Archiv für den Monat Juni 2012
Caligula / Tollmut Theater / Siegen
Eine Bühne voller Rindenmulch, eine kleine schmächtige Person, die ein Grab formt, während das Publikum noch die Plätze einnimmt – so fängt „Caligula“ an, ein Theaterstück, zu dem ich diese Woche entführt wurde – Danke übrigens! Im kleinen Saal des LYZ in Siegen spielte eine studentische Gruppe mit dem schönen Namen Tollmut Theater, welches man übrigens auch im Internet finden kann: www.tollmut-theater.de
David Penndorf, Regisseur und Mastermind des Projekts, hat Camus‘ Stück überarbeitet, mit Gedichten gepaart, und lässt das Stück von einer talentierten Gruppe spielen, die viel Substanz in das Stück bringt. Die Bühne karg – wie ich es mag – die Kostüme schlicht und nur hier und da etwas aussagend, alles konzentriert sich auf Spiel und Text. Und letzterer ist irgendwie aktuell, es geht um Freiheit, um die eigene und die der anderen, um Herrschaft.
Es geht um den Kaiser Caligula, der als Scheusal von den Historikern überliefert ist, als ein Wahnsinniger. Und dieser Tyrann, dargestellt von Valerie Linke, ist auch das, ein Machtmensch, der mit den Leben der Menschen spielt, aber auch ein Träumer, ein zartes leidendes Wesen, ein unglücklicher Denker, der seine Position ausreizt, zu Dimensionen, die ihn von jeglicher Menschlichkeit befreien.
Neben dieser Figur bleiben alle anderen Figuren klein. Aber das liegt auch an Valerie Linke, die ein wahres Energiebündel, eine Intensität erreicht, von der mancher Profi nur mal irgendwann in der Schauspielschule gehört hat. So sehr muss sie sich zügeln, so sehr erwartet man das Explodieren in fast jedem Moment. Daneben wirkt Valerie Linke auch noch so zerbrechlich und verletzlich, dass sie trotz allen Wahnsinns eine Menge Sympathien bekommt. In der Pause lässt sich Caligual vom Publikum huldigen – hübsche Vermischung von Spiel und Pause übrigens – und diese Huldigungen sind auch der Schauspielerin sicher, die verdient sie.
Auch der lange Applaus am Ende ist verdient. Kluges Theater, literarisches Theater, aber auch berührendes und zu erfühlendes Theater, sinnliches Theater. Das ist richtig gut – auch wenn das Niveau der Hauptdarstellerin von den anderen Schauspielern nicht erreicht werden kann. Natürlich gibt es auch hier und da Leerlauf – und der ist vermutlich auch nötig, denn die nächste sehr dichte Szene kommt ja sicher. Insgesamt ist dieser Caligula ambitioniertes Amateurtheater auf hohem Niveau, und für eine studentische Gruppe sehr angenehm unverkopft.
Ein bisschen zu mosern habe ich auch, allerdings auf dem inzwischen sprichwörtlich hohen Niveau.. Keine Frage, dass die Hauptdarstellerin einen grandiosen Job macht, allerdings gibt es Momente, in denen wichtig ist, dass Caligula nun mal ein Mann ist – und da bekommt die Sache natürlich eine unfreiwillige Komik. Und sie ist nicht die einzige Frau, die einen Mann spielt. Vielleicht sollte David Penndorf da in Zukunft mehr drauf achten – hat man ein vorwiegend weibliches Team, und das auch noch mit einigen wirklich guten Darstellerinnen, dann sollte man doch auch weibliche Themen, Helden in den Mittelpunkt rücken – gerade hier, wo die Namen mit ihren lateinischen Endungen auch noch einen so deutlichen Genus haben, fällt das einfach unangenehm auf.
Die andere Sache ist was für Hobbyhistoriker: Caligula starb im Jahr 42, in Rom gab es also zu diesem Zeitpunkt keine christliche Idee. Dennoch tauchen christliche Symbole auf, dennoch kommen sehr christliche Ideen vor – die Illusion Rom wird davon zerstört, zumindest für Irre wie mich, die auf so etwas achten.
