Archiv für den Monat Oktober 2011
Wann haben wir uns so an Lügen gewöhnt?
Alle reden über Lustreisen, ich nicht. Dass der Spiegel meint, die Berliner Piraten und ihre Reise nach Island in Grund und Boden zu schreiben, ist bedauerlich, aber letztlich nur ein Zeichen dafür, wie tief der Spiegel gesunken ist.
Aber was mich vielmehr interessiert, ist die Frage, die ich in der Überschrift gestellt habe. Gestern Abend habe ich mich wie fast immer größtenteils aus dem Thema Fernsehen rausgehalten, bekam dann aber ein Interview mit Gesine Lötzsch auf die Nase gebunden, nur weil ich nicht umhin konnte, danach „druckfrisch“ ansehen zu wollen. Und dieses Interview, das ein ganz normales Politikerinterview war, nichts Besonderes, sie antwortet nicht auf die Fragen, die ihr gestellt werden, sondern auf die, die ihr irgendwelche Stimmen im Hinterkopf stellen, dieses Interview ist der Auslöser, warum ich mir diese Frage stelle. Jedes Wort, das Frau Lötzsch aussprach war Taktik, das meiste davon auch noch mit einem Lächeln ausgestoßen, dass absolut falsch war. Nicht schlecht geschauspielt, aber auch nicht glaubhaft.
Ich will eigentlich gar nicht auf Frau Lötzsch einprügeln, sie tut doch nur, was alle machen. Wann hat man denn das letzte Interview gehört, in dem ein Politiker der Etablierten irgendwas gesagt hat, was ehrlich geklungen hätte? (Mit Sicherheit nicht bei Jauch, oder?) Alles ist Taktik, alles ist letztendlich Lüge. Fragen werden nicht beantwortet, und da hilft es auch nicht, wenn die Politiker der Grünen oder Linken es schon mal schaffen, eine gehörige Ironie in ihre Aussagen zu packen – sie lassen merken, wenn sie taktieren, statt einfach mit dem Taktieren aufzuhören. Man hat das Gefühl, dass es in der ganzen Welt keine Menschen mit weniger eigener Meinung gäbe, als deutsche Politiker. Wahrscheinlich auch, weil die Journalistendarsteller in weiten Teilen der BRD schon vor längerer Zeit aufgehört haben nachzudenken, und stattdessen jeden innerparteilichen Konflikt zu einer Geschichte aufbauschen, anstatt sich um die Inhalte zu kümmern. Kein Wunder, dass wir deswegen von einer Kanzlerin regiert wird, die andauernd ihr Fähnchen in den Wind hängt, das Land zu Tode langweilt, aber auf das Regieren weitestgehend verzichtet – und dafür gute persönliche Umfrageergebnisse bekommt.
Die Politk ist glatt und ölig, inhaltsleer, meinungsleer, weil man einfach beim Wahlvolk keine Stimmung gegen sich erzeugen will – man nimmt lieber hin, dass es gar keine Meinung mehr gibt, dass die Hälfte der Menschen einfach gar nicht mehr wählt, dass die Demokratie sich immer weiter aushöhlt – man hat sich so wunderbar mit den Lobbys eingerichtet, gibt die Verantwortung lieber an die Banken und Konzerne ab, dann braucht man selbst nicht denken, und wird wiedergewählt.
Ist es da ein Wunder, wenn man Pirat wird? Ist es ein Wunder, wenn Piraten gute Umfragewerte bekommen? Da sind die kleinen unterschwelligen Konflikte der anderen Parteien gleich Shitstorms, die Sprache gerne mal rau und direkt, und wenn man gefragt wird, was man zu einer Sache meint, dann sagt man seine Meinung – und kriegt von der Partei garantiert auf die Nase. Und wenn man nach Informationen gefragt wird, die man nicht weiß, dann sagt man, dass man sie nicht weiß … einfach so … geht auch, oder? Nein, die Piraten dürfen sich nicht professionalisieren, wir müssen für Ehrlichkeit stehen, wir dürfen auch mal schlecht aussehen, wir dürfen auch mal nicht weiterwissen, und wenn ein paar zukünftige Parlamentarier quasi embedded journalists auf eine Islandreise mitnehmen, dürfen sie sich auch noch wundern, dass sie von diesen dann in die Pfanne gehauen werden – hey, aus Fehlern lernt man. Und ich halte es einfach für richtiger, wenn man mit ehrlichen Antworten mal auf die Nase bekommt, als wenn man aalglatt ist, und nur weiter den Menschen zeigt, dass Politiker sich so weit von den Menschen entfernt haben, dass es einfach nur noch schmerzt.
