Archiv für den Monat September 2011
Gender … post … prä …
Die Euphorie um die Piraten hat unsere Medien ja schnell auf den Plan gerufen, und man fragte sich wohl in vielen Redaktionen, was man denn tun könnte, um dieser sympathischen neuen Partei ordentlich ans Bein zu pinkeln. Immer wieder wird betont, dass sogar die CDU eine Quote hat, und die Piraten das ziemlich rundheraus ablehnen. Mir persönlich macht gerade das die Piraten auch noch mal zusätzlich liebenswert, weil ich davon noch nie etwas gehalten habe.
Jetzt kann man mir natürlich sofort vorwerfen, dass ich ein Macho bin, der Frauen nicht in der Politik haben will. Aber das ist Unsinn, und dieser Reflex geht mir ziemlich auf den Keks. Ich bin mit der Gleichberechtigung groß geworden, habe es nie problematisch gefunden, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte haben sollten, und von der Vernunft her –was diese Einschränkung soll, kommt gleich noch – bin ich weit weg von jeder Frauendiskriminierung. Die Idee, dass Männer den Frauen in irgendeiner Seite überlegen sein sollten, außer teilweise von der Körperkraft her, halte ich für absoluten Unsinn.
Allerdings geht mir ein Teil des Feminismus ziemlich auf den Keks. Einerseits bin ich jemand, der gute Sprache liebt – und ganz ehrlich, überall weibliche Suffixe dranhängen ist keine schöne Sprache. Egal, wie es geschrieben wird, es sieht doof aus. Und da man es in gesprochener Sprache nicht macht, sollte man es meiner Meinung nach auch im Schriftdeutsch auslassen. Wenn ich von Lehrern spreche, meine ich auch Lehrerinnen. Das machen die Menschen schon seit Jahrhunderten, das ist relativ gebräuchlich. Es gibt genug Diskriminierung in der Sprache, aber das ist es nicht.
Und gar nicht so anders fühle ich gegenüber der Quote. Früher mal, als ich noch dachte, aus mir würde etwas Vernünftiges werden, war die Quote etwas, was ich bedrohlich fand. Nicht, weil ich meinte, dass Frauen damit mein männliches Recht auf den besten Job verneinen würden, aber sorry, wenn ich für einen Job besser geeignet bin, aber nicht genommen werde, weil ich männlich bin, das heißt doch nur, dass man die Diskriminierung in die andere Richtung verschiebt. Heute denke ich einfach, dass wir – also jetzt das Wir der aufgeklärten, intelligenten Menschen, nicht das allgemeine Wir, dass auch Katholiken mit dabei wären, die papsttreu meinen, dass Menschen sich nach ihrer Natur verhalten sollen – einfach über dieser Quote drüber stehen müssten. Wer wirklich meint, dass man in aufgeklärten Kreisen, wie zum Beispiel einer Partei von Piraten, noch dringend eine Quote braucht, der ist offenbar noch nicht so wirklich emanzipiert. Das sieht natürlich in der CDU anders aus, da könnte diese Quote durchaus nicht uninteressant sein – aber die sind ja auch von aufgeklärt und modern extrem weit entfernt.
Ich denke, es gibt jede Menge Probleme, um die sich die Feministinnen und Feministen viel dringender kümmern sollten. Zum Beispiel um die Frage, warum in den Vorständen der Unternehmen so wenige Frauen sind, und warum Frauen im Schnitt immer noch schlechter bezahlt werden, auch bei gleicher Qualifikation und Arbeit. Da muss es ganz dringend ein Umdenken geben, aber das geht nicht mit Zwang, sondern nur mit Aufklärung und Erziehung.
