Archiv für den Monat August 2011

Quick – Leise gegangen …

Loriot ist nicht mehr, Vicco von Bülow ist im Alter von 87 leise gegangen, wie es seinem Humor entsprach. Es ist Zeit aufzustehen und zu applaudieren, und dann nochmal alle Sketche zu schauen, auf dass man lerne, wie Humor funktioniert.
Loriot war ein Perfektionist, wie man es in der Kunst sein muss, er war ein Mann der hohen Ironie, der leisen Töne wie der großen Slapstick. Literarische Qualität zeichnete die Texte aus, präzisestes Timing Inszenierung und Schauspiel – so verneige man sich.
Und bitte: Unterlasst es, den Meister nachzuahmen, versucht es doch gar nicht erst. Jede Schulklasse wird gezwungen Loriots Sketche zu spielen, und muss am Vorbild scheitern. Man sollte sich lieber ein Beispiel nehmen und versuchen, selbst die Qualitäten des Vicco von Bülow zu entwickeln.
Ganz ehrlich? Ich bin kein Bülowianer, Loriot hat mir nie den Spiegel vorgehalten, seine Millieus waren mir zu spießig und gut bürgerlich. Aber Qualität weiß ich zu schätzen, das Handwerk war in jeder Hinsicht großartig, ein großer Komödiant ist von uns gegangen. Oder wie Twitterer #formschub so schön sagte: „Jetzt gibt es keinen Humor mehr. Nur noch Comedy.“
Bitte nicht trauern, er ist 87 geworden und starb an Altersschwäche, es ist also alles richtig gewesen. Feiert ihn lieber mit einem Lachen:

Quick – Beeindruckend

Ja, ich bin beeindruckt, ich bin sogar fast begeistert – es ist in diesem Zusammenhang ein unpassendes Wort – aber ich was da in Norwegen passiert ist, nachdem ein christlich und rechts motivierter Kreuzritter mehr als siebzig Menschen ermordet hat, ist schon beeindruckend. Während man bei uns nach Vorratsdatenspeicherung und Klarnamenpflicht geschrien hat, sagen in Norwegen König und Ministerpräsident: Jetzt erst recht eine offene Gesellschaft. Wir ziehen jetzt erst recht eine Gesellschaft durch, bei der Breivik und all den anderen Anti-Islam-Nazis und Das-wird-man-ja-wohl-sagen-dürfen- Stammtischfaschisten nur schlecht werden kann, durch – wir sind so frei.
Ich find das großartig, beeindruckend und bewunderungswürdig. Es geht hier um Freiheit, und das sollten wir uns alle im Gedächtnis halten. Freiheit, die ja immer noch die Freiheit der Andersdenkenden und -glaubenden ist, wird bei uns Mangelware und die, die Freiheit bei uns im Namen tragen, sind es, die sie beerdigen wollen. Freiheit kann man nur mit Verständnis und einem klaren Eintreten für die wirklichen Werte erreichen – und das wird uns in Norwegen gerade vorgelebt. Ich bin beeindruckt.

Die DDR – das Mauerjubiläum

Der Bau der Berliner Mauer jährt sich gerade zum fünfzigsten Mal und die Presse überbietet sich geradezu dabei, den Schrecken der Mauer und der heutigen Linkspartei immer gemeinsam zu beschwören. Da ich Pauschalisierungen nicht mag, versuch ich mal, mir da eigene Gedanken zu zu machen.

Ich bin ein gutes Jahrzehnt nach dem Mauerbau geboren, bin mit dieser Mauer aufgewachsen, und hatte auch persönlich keine Probleme damit. Wir hatten sehr ferne Verwandtschaft „drüben“, Oma und Opa bekamen immer leckeren Baumkuchen geschickt, wenn sie mal wieder ein Paket mit Kaffee und ähnlichem hingeschickt hatten – und das war alles, ich weiß noch nicht mal, wie die Leute dort mit uns verwandt waren. Ansonsten gab es das seltsame Gemisch an Gedanken, mit dem man so aufwächst. Das eigene sehr frühe Positionieren auf der linken Seite der Macht brachte einem schon mal ein „Dann geh doch nach drüben, wenn du groß bist!“ ein, aber in dem Moment, in dem man verstand, was denn Sozialismus hieß, was Kommunismus hieß, wusste man auch, dass der Zustand in der DDR damit relativ wenig zu tun hatte. Beide Denkmodelle sind für mich nicht mit Diktatur denkbar, das ist kontraproduktiv, und deswegen gab es für mich auch mit Sicherheit keinen Wunsch, mit dem dortigen Regime irgendwas zu tun zu haben.

