dem schönen NRW ist – ist blöd genug, zu verlangen, dass jetzt keine Tatort-Folgen mit Sodann mehr gezeigt werden, weil das ja Wahlwerbung wäre … ist doch schade, wenn der IQ nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommt.
Anderes Thema, auch Kultur: MRR hat für Rabatz gesorgt, hat den Fernsehpreis aufgemischt. Der kluge alte Mann hat den Fernsehmachern ins Gesicht gesagt, was für einen riesigen Mist sie verzapfen, und was sagt das Publikum dazu, alles lacht und klatscht – offenkundig weiß jeder, wie es steht, und wo er Recht hat, hat er nun mal Recht … jetzt regen sich viele Leute über die Arroganz von MRR auf … er war immer so, und dadurch wurde er erst so einflussreich und so unterhaltsam. Und er hat ja auch Recht. Da gibt es so viel Datenmüll, der statt gutem Fernsehen gesendet wird, dass man sich durchaus aufregen kann. Und wie sich diese Deppen von DSDS selbst feierten, war so ekelerregend, dass es für einen denkenden Menschen eigentlich nur diese Reaktion geben konnte. Da hab ich heute morgen in der Zeitung gelesen, dass jemand meinte, nicht jeder könnte nur mit Kafka und Goethe leben – richtig, so oft hab ich weder den einen, noch den anderen in Buchform in Händen, aber Bauern, die Frauen suchen, Frauen, die Häuser renovieren oder schlechte Amateurschauspieler, die Gerichtsverhandlungen spielen, die so nie stattfinden könnten – Leute, besser als das muss es doch gehen.
Bankenkrise und kein Ende. Nein, ich bin eigentlich ja kein so besonders politischer Mensch, aber ich bin ein recht begeisterter Pokerspieler, und manchmal bin ich sogar ein recht erfolgreicher Pokerspieler, also verstehe ich wenigstens ein bisschen davon. Und ein sehr wichtiger Spruch lautet: Wirf schlechtem Geld kein gutes hinterher. Wenn du eine Hand verloren hast, dann wirf die Karten weg, auch wenn es weh tut, wirf nicht Geld in den Pot, von dem du weißt, dass es verloren ist. Und jetzt wollen die Herrschaften Politiker ziemlich einmütig ganz viel gutes Geld in die Banken pumpen, die sich so lustig verzockt haben, die das Spiel offenbar verloren haben. Das kann nicht richtig sein. Und mal ganz nebenbei, sind das jetzt wirklich die neoliberalen Banker, die nach dem Staat schreien? Die Leute, die den HartzIV-Empfängern keine fünfhundert Euro gönnen, die selbst aber so viel in einem Monat verdienen, dass sie einige dieser Leute für ein ganzes Jahr ernähren könnten? Die Autos fahren, die einige Jahresgehalte von gut verdienenden Facharbeitern kosten? Ist es die ziemlich wirtschaftsliberal auftretende CDU, die gerade Banken teilverstaatlichen will? Sehr schöne sozialistische Idee … bevor die Wirtschaft nicht endlich in die Schranken gewiesen werden, Spekulationen quasi verboten werden, man sich endlich von der Idee einer ewig wachsenden Wirtschaft verabschiedet, wird noch einiges Wasser den Rhein runter fließen, und doch wird man irgendwann auf den Trichter kommen. Denn so, wie das momentan funktioniert, fährt man die gesamte Weltwirtschaft vor die Wand.
So, das reicht erst mal …
Zwischenruf: Gemeinschaften und negative Energie
Umgangssprachlich formuliert fahre ich gerade einen Hals, aber derbe … Und diese Emotion at was mit dem Thema Gemeinschaften zu tun. Wie jeder Leser meines Blogs weiß, spiele ich WoW und bin auch in einer Gilde, genauer gesagt in einer Multi-MMO-Gilde, also einer Computerspielgilde, die in verschiedenen Spielen ihr Zuhause hat. So eine Gilde hat natürlich auch ein Forum und ein bisschen Bürokratie, zum Beispiel müssen sich Neumitglieder erst mal bewerben und manchmal werden sie auch abgewiesen.