Ich arbeite ständig mit Kindern und Jugendlichen, meistens mit mehr Mädchen als Jungen – ich mach Theater, da trauen sich Jungs weniger hin. Ich muss da regelrecht andersherum Entwicklungs- und Emanzipationsarbeit machen, denn die Jungs haben oft Probleme, ihre Gefühle zu zeigen. Was man fürs Theater natürlich braucht. Aber wenn man die jungen Menschen mal anschaut, dann gibt es da einen gravierenden Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die Jungs haben fast durchgehend ein größeres Selbstvertrauen, gerade die begabten. Habe ich zwei Schauspieler von gleicher Qualität, wird sich der männliche fast immer mehr zutrauen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber im Schnitt … und dafür muss es doch einen Grund geben. Ich wäre mal gespannt, wann die Pädagogik, die sich ja selbst für eine Wissenschaft hält, mal irgendwann herausfindet, wie man dagegen angehen kann.
Wenn ich die Jugendlichen heute sehe, dann habe ich durchaus das Gefühl, dass es da einen riesigen Rückschritt gab in den letzten 25 Jahren. Meinem Gefühl nach sind die Mädchen heute im Mittel weniger emanzipiert, vielleicht auch teilweise anders, als es die Mädchen in der Zeit waren, als ich selbst Jugendlicher war. Vielleicht habe ich es früher nicht so gemerkt, aber heute habe ich allzu oft das Gefühl, dass Mädchen sich weniger vornehmen, weniger vom Leben verlangen, sich letztlich einfach weniger zutrauen. Hoffentlich sehe ich das einfach falsch.
Der Feminismus hat, das kann man wohl mit Hoffnung auf Konsens behaupten, eine Menge erreicht. Und wenn in den 80ern die Mädchen vielfach auf Schminke verzichteten und ihr Haar kurz trugen, dann lag das auch daran, dass sich damals die Emanzipation gerade in den Mainstream durchsetzte. Heute sind die Rollenklischees in der Kinderindustrie wieder völliger Mainstream und „Hello Kitty“ tragen noch 15jährige und glauben, das wäre normal. Wenn diese Rosa-Plüsch-Barbie-Disney-Prinzessinnen-Scheiße wieder da wäre, wo sie hingehört, auf den Müllkippen dieser Welt, dann wäre der Weg vielleicht wieder in richtiger Richtung betretbar.
Aber stürzt euch nicht auf die Piraten, die vielfach aus der technischen Ecke kommen, in denen sich weniger Frauen aufhalten, weil ihnen schon als Mädchen beigebracht wird, dass das nichts für sie ist. Stürzt euch auf die Unternehmen, speziell auf die, die uralte Rollenklischees wieder und wieder in die Köpfe der Menschen zementieren. Lasst uns endlich mit dieser Rollenscheiße aufhören. Wie kindisch ist denn das?
Quick – Der Papst ist fertig
Herr Ratzinger ist nun wieder auf dem Weg nach Rom. Und wir fragen uns, was er nun gemacht hat? Ob er irgendetwas Neues erzählt hat? – Nein. Ob er eine Lösung für irgendein Problem hat? – Nein. Oder ob er sich wenigstens menschenfreundlich gezeigt hat? – Noch nicht mal das.
Der hochintelligente Fundamentaltheologe hat sich als nett lächelnder alter Herr gezeigt, und mit seinem dünnen Stimmchen erzählt, dass sich die deutschen Katholiken weniger beschweren sollen, sie dürfen aber gefälligst mehr beten.
Er hat sich mit ein paar Opfern seiner Hirtenschar getroffen, hat aber nichts gesagt oder getan, was zukünftige Opfer verhindert, er verharmlost die Geschehnisse, weil ja schließlich überall schwarze Schafe seien – eventuelle Systemimmanenz wird ausgeschlossen. Ist ja klar, wenn man sein Leben lang unter schwerem Sexualdruck steht, weil man weder mit sich selbst noch mit anderen zum Vollzug schreiten kann, ist das ja sicherlich kein Grund dafür, dass reihenweise Hirten ihre Schafe von hinten … ach, was red ich.
Er hat im Bundestag gesagt, dass die Gesetze der katholischen Kirche letztlich wichtiger sind, als die demokratisch beschlossenen – ja, er hat es gut verklausuliert, aber wer ihn verstehen will, der kann -, er hat weiterhin ausgesagt, dass die katholische Kirche und der christliche Glaube ein Bollwerk gegen die Mächte des muselmanischen Bösen sind. Er hat gesagt, ohne die Kirche sei Europa kulturlos. Er hat gesagt, Menschen müssen sich an ihre Natur halten, nehmt dies, ihr Homos! Und alles das sagt er ganz vorsichtig und schön intellektuell verbämt, damit keiner darauf kommt, dass dieser Papst antidemokratisch und mit einem pervers-leibfeindlichen Weltbild gesegnet ist. Und alle so: „Yeah!“ – Ich könnte mich in einem armdicken Strahl … ach lassen wir das.