Dann kamen der Mauerfall und die Euphorie, auch für mich, keine Frage. Da hatten sich Leute die Freiheit erkämpft, ich war Freidenker – ich hoffe, ich bin es noch – und für mich ist die Freiheit ein großer Wert – nur leider kam dann auch der schnelle Aufkauf, die Annektierung der DDR durch die BRD – wie viele Linke habe ich damals auf eine wirklich demokratische Republik im Osten gehofft, einen Staat, der einen Neuanfang macht. Wo etwas so großes, wie diese friedliche Revolution geglückt war, da könnten doch auch neue Ideen entstehen, das Beste aus beiden deutschen Ländern gemeinsam aufgebaut werden, und dann hätte man sich mal für 2010 oder so eine Wiedervereinigung in Aussicht stellen können. Das habe ich damals gedacht und gehofft – aber es kam anders. Die BRD schwappte wie die Sintflut in die DDR hinein, hier wurden keine neuen Ideen verwirklicht, sondern ein System, dass schon im Westen die Schere zwischen Arm und Reich immer größer aufklaffen ließ, einem Staat aufoktroyiert, der das nicht verdient hatte. Mit der augenscheinlichen Lüge von blühenden Landschaften wurde Kohl für noch weitere acht Jahre Bundeskanzler, die ethische Stagnation ging weiter, die Zügellosigkeit der Wirtschaft wurde schlimmer, und die Menschen im Osten als Ossis zu Witzfiguren gemacht.

Wenn die Zeitungen heute auf den Mauerbau zurückschauen, dann haben sie natürlich Recht, wenn sie sagen, dass die Mauer Unrecht war. Natürlich war jeder Mauertote zu viel, und es ist nicht in Ordnung, Leute nicht reisen zu lassen – andererseits, wie sieht es mit der Reisefreiheit denn heute so aus? Klar, wir können überall hin, aber die Reisefreiheit von Nordafrikanern beschneidet Europa sehr gern, und wenn hunderte Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil es da keine Reisefreiheit gibt, dann ist das für die gleichen Zeitungen, die heute noch jeden Mauertoten beweinen, kaum mal eine Meldung wert. Und wenn die Linkspartei ständig daran erinnert wird, dass man sich gefälligst andauernd vom alten DDR-Regime zu distanzieren habe, dann drückt das zweierlei aus, Siegermentalität vor allem, und natürlich auch ein Ausnützen einer Daumenschraube, die man fröhlich drehen kann – eine schöne Sache, wenn der politische Gegner sowas mitbringt.

Wie ich heute Morgen las, sei es ein Skandal, dass die SPD mit der Linken koaliert – ich halte es eher für Demokratie. Und wie schrecklich es sei, dass dreißig Prozent der Ostdeutschen die Mauer zurücksehnen. Ich denke, das ist recht einfach zu erklären. Es gibt mehrere Faktoren.  Erstens Pragmatismus – aus dem heraus haben vermutlich lockere fünfzig Prozent der DDR-Bürger sich in der damaligen Zeit gar nicht so eingesperrt gefühlt, waren froh, dass sie gut leben konnten – auch wenn sie keine Bananen hatten. Viele Menschen kümmern sich gar nicht so sehr darum, wer sie regiert, für sie ist Freiheit gar kein so großer Wert. Und die hatten viel, dass ihnen heute fehlt. Sie waren akzeptiert, waren auf ihre Arbeit stolz und mochten ihr Leben, sie hatten wirtschaftliche Sicherheit, wussten wo sie dran waren. Und dann kamen die Wessis und sagten ihnen, dass sie ja vierzig Jahre lang nicht gearbeitet haben, dass sie bankrott waren – sind wir übrigens heute auch, und die USA ist bei weitem schlimmer dran, als es der DDR je ging -, dass ihre Lebenserfahrung nichts mehr wert war, und der Druck wurde höher. Es gab plötzlich Arbeitslosigkeit, und wie wertlos muss man sich vorkommen, wenn man zig Jahre in einem Betrieb gearbeitet hat, und der zugemacht wird, weil er sich ja nicht lohnt. Jeder dieser Menschen, der heute meint, dass er es damals besser hatte, dem kann man nur zustimmen – denn auch wenn ich persönlich Freiheit recht wichtig finde, warum sollten sie sie genauso wichtig finden? Wie arrogant man sein kann.