Tja, und alles könnte so schön sein, mit fast allen Mitspielern habe ich ein gutes Verhältnis, man hilft sich gegenseitig, hat gemeinsam Spaß, geht zusammen in Inis oder questet gemeinsam, alles ist gut, oder besser, alles könnte gut sein.
Wenn da nicht ein Typ wäre, der ständig und überall seine Meinung allen aufoktroyieren versuchte. Dieser Mensch (ich vermute, es ist einer), nennen wir ihn der Einfachheit halber mal Ramses, hat zu allem eine Meinung, aber zu nichts eine Meinung, die sich mit gesundem Menschenverstand decken würde. Das ist ja im Prinzip okay, jeder hat ein Recht auf seine Meinung, das ist ein Recht, für das ich vieles geben würde, ja, ich würde auch vieles dafür geben, dass Ramses seine Meinung äußern darf … aber leider äußert Ramses seine Meinung nicht wie normale Menschen, er stellt sie immer als alleine selig machende Wahrheit hin und beschimpft jeden, der eine andere hat – zwar meistens brauchbar versteckt und oft so ein bisschen durch die Blume, aber grundsätzlich lässt er jeden Andersgläubigen schlecht aussehen, macht klar, dass dieser die falsche Einstellung zum Spiel und zur Gilde hat – offenkundig wurde ihm die Wahrheit, oh Herr, zuteil, und mit ihm zu diskutieren ist genauso sinnlos, wie ein Gespräch mit einem Freikirchler über den persönlichen Gottesbegriff. Ramses weiß, dass er Recht hat, wie könnte jemand anders daran kratzen – und dann wird es noch viel schlimmer – ich bin ja erst ein paar Monate dabei, also müsste ich ja wirklich gefälligst die Klappe halten, denn ich weiß ja gar nichts über die Gilde, über die Erfahrungen, die man gemacht hat, blablablabla ….
Nun bin ich ein bisschen älter als Ramses und es gewohnt, Gruppen zu führen – ich weiß, ist ne komische Formulierung, aber als Regisseur bin ich der, der das letzte Wort hat und auch noch der, der auf die Gruppenchemie achtet. Ich weiß also recht viel darüber, wie eine Gruppe funktioniert und wie sie nicht funktioniert. So weiß ich zum Beispiel auch, dass negative Energie ein echtes Problem ist. Und Ramses atmet negative Energie aus. Bei jeder Bewerbung eines eventuellen Neumitglieds, stänkert er herum und sucht Sachen, die sich in Abstimmungen gegen dieses eventuelle Neumitglied verwenden lassen. Und immer dann, wenn jemand sich als unglaublich wichtig aufführt, weckt sich in mir ja was, so ein gewisser Widerspruchsgeist: Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute sich selbst sehr wichtig und ernst nehmen. Und ich kann Unsinn nicht ausstehen. Und, ja, natürlich knallt es im Moment sehr heftig, aber HALLO! Und natürlich nutze ich jedes bisschen Können, was mich mit der Sprache verbindet, um gegen Ramses mobil zu machen. Es gibt nämlich nichts blöderes, als wenn jemand ständig ein bisschen zündelt und mit der Zeit niemand mehr ein Interesse an der Gemeinschaft hat. Dann lieber einmal richtig Benzin drauf und schauen, ob es ein Ende mit Schrecken gibt, oder ein Freudenfeuer, an dem die Gemeinschaft gesundet – und ich tanze gerne um das Feuer.
In der Zwischenzeit, während ich hier schreibe, entwickelt sich so einiges im Forum, es müssen nun endlich Diskurse geführt werden, es gibt wichtige Entscheidungen zu treffen. Und das sehen glücklicherweise sehr viele Leute sehr ähnlich wie ich … vielleicht krieg ich ja auch bald diesen Hals wieder weg.
Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust …
Ja, ist ein blöder Anfang für einen Eintrag, der sich mit Rollenspiel beschäftigt … aber nun gut … Es geht um D&D, Dungeons & Dragons, die Mutter aller Rollenspiele, das Original, und ganz nebenbei, seit knapp zehn Jahren das System meines Vertrauens. Davon gibt es nun eine neue Version, 4E ersetzt 3.5. Ich habe diese Woche das Spielerhandbuch gelesen und hier (http://www.media-mania.de/index.php?action=rezi&p=4&id=10490) rezensiert, aber noch nicht genug dazu geschrieben … Und obwohl sich in einigen Bereichen gar nicht so viel geändert hat, und das System immer noch zum Bereich des D20 gehört, das mit D&D 3.0 erfunden wurde, gibt es doch ein paar Änderungen, die ziemlich gravierend sind.
Rollen im Kampf
Tja, jetzt hat WoW auf D&D abgefärbt – andererseits gäbe es ja ohne D&D vermutlich kein WoW … ist also eine gegenseitige Befruchtung. Jetzt gibt es Charakterklassen, die quasi als Heiler auftreten – ja, das haben Kleriker auch früher schon gemacht – und andere, die wie Tanks die Aufmerksamkeit der Gegner auf sich ziehen, also den Kopf für die Kollegen hinhalten. Jetzt fragt man sich natürlich: Braucht man das? – Vielleicht ja, vielleicht nein. Bisher war es so, dass man als Spielleiter mit den Monstern immer dann den Heiler zuerst angegriffen hat, wenn man sehr intelligente Kreaturen ins Feld führte. Die tumben Orks hingegen greifen den Typen in der schweren Rüstung an, ist ja klar. Das ist eine rollenspielerische Entscheidung, und die wird mir natürlich abgenommen, wenn ein Charakter die Möglichkeit hat, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Andererseits haben jetzt die Charaktere, die als Anführer und Heiler ihre Rolle spielen, teilweise auch die Möglichkeit, Freunde oder Feinde im Kampf zu verschieben – das macht die Taktik auf einmal viel interessanter. Letztendlich muss man ja zugeben, bisher war es immer so, dass sich Monster und Spieler voreinander gestellt haben, und dann so lange Angriff gewürfelt, bis einer von beiden umfiel – es wäre mehr möglich gewesen, aber dafür muss man auch einfallsreich sein. Es gibt kein Spiel mehr ohne Kampfplan, und prinzipiell ist das, was auf diesem Kampfplan jetzt abläuft, ein stückweit interessanter als vorher.
Rollenspiel? Ist eingeschränkt!
Aber es gibt halt auch viele sehr feste Zuordnungen, die man dafür in Kauf nehmen muss. Bisher gab es nämlich durchaus eine Vielzahl an möglichen Typen, die alle unter der Charakterklasse Kämpfer zu finden waren. Das konnte der schwergerüstete Ritter sein, der mit der Lanze ein paar Goblins aufspießt, das konnte der zähe kleine Gnom sein, der mit zwei Waffen in unterirdischen Gängen riesiges Ungeziefer jagt, oder der Bogenschütze, der sein Schwert fast nur zur Zierde trägt und auch kaum Rüstung trägt – das alles ging, jetzt ist der Kämpfer ein Beschützer, und wenn der sein Schild zu Hause lässt, fühlt der sich schon ziemlich nackelig.
Und bei Schurkens zu Hause sieht es ganz ähnlich aus. Wo ist der leicht vergeistigte Typ, der sich wunderbar auf Schlösser und Fallen verseht, weil er so was als Handwerker selbst entwirft, der aber körperlich eher ein Hindernis ist, und im Kampf ganz gut mit seiner kleinen selbstgebauten Handarmbrust auftrumpft? Nein, die neuen Schurken sind „Stürmer“, eine wichtige Schadensklasse – da ist es eigentlich kein Wunder, dass der Barde vorerst ausgemustert wurde, die Klasse, die bisher im Kampf immer unterging, wäre in der neuen, deutlich aggressiveren D&D-Welt wahrscheinlich auch ein bisschen fehl am Platz.