Aber wieso die gesamte Medienlandschaft dermaßen „papstbesoffen“ vor dem alten Mann gekuscht ist, ist mir jetzt mal echt nicht klar. Wer hat denn da schon wieder für bezahlt?
Achso, da war noch die Sache mit der Ökumene … ja … da hatten sich einige was von erwartet … die Protestanten haben ganz vorsichtig so eine große Pforte ganz langsam aufgedrückt, und als sie gerade um die Ecke schauen wollten, hat der Papst ihnen ebendiese gesamte Pforte mit aller vatikanischen Macht in die Fresse gehauen. Woraufhin die Protestanten noch nicht viel gesagt haben, weil sie immer noch die andere Wange hinhalten.
Also was war jetzt das Resultat dieses Besuchs? Richtig … nichts …
Die Papstrede, ein paar Gedanken …
Ich schau mir doch mal die Rede an, die il Papa da gestern im Bundestag gehalten hat. Soll ja sehr philosophisch und intellektuell sein, wollen mal sehen, wieviel ich davon verstehe. Bin ja nur ein unintellektueller Künstler … ja, Achtung Polemik … ich weiß das auch selbst 😉
Als erstes fällt mir diese kleine Passage auf:
Aber die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt. Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt. Von dieser meiner internationalen Verantwortung her möchte ich Ihnen einige Gedanken über die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaats vorlegen.
Äh, Moment? Hab ich das jetzt falsch verstanden, oder der Herr Ratzinger? Ich dachte er könnte nur deshalb vor dem Bundestag sprechen, weil er als Staatsoberhaupt des Vatikan vorbei kommt? Also doch als Glaubensoberhaupt? Was kommt denn als nächstes? Der Obermormone oder –scientologe? Okay … schauen wir mal weiter …
Aber der Erfolg ist dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet. Erfolg kann auch Verführung sein und kann so den Weg auftun für die Verfälschung des Rechts, für die Zerstörung der Gerechtigkeit. „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“, hat der heilige Augustinus einmal gesagt.
Äh, schon … ja … Politiker sollen also Erfolg suchen, sich aber auch ans Gesetz halten. Gut, so viel Philosophie war das jetzt noch nicht, bis hierhin nur Allgemeinplätze – allerdings ist die Passage mit dem Recht schon wieder so eine Sache, wenn man bedenkt, wie oft die Kirche schon verhindert, dass ihre päderastischen Hirten zur Verantwortung gezogen wurden. Recht und Gesetz ist halt eher was für Politiker als für Kleriker, richtig?
Wir Deutsche wissen es aus eigener Erfahrung, dass diese Worte nicht ein leeres Schreckgespenst sind. Wir haben erlebt, dass Macht von Recht getrennt wurde, dass Macht gegen Recht stand, das Recht zertreten hat und dass der Staat zum Instrument der Rechtszerstörung wurde – zu einer sehr gut organisierten Räuberbande, die die ganze Welt bedrohen und an den Rand des Abgrunds treiben konnte.
Richtig, es gibt diverse Beispiele dafür. Herr Ratzinger spielt vermutlich auf die Nazizeit an, nicht auf die Hexenverfolgung, aber er hat natürlich Recht.
Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers. In einer historischen Stunde, in der dem Menschen Macht zugefallen ist, die bisher nicht vorstellbar war, wird diese Aufgabe besonders dringlich. Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen. Wie erkennen wir, was Recht ist? Wie können wir zwischen Gut und Böse, zwischen wahrem Recht und Scheinrecht unterscheiden?