Ein paar Gedanken über Herrschaft
Eigentlich wollte ich was ganz anderes schreiben, aber das Thema, an dem ich die letzten Tage rumdenke, ist noch nicht fertig, und wirft hier den zweiten Ableger, die Sache mit den Todsünden kam auch daher.
Nun also Herrschaft. Ein Thema, über das wir meiner Meinung nach zu wenig nachdenken. Wen wir Herrschaft vom Beginn an denken, dann sind wir irgendwo im Bereich der Gewaltherrschaft. Ich glaube, die muss sich in grauer Vorzeit mal entwickelt haben. Ein charismatischer Mensch mit Kraft, Intelligenz und weiteren Vorzügen, hat mal ein Stück Macht übertragen bekommen, und Strukturen geschaffen. Und vielleicht folgten alle freiwillig, vielleicht hat er oder sie alle immer überzeugen können, in einer eher kleinen Gruppe ist so was machbar. Aber irgendwann braucht man einen Nachfolger, irgendwann werden die Strukturen größer, und wie beherrscht man dann? In dem man anderen sagt, dass sie furchtbar in die Fresse bekommen, wenn sie nicht spuren. Ist bis heute ein mehr oder weniger gut funktionierender Ansatz in der Kinderaufzucht.
Nun wird Gewaltherrschaft allgemein als unzivilisiert angesehen. Diktaturen sind nicht gern gesehen, es sei denn, sie verkaufen zuverlässig Öl. Also hat man andere Wege gesucht und gefunden, wie man herrscht. Im Mittelalter vielfach praktiziert wurde Herrschen durch Religion. Eine Methode, die man im Altertum schon hier und da ausprobiert hatte, Pharaonen und Kaiser wurden vergöttlicht, aber das funktioniert nicht sehr gut. Denn wie göttlich sie auch sein mochten, manchmal hatten sie Fieber und flüssigen Stuhl, das kann man nicht immer verbergen, und dann ist religiöse Verehrung so eine Sache – obwohl ich mir nicht sicher bin, ob eine Exkrementprobe von Karol Wojtyla nicht unter der Hand manchem Katholiken eine Menge Geld wert wäre. Aber ich schweife ab.
So richtig gut funktionierte Herrschaft durch Religion erst mit dem Christentum, auch der Islam ist übrigens praktisch – aber ich bleibe erst mal in Europa, und so lange gehört der Islam ja noch nicht zu Deutschland, richtig? Das Christentum hat ein paar sehr gute Forderungen an den Menschen. Zum Beispiel Gewaltlosigkeit, Feindesliebe, Armutsgebot – und alles das ist sehr praktisch für die Machthaber, die sich an solche Sachen garantiert nicht halten. Das Überbleibsel davon ist das C, dass die Unionsparteien im Namen führen, und ganz in der Tradition verhaftet, sind die es auch, die die christlichen Werte, die sie nach außen hin vertreten, am gewissenlosesten mit Füßen treten. Spektakuläre Rücktritte und Rauswürfe der letzten Zeit haben das mal wieder eindrucksvoll uner Beweise gestellt.
Was machte das Christentum? Es indoktrinierte Bescheidenheit und Schwäche in die Menschen hinein. Es sprach von Sünde – und was könnte praktischer sein, als wenn die, die herrschen, erst alle Sünden gebeichtet bekommen, wegen derer sie später die Beherrschten von der Kanzel herab anherrschen können – ja, das schwache Wortspiel war gewollt. Besonders die Leib- und Sexualfeindlichkeit, die einige antike Religionen für exakt genauso hirnverbrannt gehalten hätten, wie sie denn sind, ist ein wenig subtiles Mittel der Herrschaft. Wenn man vieles, was Menschen Spaß macht, was Menschen Lust bereitet, verdammt – und das ist wörtlich gemeint -, wenn man also den Menschen erklärt, dass sie wegen dieser Lust und wegen diesem Spaß nach ihrem Tode in eine ewige Hölle kommen, dann erzeugt das Angst, es demütigt – und beides macht Menschen beherrschbar. Es ist nicht klar, ob die Erfinder des Christentums, also hauptsächlich Paulus, genau das vorhatte, aber man hat diese Religion sehr bald als Instrument zu nutzen gelernt, und wenn der gute Benedetto im Bundestag gegen Schwule predigt (hab ich drüber gebloggt, Erklärungen findet man da), dann funktioniert das immer noch bei einigen Menschen sehr gut.