Natürlich gab es auch Menschen, die vom System profitierten. Zu einem gar nicht so kleinen Teil sogar auf unethische Art und Weise – aber das war wohl wenigstens ein bisschen ehrlicher geordnet. Wer damals bekanntermaßen Parteibonze und/oder Stasimitarbeiter war, von dem wusste man wenigstens, dass er ein Arschloch war und was man von ihm zu erwarten hatte. Nach der Wende kamen Versicherungsverkäufer und Vermögensberater, die sahen respektabel aus, und machten die Not größer – und ein Bundeskanzler log einen an, und trotzdem jubelten alle, da musste viel Naivität abgebaut werden, da kannte man sich in seiner Welt nicht mehr aus, ging Schmarotzern auf den Leim. Und natürlich auch Rattenfängern. Nazis gibt es da, wo es keine Ausländer gibt, in reichen Scharen, hier wo man mit den Ausländern zusammenlebt, weiß man ja schließlich, dass das auch Menschen sind, und gar nicht so unterschiedlich – dort konnte man wunderbar Ressentiments schüren und auf den durchaus nationalistischen Gedanken des alten Regimes aufbauen. Und wenn man heute sieht, was die CDU-Regierung in Sachsen und ihre Polizei so machen, dann weiß man, wo die Stasiseilschaften gelandet sind.

Von der Linken zu fordern, sich von der DDR zu distanzieren ist scheinheilig, und auch perfide. Würde sie es tun, dann würde man denen ins Gesicht schlagen, die schon so oft geschlagen worden sind, dann würde man sich in der Linkspartei der Siegermentalität anschließen, und das wäre auch nicht in Ordnung. Wie schon oben geschrieben, natürlich war die Mauer, die Grenze in der Form Unrecht, und es ist immer eine Frage, in wieweit man Unrecht relativieren kann, und jede Relativierung muss den Opfern wehtun, keine Frage. Aber wie war das in diesem Sagenbuch: „Wer von euch frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ – und von daher darf kaum eine politische Partei da das Maul aufreißen, am wenigsten die Union, und das nicht nur wegen schwarzer Kassen und verbrecherischer Ehrenworte, sondern vor allem auch wegen einem sehr hohen Nazidurchsatz nach dem zweiten Weltkrieg. Wenn die Linke, als Nachfolgepartei einer Nachfolgepartei sich von dem distanzieren soll, was die alten Kader damals getan haben, von denen schon langen keiner mehr eine große Rolle in der Partei spielt, dann muss sich die CDU auch entschieden von den Nazis in ihrer eigenen Geschichte distanzieren. Dann muss man sich auch endlich von Schwarzgeld-Schäuble trennen und  jede Menge Korruption endlich offen legen. So lange das nicht passiert, sollte man auch anderen Parteien nicht sagen, was die zu tun haben.

Man soll aus der Geschichte lernen. Das könnte man endlich mal tun. Und wenn diese Mauer in Berlin uns irgendwas beibringen könnte, dann wäre es, dass wir niemanden durch Mauern aussperren sollten. Das gilt für die Festung Europa, das gilt für die Mauer, die die US-Amerikaner in Richtung Mexiko gebaut haben und noch bauen – da sind die Berliner Mauern von heute – lernt daraus!

Alte Schätzchen II – V wie Vendetta

Das Drehbuch stammt von den Wachowski Brüdern, die Vorlage ist ein DC-Comic, und mit Hugo Weaving, Stephen Fry und Natalie Portman ist die Besetzung auch noch richtig vom Feinsten, dass „V wie Vendetta“ nicht der ganz große Erfolg im Kino wurde, darf durchaus verblüffen.

Die junge Evey lebt in London, allerdings in einem London einer düsteren Zukunft. England wird von einer faschistischen Diktatur beherrscht und niemand traut sich so wirklich, gegen die Gestapo-ähnlichen Fingermen vorzugehen. Evey wird von genau solchen Geheimpolizisten belästigt, als plötzlich ein Mann in einer Maske auftaucht, die Fingermen mit exzellenter Messertechnik um die Ecke bringt und Evey einlädt, ein ganz besonderes Konzert mit anzuschauen. Zu klassischen Klängen sprengt „V“ – so nennt sich der Mann in der grinsenden Maske – Old Bailey in die Luft, das legendäre oberste Gericht Großbritanniens.
Nicht lange später rettet Evey mehr oder weniger zufällig V vor einem Polizisten, und bald darauf wird sie überall gesucht. V nimmt sie mit in sein Versteck. Er hat der Regierung den Krieg erklärt und versprochen, in genau einem Jahr auch das Parlament zu sprengen. Und das gibt ihm erst mal genug Zeit, auf einem gnadenlosen Rachefeldzug einigen hohen Mitgliedern der Partei zu einem früheren Ende zu verhelfen. Evey ringt mit ihrem Gewissen und ihrer Furcht, bis sie selbst in ein Gefängnis geworfen wird …

Ein politischer Film, eine Warnung, dass Nazis in besonderen Situationen immer wieder an die Macht kommen können. Ein höchst romantischer Film, eine Hommage an Mantel und Degen, eine Comic-Verfilmung, die nicht nur auf grandiose Bilder, sondern auch auf ganz große, auf existenzielle Gefühle setzt. Und so berauschend dieser Film sein kann, das große Publikum mag er wirklich etwas überfordern. Über „V wie Vendetta“ kann man trefflich diskutieren, einzelne Bilder analysieren. Ein Film, der sich aber nicht einfach in eine Schublade pressen lässt, der provoziert und manchmal auch schockiert und so gar nicht politisch korrekt daher kommt, und den man nicht so schnell vergisst.