Rollenspielerisch gibt es also wirklich weniger Freiheiten, da die festen Kampfrollen auch feste Rollenklischees mitbringen.
Mischcharaktere gibt es nicht mehr …
Und das finde ich wirklich blöd, sorry, ist aber so, da gab es mit D&D 3.0 beziehungsweise 3.5 endlich eine Möglichkeit, wirklich sinnvoll und auch ziemlich ausgewogen, Mischcharaktere zubasteln – also Schurken, die auch ein bisschen Magie betrieben, Kämpfer, die auch ein bisschen Waldläufer waren, oder, und vor allem, Kleriker, die nebenbei auch noch eine Charakterklasse betrieben, die zu ihrem Gott passte – Magierkleriker der Mystra, Schurkenkleriker von Schurken- oder Wissensgöttern, Kampfkleriker der Kriegsgottheiten. Diese Möglichkeit, die auch noch ziemlich gut ausbalanciert war, besteht nicht mehr, oder besser, nur noch sehr eingeschränkt – man kann über ein Talent ein paar Kräfte einer anderen Klasse lernen. Der Nachteil ist auch hier vor allem ein rollenspielerischer. Oftmals gab man einem Charakter eine Stufe in einer anderen als seiner Grundklasse, weil er eine besondere Erfahrung gemacht hat, weil er einen anderen Charakter oder einen NSC mit dieser Klasse bewunderte – nur sehr wenige haben sich bemüht, aus Powergamergründen mehrere Klassen zu haben, aber es macht doch auch höllisch Spaß, wenn mein Barbarenschurke einen hinterhältigen Angriff mit seinem Zweihänder macht …
Alle haben Kräfte …
Ja, das ist eine recht interessante Neuerung. Jeder Charakter hat Kräfte, die entweder magischer Natur sind, oder aber auch kriegerischer. Also machen Kriegsherrn und Kämpfer interessante Manöver, während Magier und Hexenmeister mit Feuer und schwarzer Magie um sich werfen. Auf jeden Fall haben jetzt alle Charaktere ein paar Sachen, die sie sich für den Kampf überlegen können, und nicht nur die magiebetreibenden grübeln über interessante Kombinationen nach – ich sag nur „Verstricken“ und „Metall erhitzen“, nur der Gestank ist abscheulich.
Also eine Art Arcade-Variante des Rollenspiels?
Ähm, ja, was besseres ist mir noch nicht eingefallen, D&D 4E ist einsteigerfreundlich und wie bei D&D Tradition, viel auf den Kampf orientiert, läuft auf Helden hinaus – finde ich auch durchaus in Ordnung, wer „normale“ Menschen spielen will, schaffe sich ein normales Leben an oder setze sich an den Computer und spiele Sims oder Second Life! (Kennt das wer? Pazifisten im Rollenspiel? Ich spiele einen Charakter, der für den Kampf gar nichts taugt? – Seid Pazifisten im normalen Leben, meinetwegen auch noch Vegetarier, aber ein bisschen Testosteron gehört nun mal zum Rollenspiel – auch für Spielerinnen …)
D&D 4E ist aber nicht mehr das reife und freie Rollenspiel, dass es vorher war – vielleicht wird es das noch, denn es kommen ja nach dem Spielerhandbuch noch viele Bücher mehr, aber erst mal fehlen mir persönlich die Freiheiten.
Und, spielste nu 4E?
Ja, vermutlich schon. Zumindest eine Regelkennenlernrunde werde ich sicher spielen, wenn denn die ersten drei Bücher alle raus sind. Aber ich glaube schon, dass D&D 3.5 nicht so schnell im Papiermüll landen wird.
Und was war jetzt mit zwei Herzen?
Tja, ich bin schon zwiegespalten. Find ich die Änderungen jetzt gut oder nicht – vieles ist einfacher geworden, leitbarer, taktisch interessanter, aber die fehlenden Freiheiten find ich doof … nee, ich weiß es nicht …