Quick – Rammstein-Konzert verboten …
In München wurde ein Konzert der freundlichen Musikanten von Rammstein verboten. Also nicht ganz, aber am 20. November. Weil da Totensonntag ist. Mich kotzt das an, tut mir leid. Ich mein, es tut doch keinem weh, oder? Wenn irgendwem dieser Totensonntag so wichtig ist, dann muss er ja nicht hingehen, oder? Münchener Behörden? Was tut Euch eigentlich weh? Was stimmt mit Euch nicht?
Es gibt da in unserer Gesellschaft eine Kultur der Zensur. Finde ich echt widerlich. Es gibt einfach keinen vernünftigen Grund für so eine Aktion.
Quick – Aktuelle Stunde / Brandanschläge / 0zapftis
Juhu, das Abendland geht mal wieder unter … also mindestens. Wenn man heute in der aktuellen Stunde des Bundestages den Politkern der Koalition zugehört hat – was, wie ich zugebe, ermüdend war – dann musste dieser Eindruck entstehen. Es ging um brennende Autos, von denen keiner so genau weiß, wie politisch die Taten motiviert sind, und die Brandanschläge auf die Bahn, zu der sich eine linke Gruppe bekannt hat.
Natürlich wurden beide tatbestände in einen Topf geworfen und linken „Terroristen“ angelastet. Die Parteien der Opposition haben die Sache relativ ruhig und vernünftig eingeordnet, die Regierungsparteien schoben Panik.
Da bei den besagten Vorkommnissen weder jemand verletzt wurde, noch es jemals beabsichtigt war, jemanden zu verletzen, halte ich den Terror-Vorwurf auch für reine Panikmache. Das tut sogar der Bundesstaatsanwalt – ich denke, der ist da ein netter Kronzeuge.
Als ich von den Brandanschlägen hörte, habe ich mich persönlich einigermaßen geärgert. Ich glaube auch, dass die Ziele, die in dem Bekennerschreiben angegeben wurden, redlich und richtig sind, aber ich halte die Vorgehensweise für sinnlos und falsch. Ich befürchte, dass Menschen durch solche Sabotageaktionen nicht zum Nachdenken sondern zum Ärgern angeregt werden, und das ist ja wohl nicht das Ziel, odeR?
Aber ich habe mich noch mehr geärgert, als einer der letzten Redner, ich habe den Namen schnell wieder verdrängt, sich darüber ärgerte, dass die laut ihm in der aktuellen Stunde gestern „aufgeklärte“ Affäre um den Bundestrojaner – wenn ich nicht so wütend gewesen wäre, hätte ich da laut gelacht – mehr Öffentlichkeit bekam, als die Brandsabotage.
Sorry, aber das stimmt nicht! Wenn gleich mehrere Innenminister, die das Grundgesetz schützen sollen, einen klaren Verstoß gegen selbiges verharmlosen, anstatt ihn zu verantworten, dann ist das ein echtes Problem für unser Land. Das ist eine deutlich größere Gefahr für unsere Verfassung, als wenn ein paar Überspannte Brandsabotage verüben.
Quick – Herrmann / Friedrich / 0zapftis
Es ist grotesk! Nichts anderes als grotesk. Die Innenminister der BRD und des Freistaates Bayern sehen sich im Recht. Nach klassisch-Kohl’scher Manier sitzen die das Problem Bundestrojaner aus. Und was sagen sie?
Sie sagen, sie wüssten nicht, was für eine Software dem CCC vorgelegen hätte. Offenbar sind ihre Leute nicht in der Lage den veröffentlichten Code zuzuordnen. Entweder in den IT-Abteilungen der Innenministerien sitzen völlige Schwachköpfe, oder – in diesem Fall Herr Friedrich – lügt.
Sie sagen, dass alle Funktionen des Trojaners nötig sind, dass man die Gesetze ändern müsse, wenn die Funktionen nicht vom Gesetz gedeckt sind. Manchmal werden Innenminister auch Verfassungsminister genannt, denn sie sind es ja insbesondere, die das Grundgesetz schützen müssen. Die Funktionen, von denen die Herren Innenminister da sprechen, sind vom Verfassungsgericht verboten worden. Es ist das Grundgesetz, was dafür geändert werden müsste. Wenn man meint, dass der Bundes- Staats- oder Sonstwietrojaner, den der CCC analysiert hat, so in Ordnung geht, der befürwortet ganz klar den Verfassungsbruch und ist somit dringend als Verfassungsfeind und Extremist zu bekämpfen!
