Archiv für den Monat März 2010
Die Idee der Sicherheit in der Theaterpädagogik
Sicherheit ist in der heutigen Erziehung ja eh ein Thema, das sehr verschieden gesehen wird. So natürlich auch in der Theaterpädagogik. In einer Zeit, in der Eltern sehr oft überfürsorglich sind, Kindern keinerlei Selbstverantwortung lassen und damit also alle Selbständigkeit vernichten, muss man dieses Thema sehr ernst betrachten:
Es geht um verschiedene Interessen: Natürlich sollen den Heranwachsenden kein Schaden zugefügt werden. Körperlich ist das selbstverständlich und jedem einsichtig, psychisch ist das schon wieder eine andere Sache, man weiß einfach nicht, was schadet und was nützt, oder zumindest weiß man es nur ungefähr. Die Schüler sollen etwas lernen, auf jeden Fall viel über das Schauspielen, über das Geschichtenerzählen – im besseren Fall auch noch ganz viel über sich selbst und das Leben. Und Lernen heißt auch immer ein Risiko eingehen. Schauspielerei arbeitet mit den psychischen Bestandteilen eines Menschen, die Risiken sind da größer, als der blaue Fleck beim Fußball, das sollte jeder Theaterpädagoge immer im Hinterkopf haben – aber dennoch müssen die Risiken eingegangen werden. Grundvoraussetzung dafür, dass die Schüler über den eigenen Schatten springen und die Risiken eingehen, ist ein großes Vertrauen zum Pädagogen, das Wissen darum, dass man nicht allein gelassen wird – und das ist nebenbei ein Grund, weshalb die Distanz zwischen Lehrer und Schüler hier zwar da sein muss, aber nicht so groß sein kann, wie in anderen solchen Verhältnissen. Jetzt ist es immer eine Frage, wie man das Vertrauen von Schülern gewinnt, wahrscheinlich gibt es hunderte Geheimlehren, die von Lehrer zu Lehrer weitergegeben werden, aber letztlich bin ich bisher nur auf eine Möglichkeit gekommen – Wohlwollen und Ehrlichkeit.
Das Wohlwollen ist für mich einfach, kaum überschreitet jemand die Grenze in meine Gruppen hinein, hat er meine Sympathie, von dieser Regel gab es in den letzten sechs Jahren eigentlich keine Ausnahme – manchmal gehen mir Menschen fürchterlich auf den Geist, aber ich mag sie trotzdem und versuche, sie ein bisschen auf einen besseren Weg zu bringen, ihnen die richtige Einstellung nahe zu legen. Im Prinzip frage ich mich halt bei jedem neuen Darsteller, was man mit ihm wohl machen kann, wohin man ihn stellt, was er zeigen kann – das impliziert ein sofortiges Interesse an dem Menschen, und irgendwie geht ja auch kein Interesse ohne Wohlwollen – das verbindet sich also recht problemlos.
Ehrlichkeit ist der andere Teil – ich verabscheue pädagogische Lügen, ich spiel niemandem etwas vor, wenn ich nicht gut drauf bin, lasse ich das natürlich an niemandem aus, aber ich spiel auch nicht heile Welt vor, noch nicht mal Sechsjährigen. Wie sollen die denn lernen, welche Stimmungen Menschen haben, wenn die durch eine Zuckerwattewelt gehen? Stimmungen sind ja sogar ein wichtiges Thema, etwas, das man beherrschen muss, wenn man die Bühne betritt – und hier kommt dann das Seltsame: Ich kann natürlich die Stimmung spielen, die ich spielen will, so viel Schauspieler bin ich, aber ich bin auch ziemlich idealistisch in dieser Hinsicht: Ich finde Schauspielen im normalen Leben unredlich, ja unethisch. Jemandem Gefühle zeigen, die man nicht hat, ist eine Kunst, aber die sollte man sich für die Bühne vorbehalten (wer das nicht kann, hat nichts auf der Bühne verloren, klar, aber wer es kann, der sollte es nicht im normalen Leben ausnutzen, denn das ist letztlich immer Betrug). Also bin ich ehrlich, in meinen Stimmungen, in meiner Wortwahl. Mieses ist nie „gut“ und schon gar nicht „toll“, eher schon „das ist es noch nicht“, Fragwürdiges muss auch wirklich hinterfragt werden und wenn ich sage: „Sieht doch schon nach Theater aus!“, dann sehe ich in zufrieden grinsende Gesichter, weil alle wissen, dass ich das auch ernst meine.
Wenn man sich ernsthaft und wohlwollend für Kinder und Jugendliche interessiert und ihnen nichts vormacht, dann vertrauen sie einem auch. Dieses Vertrauen ist wichtiger, als jede scheinbare Sicherheit oder plumpe Freundlichkeit. Scheinbare Sicherheit ist zum Beispiel die Gebetsmühle „Du schaffst das schon!“ – nein, vielleicht schaffst du es, vielleicht schaffst du es nicht, ein Scheitern wäre aber nie schlimm. Das einzige, was schlimm wäre, ist ein spanungsloses Irgendwie-Durchwursteln – und deshalb sollte man Schüler nie in ein überbordendes Selbstvertrauen reden, sondern vielmehr auf ein gutes Selbstbewusstsein hin arbeiten, und nein, die Begriffe sind alles andere als synonym. Selbstvertrauen kann auch hohl sein und leer, und strotzt ein Kind vor diesem falschen Selbstvertrauen, ist es schon grob fahrlässig, es auf die Bühne zu schicken – denn der Fall ist dann umso härter. Selbstbewusstsein ist das Zauberwort, und zwar im Wortsinne, denn Schauspielen kann nur jemand, der sich über sich selbst bewusst ist, der sich kennt, Stärken und Schwächen bei sich selbst benennen kann. Und ich versuche, meine jungen Darsteller genau dahin zu bekommen. Aber hier beißt sich das Kätzchen ja auch schon ins verlängerte Rückgrat, denn ein solches Selbstbewusstsein ist nur durch Ehrlichkeit und wiederum Wohlwollen zu erreichen.
Sucht man hier ein Fazit, dann muss es die Bereitschaft zum Risiko sein, die man seinen Darstellern mitgeben muss – dazu gehört übrigens auch, dass man mit seinen Projekten Risiken eingeht, also auch mal Sachen inszeniert, die vielleicht eigentlich den einen Schritt zu schwer für die Gruppe scheinen, zu anspruchsvoll, zu gewagt, zu verrückt – denn genau da fängt die Kunst ja an. Und zu der Bereitschaft zum Risiko ist natürlich die Bereitschaft zum Auffangen verbunden – denn man arbeitet ja mit Kindern und Jugendlichen, und manchmal riskieren die halt doch mal mehr, als sie sollten, und dann muss man da sein, ein breites Kreuz haben und für die Verunfallten da sein.