Mit Ethik Herr Professor Ratzinger, ganz einfach, wir sind nämlich vernunftbegabt. Allerdings mit den Entitäten Gut und Böse herumzuspielen, ist jetzt wenig philosophisch, so eine ungenaue Denkart. Die Kategorien könnten auch ein bisschen weniger aufgeladen sein, zum Beispiel „ethisch richtig“ und „ethisch falsch“. Einfaches Beispiel: Wenn ein homosexuelles Paar extrem viel Spaß im Bett hat ist das ethisch richtig, wenn man Kinder befummelt und vergewaltigt, seine Macht zur eigenen Befriedigung nutzt, dann ist das ethisch falsch.
In einem Großteil der rechtlich zu regelnden Materien kann die Mehrheit ein genügendes Kriterium sein. Aber dass in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig: Jeder Verantwortliche muß sich bei der Rechtsbildung die Kriterien seiner Orientierung suchen.
Moment, da versteh ich schon wieder was nicht, „Mehrheitsprinzip nicht ausreicht“? Also die Fälle, in denen Demokratie doof ist?
Dann zitiert Herr Ratzinger Origenes, kommt darauf, dass man „gottlose“ Gesetze nicht befolgen sollte.
Von dieser Überzeugung her haben die Widerstandskämpfer gegen das Naziregime und gegen andere totalitäre Regime gehandelt und so dem Recht und der Menschheit als ganzer einen Dienst erwiesen. Für diese Menschen war es unbestreitbar evident, dass geltendes Recht in Wirklichkeit Unrecht war. Aber bei den Entscheidungen eines demokratischen Politikers ist die Frage, was nun dem Gesetz der Wahrheit entspreche, was wahrhaft recht sei und Gesetz werden könne, nicht ebenso evident.
Das „Gesetz der Wahrheit“ … gibt es nur eine? Ach, Herr Ratzinger, bitte, wir wissen doch, dass es Millionen verschiedene Wahrheiten gibt, jeder hat seine. Ich versuche mal, ihre hochphilosophische Rede hier zu übersetzen: Sie als Demokraten können ja alles Mögliche beschließen, aber es gibt ein wahres Gesetz, an dass sie sich besser halten würden.
Was in Bezug auf die grundlegenden anthropologischen Fragen das Rechte ist und geltendes Recht werden kann, liegt heute keineswegs einfach zutage. Die Frage, wie man das wahrhaft Rechte erkennen und so der Gerechtigkeit in der Gesetzgebung dienen kann, war nie einfach zu beantworten, und sie ist heute in der Fülle unseres Wissens und unseres Könnens noch sehr viel schwieriger geworden. Wie erkennt man, was Recht ist?
Nur, indem man dem wahren Gesetz folgt, richtig, Herr Ratzinger? Gut, man könnte einfach auch nachdenken, aber damit würde man ihre Anbeter in den Reihen der CDU/CSU auch überfordern, richtig?
In der Geschichte sind Rechtsordnungen fast durchgehend religiös begründet worden: Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist. Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen – auf den Zusammenklang von objektiver und subjektiver Vernunft, der freilich das Gegründetsein beider Sphären in der schöpferischen Vernunft Gottes voraussetzt.
Ja, da kommt es: Das wahre Gesetz ist natürlich das, was der Herr Ratzinger in Rom ex cathedra verkündet, und, na, den kleinen Seitenhieb auf den Islam verstanden? Ja, da gibt es ein religiöses Gesetz und es ist genauso hinterwäldlerisch, wie das, was der Herr Ratzinger so verkündet. Ist ja auch nicht so, als ob die Kirche sich irgendwann in die Gesetze der Menschen gemischt hätte … *hüstel* … über Jahrhunderte hat Rom die Gesetze diktiert, und neben dem weltlichen Gericht die Inquisition auf die Menschen losgelassen, eine Abteilung, die Herr Ratzinger gut kennt, war er doch lange genug der Chef ebendieser Abteilung.