Ach, das ist zu hart? So wird es aber andauernd mit denen gemacht, die sich gegen Nazis engagieren, und nicht gegen das GG. Vielleicht sollten wir langsam mal aufwachen …
Urheberrecht / freie Kunst
Ich bin Pirat, erst seit einer Woche, aber ja, ich bekenne, ich bin Pirat, und ganz prinzipiell bin ich auch der Meinung, in der richtigen Partei zu sein. Wenn man als Kreativer allerdings in die Piratenpartei geht, bekommt man erst mal Gegenwind aus den eigenen Reihen. Also nicht den eigenen Parteireihen, sondern dem kreativen Freundeskreis. „Die wollen uns das Urheberrecht nehmen, die kann man doch nicht unterstützen!“
Nun gibt es wirklich einige Piraten, die der Meinung sind, dass man begründet den Urhebern das Recht auf ihre Urheberschaft – auf das Copyright, auf die Nutzungsrechte – nach zehn Jahren abnehmen darf. Bevor ich in den Kommentaren unendlich getrollt werde, erkläre ich, was gemeint ist. Es gibt da die abstruse Meinung, dass es vollkommen ausreichen würde, wenn die Urheber kreativer Werke nach zehn Jahren kein weiteres Recht auf die exklusive Vermarktung ihrer Werke haben. Wenn ich im Folgenden nicht immer juristisch richtig mit den Begriffen Urheberschaft und Urheberrecht umgehe, liegt das an meiner fehlenden juristischen Kenntnis, aber ich denke, wer verstehen will, was ich schreibe, der wird das problemlos tun.
Das klingt seltsam, ist es auch. Schreibt man also ein Buch, dann darf man zehn Jahre lang versuchen, damit Geld zu verdienen, danach ist es quasi gemeinfrei, jeder kann es nachdrucken und damit viel Geld verdienen. Man fragt sich berechtigt, wieviel die Verlage diesen Piraten für ihre Meinung bezahlt haben, denn natürlich wären die Verwerter, die jetzt schon oft alles versuchen, Urheber zu übervorteilen, die Nutznießer dieser Idee. Ja, man könnte die Inhalte auch frei tauschen. Aber es gibt eben auch Märkte, wo über viele Jahre Geld mit den Werken gemacht werden kann, und dann freuen sich natürlich die Verwerter. Von der Gefahr, dass viele Verlage Bücher ablehnen würden, um sie dann zehn Jahre später aus der Schublade zu holen, ganz zu schweigen. Man könnte als Autor ja nicht mal mehr Manuskripte zu Verlagen schicken, weil es keine Sicherheit gäbe, dass die Bücher nicht nach Ablauf der Schutzzeit doch noch veröffentlicht würden.
Was hier breit verneint wird, ist die Investition, die der Urheber tätigt. Wenn jemand ein Haus baut, dann wird ihm niemand seine Rechte auf dieses Haus absprechen. Das Haus, das der Urheber baut, ist ein geistiges. Es steckt Arbeit und Leidenschaft hinein. Er steckt viel Zeit hinein, in der er auch anderweitig Geld verdienen könnte. Also muss diese Investition von Zeit, Kraft und Geld auch bei ihm bleiben.
Ich frage mich immer, was die, die am liebsten gar keinen Schutz der Urheberrechte hätten, machen würden, wenn man sie versklaven würde. Denn darauf läuft es hinaus. Man bemächtigt sich einfach der Arbeitskraft von anderen. Und mit Künstlern ist das auch noch total praktisch: Die lieben was sie tun. Die müssen weitermachen, die können einfach gar nicht anders. (ich versuch das mal so zu erklären: Ich bin schon aus Konzerten rausgegangen, weil ich eine Idee aufschreiben musste, und jeder Schriftsteller, egal, ob er davon leben kann oder nicht, kennt die Situation, dass man am nächsten Morgen früh raus muss, und trotzdem bis drei Uhr an irgendwas arbeitet, was einem gerade einfach keine Ruhe lässt.) So etwas kann man natürlich sehr schön ausnutzen. Das tun eigentlich schon die Verwerter – ja, es gibt auch Verlage die fair sind, reine Verwerterschelte will ich auch nicht ablassen, aber wenn ein landläufiger Autor von einem Taschenbuch für 6,80 Euro nur fünfzig Cent bekommt – hab ich die Tage gelesen – dann ist das schon verdammt wenig. Und jeder, der sich aus dem Netz alle möglichen Inhalte saugt und dabei kein schlechtes Gewissen hat, der ist eben auch so ein Blutsauger, der es in Ordnung findet, wenn andere umsonst für ihn arbeiten.
