Skandaloper? – Ja, gerne …

Vor einiger Zeit schrieb ich meine Meinung zum Opernstreit in Köln, wo sich ein Teil des Chores und zwei Solisten Atteste besorgten um nicht bei „Samson et Dalila“ mitmachen zu müssen. Am Samstag habe ich dann die dritte Vorstellung gesehen, ich hatte für die Premiere Karten, aber da die verschoben wurde, war das alles ein bisschen chaotisch.

Nun also, mit letztem Atem den Rang gefunden und die Plätze besetzt, es kann losgehen, und das passiert auch gleich. Ein Knall, das Licht erlischt blitzartig, und wenn jetzt das Orchester nicht einen Moment zu lange brauchte, um endlich mit der Ouvertüre anzufangen, wäre das noch ein Stück überzeugender. Aber wenn dann die Musik spielt – nun ja, man kann sich über die musikalische Qualität der Oper sicher streiten, nicht aber darüber, dass Camille Saint-Saëns in seiner orchestralen Musik die größten Stärken hat, also auch in der Ouvertüre – erscheint langsam, fast wie auf einer Leinwand das Bild eines Schlachtfeldes, immer mehr von der Bühne wird sichtbar und dieses Bild ist wie aus einem großen Gemälde der Romantik geschnitten, nur kräftig aktualisiert – Schutt liegt da, umgestürzte Tische, eine Waschmaschine wird von zwei Bränden illuminiert, und dazwischen menschliche Körper. Was für ein Bild! Tilman Knabe zeigt hier gleich mal, in welche Richtung es geht. Der Konflikt ist irgendwie heute, und vermutlich im Nahen Osten, aber darauf kommt es gar nicht an, Knabe zeigt mit diesem Anfangsbild, dass er den kriegerischen Stoff absolut ernst nimmt, dass er gewillt ist, dem Publikum Bilder hinzuknallen, die es nicht vergessen wird, und dass er das in keinem Moment nur halbherzig betreibt.

Nun führt Samson seine Hebräer aus der Sklaverei und besiegt Abimelech, einen bis dahin wunderbar spielenden Bass, böse bis dorthinaus, ein arrogantes Aas, so mag ich mein Theater. Im Siegesjubel wird gut gebechert und ein bisschen in Zeitlupe und angezogen gevögelt – ist das alles, muss man sich hier fragen, nein, das ist es noch nicht. Aber auch hier funktioniert jeder Moment der Inszenierung. Die Zeitlupenfeier bringt eine gute Brechung.

Im zweiten Akt sind wir dann bei Dalila im Hotelzimmer, wo sie erst ihren Hohepriester empfängt und danach Samson verführt. Auch hier gibt es ein bisschen ziemlich angezogenen Sex, bei dem man auf einmal weiß, warum Dalila da in solche Höhen kommt – Effekthascherei? Nicht wirklich, eher logisch, wenn man die Verbindung zwischen den „Bösen“ im Stück darstellen will. Am Ende des ersten Aktes wird Samson nun also skalpiert und verliert seine Macht – die Geschichte ist ja biblisch und wird daher als bekannt vorrausgesetzt.

Danach, im dritten und letzten Akt, feiern die Philister eine dicke Party, dekadent bis zum Erbrechen und eben nicht nur mit Verhöhnung des Samson sondern auch mit dem Vergnügen an besiegten Hebräern, die man nach dem Vergnügen auch gleich entsorgt. Da nun, kommt wirklich eine Szene mit Schockmoment, da nun setzt Knabe auf ein bisschen Kunstblut und auch auf nackte Haut – allerdings muss man schon eine gehörige sadistische Ader haben, um davon erregt zu werden. Menschen werden gedemütigt, geschlagen, vergewaltigt und ermordet – das geht allerdings nicht in quälender Langsamkeit voran, sondern in schlichter und roher Geschwindigkeit. Natürlich werden keine Bühnenregeln gebrochen, die Oper wird hier natürlich nie auch nur ansatzweise pornografisch und die Selbsteinschätzung der Kölner Oper, diese Inszenierung ab sechzehn Jahre zu empfehlen finde ich recht vorsichtig – ich würd da auch Zwölfjährige reinschicken, wenn sie hinterher die eine oder andere Möglichkeit haben, nach Sachen zu fragen und Sachen erklärt zu bekommen. So eindeutig und drastisch die Bilder sind, die Tilman Knabe da gefunden hat, sie sind noch lange nicht grenzwertig. Aus dem Film und auch durchaus aus dem Sprechtheater kennt man weitaus heftigere Mittel.

Der Applaus am Samstag war groß und intensiv, intensiver, als ich das bisher in der Oper gehört habe. Ein strahlendes Ensemble zeigte, dass man offenbar einen Heidenspaß dabei hatte, eine Geschichte gut zu erzählen. Schade, dass nur bei der Premiere der Regisseur sich zeigt, ich hätte gerne jedem Buhrufer ein Bravo entgegengesungen.

Bei uns hier in der Provinz liest man einen Ableger der Kölnischen Rundschau, in der sich natürlich eine große Gruppe konservativer Leserbriefschreiber solidarisch mit den Arbeitsverweigerern aus dem Ensemble erklärt haben. Hier gibt es große Anhänger einer unkünstlerischen ästhetisch schönen Oper, die am liebsten konzertante Aufführungen hätten, bei denen sie keine Geschichte erzählt bekommen, sonder die Klassiker aus dem Wunschkonzert zu hören kriegen. Zwei Sachen fand ich sehr bemerkenswert. Erstens die sehr positive Rezension, deren Schreiber sich darüber lustig machte, dass die Buhs sich sehr nach ausgebildeten Stimme angehört hätten, und zweitens ein Leserbrief zwei Tage später, der sich bei Tilman Knabe und der Kölner Oper für einen wirklich herausragenden Abend bedankte. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich da einfach mal anzuschließen.

Über Hollarius

Ich bin in den Siebzigern geboren, halte mich voll Hybris für einen Künstler und meine auch noch, alle müssten lesen, was ich so meine ...

Veröffentlicht am Mai 18, 2009, in Kultur, Musik, Musiktheater, Oper, Theater. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Hinterlasse einen Kommentar.

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