In den nächsten Absätzen, die ich hier mal unterschlage, schlägt Herr Ratzinger eine Brücke von vorchristlichen Philosophen über spätrömisches und mittelalterliches Recht hin zu Aufklärung und unserem Grundgesetz. Er erwähnt dabei nicht, dass die Aufklärung den Vatikan noch nicht erreicht hat. Bagatellen … Herr Ratzinger vergisst, vermutlich seinem hohen Alter geschuldet, die Inquisition, die antisemitischen Gesetze des christlichen Mittelalters, und die vielen anderen direkten Einmischungen der Kirche in die weltlichen Gesetze und erzählt ein Märchen davon, dass die die Kirche sich schon immer auf die Seite der Philosophie gestellt hätte, dass es ein weltliches Gesetz geben müsste, dass quasi säkular ist. Recht fantasievoll.
Dann wird es mir natürlich zu hoch, habe keine Lust mir da einiges an Background anzulesen. Interessant ist der Schluss, den Herr Ratzinger zieht:
Deshalb müssen Ethos und Religion dem Raum des Subjektiven zugewiesen werden und fallen aus dem Bereich der Vernunft im strengen Sinn des Wortes heraus.
Über viele Umwege ist der alte Herr also dazu gekommen, dass Ethik und Religion quasi das gleiche ist, und dass man sie nicht mit Vernunft fassen kann. Das stimmt nicht. Die Ethik fußt auf wenige Axiome, quasi wie die Mathematik, und die Religion darauf, dass man an sprechende Schlangen und Leute glauben muss, die über Wasser laufen und von den Toten auferstehen – na, merkste was?
Wo die positivistische Vernunft sich allein als die genügende Kultur ansieht und alle anderen kulturellen Realitäten in den Status der Subkultur verbannt, da verkleinert sie den Menschen, ja sie bedroht seine Menschlichkeit. Ich sage das gerade im Hinblick auf Europa, in dem weite Kreise versuchen, nur den Positivismus als gemeinsame Kultur und als gemeinsame Grundlage für die Rechtsbildung anzuerkennen, alle übrigen Einsichten und Werte unserer Kultur in den Status einer Subkultur verwiesen und damit Europa gegenüber den anderen Kulturen der Welt in einen Status der Kulturlosigkeit gerückt und zugleich extremistische und radikale Strömungen herausgefordert werden.
Ah, wie scheinen dem Kern näher zu kommen. Versuchen wir noch mal eine kleine Übersetzung: Da, wo man die Vernunft in den Mittelpunkt stellt und andere Strömungen, zum Beispiel mittelalterliche Moralvorstellungen, an den Rand, da wird man kulturlos, da ich ja als Papst die „wahre“ Kultur verkörpere. Und weil in anderen Ländern fundamentalistische geglaubt wird, werden die Ungläubigen kulturlos untergehen. Noch konkreter: Rüstet euch zum Kreuzzug, die Muselmanen kommen. Ja, ich vereinfache, aber was glaubt ihr, soll mit dieser Rede gemacht werden?
Die sich exklusiv gebende positivistische Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen kann, gleicht den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht selber geben, beides nicht mehr aus der weiten Welt Gottes beziehen wollen. Und dabei können wir uns doch nicht verbergen, dass wir in dieser selbstgemachten Welt im Stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten. Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.
Ach so, und dazu sollen wir uns in die katholische Enge begeben? Ich geh dann doch lieber spazieren, da krieg ich echte frische Luft und muss mein Gehirn nicht abgeben.
Dann kommt das Lob an die Grünen, wie süß, und die sind ja auch drauf reingefallen, wie man hört. Herr Ratzinger kommt nämlich über die richtige Einsicht, dass Ökologie nicht unwichtig ist – immerhin, seine Kollegen aus dem evangelikalen Bereich berufen sich auf „Macht euch die Erde untertan“ und sind eh davon überzeugt, dass das Ende der Welt so nahe bevor steht, dass es sich nicht mehr lohnt, die Umwelt zu schützen, gut, so dumm ist Herr Ratzinger nicht – zu der etwas seltsamen weiteren Einsicht, dass es eine Ökologie der Menschen geben muss:
Ich möchte aber nachdrücklich einen Punkt noch ansprechen, der nach wie vor weitgehend ausgeklammert wird: Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muß und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.