Das liegt besonders an Natalie Portman, die zeigt, dass sie nun wirklich mehr ist als eine Star Wars-Prinzessin, an Hugo Weaving, der ohne sein Gesicht zu zeigen den Film mit seinem Spiel prägen kann, und an vielen kleinen Details, die einfach sehr genau und richtig gewählt sind. Eine komplexe Geschichte wird souverän erzählt, auch wenn die Wachowskis, ähnlich wie bei ihrer Matrix-Trilogie, immer mal wieder das eine oder andere lose Ende liegen lassen. Die Starpower des Autorenteams und der Schauspieler hat Regisseur James McTeigue zu einem Film gebündelt, der absolut außergewöhnlich ist und der eines Tages Kult sein könnte.

Alte Schätzchen I – Amadeus

Ich fang hier eine kleine Serie mit alten Rezensionen an, die ich mal freiwillig für media-mania.de geschrieben habe. Einer Seite, die man immer gern besuchen sollte, wenn man gute Rezensionen sucht. Manche Sachen, die ich gerade im Aufbau des Rezensionsportal geschrieben habe, sind ganz gut und ich möchte sie auch den Lesern meines Blogs an die Hand geben.

 

Acht Oscars, eine beeindruckende Zahl, konnte dieser Film einst auf sich vereinigen. Kein Wunder, geht es doch um einen der größten Musiker, vielleicht den größten aller Zeiten. Auf Basis des berühmten Bühnenstückes von Peter Shaffer schrieben Regisseur Milos Forman und Shaffer selbst das Drehbuch. Sie verzichteten auf große Stars und hatten dafür einen großartigen, aber ungewöhnlichen dritten Hauptdarsteller: Mozarts Musik.

Ein alter Mann bezichtigt sich selbst des Mordes an Wolfgang Amadeus Mozart. Er versucht einen Selbstmord, den beherzte Diener des Irrenhauses allerdings abwenden können. Ein Priester wird gerufen, ein junger Mann, der kein bisschen Musik des alten Mannes kennt, der einst als Antonio Salieri in ganz Europa berühmt war, der Hofkompositeur des Kaisers zu Wien. Und dann erzählt Salieri, erzählt von seiner innigen Liebe zur Musik, und von seinem Erschrecken, dass Gott ausgerechnet einen kleinen frivolen Jungen zu einem musikalischen Genie machte und nicht ihn. Mozart kommt nach Wien, feiert Erfolge, und Salieri erkennt in jedem Stück, das er von Mozart hört, dessen überbordende Qualität, erkennt, um wie viel ihm der junge Salzburger überlegen ist. Er sinnt auf Rache.

Nein, „Amadeus“ ist kein klassisches Biopic, kein einfacher Film über einen Komponisten. „Amadeus“ ist ein Film über den Kampf mit Gott, über Gerechtigkeit und über ein Genie. Und obwohl mit Peter Shaffer und Milos Forman hinter der Kamera absolute Stars zugegen sind, spielen eher unbekannte Schauspieler. F. Murray Abraham ist Salieri, lebt Salieri, Tom Hulce ist Mozart, feiert und leidet Mozart. Und diese beiden tragen den gesamten Film, kaum eine weitere Rolle darf wirklich glänzen, es geht immer um die beiden, und das, obwohl sie gar nicht so häufig zusammentreffen. Die letzten Jahre Mozarts werden gezeigt, er starb sehr jung, es sind die Wiener Jahre. Und Prag, auch ein Mitdarsteller, spielt ein unglaublich echt aussehendes und wunderschönes Wien.

Die großartigen Bilder und die genauso großartige Musik steht einer stark überhöhten Geschichte gegenüber. Aus einer Biographie wurde ein Drama voller Tragik, aber auch eine Komödie mit frivolen und fäkalen Anteilen, allerdings nur am Anfang. Und dazwischen immer wieder grandios inszenierte Opernmomente, Bühnenbilder von unglaublicher Qualität, Musik, die unerreicht bleiben muss. Eigentlich bräuchte man ein Kino für diesen Film. Ein Fest für Cineasten, ein Muss, ein grandioser Film, der zum cineastischen Allgemeinwissen gehört.