Ist auch so eine Sache, wo man sich dann gerade als Mitglied einer Fortschrittspartei wie den Piraten positionieren möchte. Zurück ins Mittelalter, der Künstler muss sich einen Mäzen suchen? Durch die Urheberrechte hat zumindest ein kleiner Teil der Künstler ein unsubventioniertes Auskommen, ist doch auch mal nett.
Aber es muss wirklich eine Reform der Urheberrechte geben, das sehe ich durchaus auch so. Ich seh den Ansatz nur woanders. Zum Beispiel finde ich es in Ordnung, wenn die Urheberschaft mit dem Leben endet. Man spricht vom Tod ja so gern vom Ender aller Dinge. Ich finde auch Erbschaft so eine Sache. Wer Geld hat, der profitiert gerade bei uns schon durch eine bessere Ausbildung, muss er dann auch noch nach dem Tode der Eltern deren Vermögen erben? Von daher finde ich auch das Nutzen der Urheberrechte durch die Nachkommen – was man heute auf siebzig Jahre nach dem Tod festgeschrieben hat – für überarbeitenswert.
Vor allem finde ich aber ein typisches Piratenargument sehr wichtig: Um die Breite der künstlerischen Möglichkeiten zu fördern, muss es einfacher werden, zu zitieren, Werke anderer zu verarbeiten, quasi zu remixen – aber eben nicht nur in der Musik. In der Kunst geht es ja häufig um die Verarbeitung anderer Werke, anderer Ideen, und das wird teilweise extrem erschwert. Wenn jemand einen Roman liest, den toll findet, und daraus einen Film, ein Theaterstück oder meinetwegen auch ein interaktives Songprojekt machen will, dann soll er das meiner Meinung nach tun dürfen. Einfach so. Natürlich muss er dranschreiben, worauf es basiert und natürlich muss er auch einen Anteil an seinen Einnahmen abgeben, aber man darf es ihm nicht verweigern – denn das behindert ja die freie Kunst, und die finde ich schon sehr wichtig. (Es sollte allerdings die Möglichkeit geben, dass man auf seine Namensnennung verzichtet. Wenn ich mir vorstelle, dass aus einem Kinderstück von mir jemand einen Pornofilm dreht, dann möchte ich nicht mit meinem Namen drunter stehen.)
Das würde auch bedeuten, dass einem Regisseur niemand verbieten könnte, ein spezielles Stück zu spielen, dass Comickünstler aus Filmen und Romanen Graphic Novels machen könnten, dass also Stoffe oft aus ganz anderen Perspektiven beleuchtet werden. Dass da ganz viele Hürden abgebaut würden, und alle Urheber für diese Vorteile natürlich auch die Kröte schlucken müssten, dass sie plötzlich aus Trivialisierungen ihrer Werke Tantiemen bekämen. Aber zwei Medaillen gibt es ja immer. – Ich weiß übrigens dass es hier noch ein weiteres Problem gibt, nämlich die Frage, wie viel man denn abgeben muss. Darauf habe ich auch noch keine ganz genaue Antwort, im Moment denke ich über feste Anteile an den Einnahmen nach – das wäre wohl am fairsten, wäre aber auch oft schwierig nachzuvollziehen.
Vielleicht wäre das auch eine Möglichkeit, mit der man die wirklich unfaire Verhandlungssituation der Künstler gegenüber den Verwertern verbessern könnte. Wenn man feste Anteile vorschreibt – ja, das ist nicht gerade libertär gedacht – dann kann man auch auf alle Exklusivrechte für Verlage verzichten, auf jegliche Form des Buy-Out-Vertrages. Warum soll ein Buch nicht bei drei Verlagen erscheinen, wenn sie es alle drucken wollen? Man müsste ja sogar klar eine Veräußerung von Verarbeitungsrechten ausschließen – das ist einerseits ein Problem, denn der Künstler bekommt dann keine Vorschüsse mehr, andererseits kann man aber auch nicht mit ein paar wenigen Euronen abgespeist werden, wenn der Verlag oder Publisher dann hinterher jede Menge Kohle macht.
Freie Kunst ja, unbedingt, und bitte viel freier, als sie heute ist, aber bitte nicht die Investitionen des Künstlers einfach enteignen – jeder möchte doch die Früchte seiner Arbeit genießen können. Freie Kunst, freie Künstler, freie Piraten, keine Sklavenhändler!