Na, hört doch mal, was er sagt! Der Mensch muss seine Natur achten, Ratzingers Anhänger auf kreuz.net sagen das gleiche, nur ein wenig undiplomatischer, da heißt es dann: „Verreckt, ihr gottverdammten Homos!“ Ja, der Ratzinger ist ein Intellektueller, der kann seine Phobien viel differenzierter ausdrücken und ein ganzes Parlament klatscht.
Ich springe jetzt etwas großzügiger, meine Aufmerksamkeit schwindet und ich habe auch noch anderes zu tun.
Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas. Sie hat im Bewußtsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen Maßstäbe des Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist.
Euphemismus ick hör dir trapsen … ach nein, das ist einfach gelogen. Die unantastbare Würde des Menschen hat die Kirche noch nie interessiert. Das sagt ein Papst, der Exorzisten ausbilden lässt! Der lieber Menschen millionenfach an AIDS krepieren lässt, als dass sie sich ein Tütchen über den … ach, komm, das ist einfach widerlich.
Diese Rede hat nicht viel versöhnliches, eher einiges verführerisches. Man kann auf die Dialektik des Herrn Professors reinfallen, man kann es aber auch lassen. Also lassen wir es doch einfach.
Quick – Zensur in der Grundschule
Schreiben, so lange der Zorn noch raucht. Ein befreundeter Autor, der wie ich als Künstler in Schulen geht, und dort im Gegensatz zu mir – ich mach da Theater – mit Grundschulkindern Bücher schreibt, erzählte mir gerade chattend die Geschichte seines letzten Projektes. Und wie sagt man in Bonn? Nun habe ich einen Hals von hier bis Koblenz! (Ja, auf Bönnsch klingt es besser)
Was also war passiert? Ein kleiner Junge, wie gesagt, Grundschüler, hat eine kleine unheimliche Geschichte geschrieben, in der fast nebenbei zwei Personen Sex haben, und oh Wunder, dabei nackt sind. Beide Worte, „nackt“ und „Sex“ hat der Junge dabei benutzt, und weil der Kollege nichts von Zensur hält, hat er die Geschichte mit ins Buch übernommen. Er sagt, klar, das ist keine gute Geschichte, aber es ist nun mal in dem Kindd vorhanden, also druck ich es auch ab.
Wir arbeiten für das NRW-Landesprojekt Kultur und Schule, und damit folgt er durchaus dem, was wir als Künstler tun sollen. Wir werden vom Land dafür bezahlt, als Künstler in die Schulen zu gehen, künstlerisch und nicht pädagogisch zu denken, und dieses Denken auch den Kindern zu vermitteln. Wenn man also die Grundidee hat, die Schreibergebnisse von Kindern zu einem Buch zu machen, dann müsen auch die dunklen Geschichten, die in Kindern auch zu Hause sind, mitveröffentlicht werden. Alles andere wäre inkonsequent.
Als das Buch dann allerdings der Schulleiterin in die Hände fiel, wurden Kind und Künstler scharf angegriffen, man ging mit einem Edding ans Werk, das Anstößige zu tilgen. Der Junge wurde bloßgestellt.
Ich frage mich, wie gar nicht so selten, was manche Leute sich erlauben und was sie meinen, was man Kindern vorleben soll. Zensur ist furchtbar, das Kind tut mir leid, der Kollege natürlich auch, kein Wunder, dass er kaum noch Motivation fühlt, sein diesjähriges Projekt (glücklicherweise an einer anderen Schule) anzutreten. Offenbar geht es der Schulleiterin nur um die Fassade, die man nach Außen zeigt. Sicherlich hätte sie sich gerne mit einem braven Buch geschmückt, auch wenn sie zum Gelingen des Projektes nichts beigetragen hat – das gab es nicht und so heißt es jetzt „Schadensbegrenzung“ statt einfach mal zuzulassen, dass Kinder auch mal ihre schwierigen Gedanken auf Papier und in die Öffentlichkeit bringen.
Was bringt man mit einer solchen Aktion denn Kindern bei? Dass es besser ist, über „sowas“ nicht zu sprechen? Dass man „sowas“ nicht tut? Aus welchem Mittelalter ist die Frau entlaufen?