Als ich aufwuchs, war kein Mittelalter mehr, und obwohl die Gegend hier religiös infiziert ist, war das Christentum keine Möglichkeit mehr, die Menschen klein zu halten. Aber schon in der Grundschule habe ich verstanden, wie Atomwaffen so wirken, und wie viele es auf der Welt gibt und noch mehr gab. Und als der kalte Krieg keine Angst mehr einjagen konnte, da wurde Terror und die Angst vor dem Islam instrumentalisiert. Und dazwischen immer die Angst um Arbeitsplätze, die Angst vor Fremden, die Angst vor der Zukunft, vor der Zerstörung der Umwelt. ANGST!
„Angst essen Seele auf“, so heißt ein Film von Rainer Werner Fassbinder, und noch wichtiger ist die Erkenntnis, Angst macht beherrschbar. Und wenn man darüber nachdenkt, dann kommt man auch darauf, warum einige Sachen groß aufgebauscht werden, andere Sachen völlig egal sind. Es ist nicht nur so, dass tausende tote Kinder in Afrika eben in Afrika, also weit weg sind, und jeder Mord in Deutschland viel mehr zählt – also, wenn nicht gerade ein Dönerbudenbesitzer von Nazis erschossen wird -, weil es näher ist, nein, es geht auch immer um die Angst, die damit erzeugt werden kann.
Ja, das klingt gerade danach, als ob ich den Medien Absicht vorwerfe – nun, zum Teil mach ich genau das auch. Die Medienmacht wurde ein den letzten Jahren immer mehr auf einige wenige Konzerne konzentriert. Zweifel an manchen besonders wirtschaftlichen Dogmen, kommen überhaupt nicht mehr vor, obwohl namhafte Wissenschaftler anderes sagen. Ist irgendeinem etablierten Printmedium je aufgefallen, dass ESM grundgesetzfeindlich ist? Ist irgendwem aufgefallen, was man mit ACTA eventuell alles machen kann? Denkt irgendwer darüber nach, dass eine Schuldenbremse auch einen Investitionsstopp bedeutet? Welcher Redakteur schreibt denn so was freiwillig, und muss dann nicht befürchten, sein Hinterteil vor die Tür gesetzt zu bekommen?
Ja, ich bin mir relativ sicher, dass es eine Regierung neben der Regierung gibt – denn die regierende Koalition fragt doch nur danach, wie die Märkte reagieren. Es gibt Meinungsmacher in allen Medien, und und außerhalb der Bloggerszene gibt es wenige, die dagegen an schreiben. Und diese Meinungsmacher schüren immer wieder Angst, vor Krankheiten, vor wirtschaftlichem Niedergang, vor körperlicher Gewalt. Und man kann nur annehmen, dass das den Regierenden sehr gefällt.
Übrigens ist die Frage nach der Gewaltherrschaft auch nicht unspannend. Sieht man nämlich, wie teilweise maximal brutal „Sicherheits“-Kräfte zum Beispiel gegen Occupy vorgegangen sind, aber auch gegen S21-Aktivisten und viele mehr, dann weiß man, dass manche Demonstrationen mit staatlicher Gewalt so beendet werden sollen, dass auch hier Angst erzeugt wird. Ich wäre ja mal echt überrascht, wenn es ähnliche Einsätze gegen Nazidemonstrationen gäbe – aber die müssen ja immer vor den Gegendemonstranten geschützt werden.
Wir sollten dieses Herrschaftsgefüge, die Herrschaftsstrukturen, unbedingt im Auge behalten, etwas dagegen tun, wo immer wir können. Alle Gewalt sollte doch irgendwann mal vom Volke ausgehen, oder? Bleiben wir dran!
Christliche Werte, heute: die Sieben Todsünden
Die Hauptlaster der christlichen Religion sind Stolz, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Faulheit. Man nennt sie die Sieben Todsünden, was laut Wikipedia theologisch falsch ist. Aber es geht hier um ganz wichtige christliche Werte – natürlich in der Abgrenzung. Ein guter Christ ist all das nicht, nicht geizig, nicht stolz, wollüstig schon gar nicht, zornig höchstens auf Ungläubige, neidisch natürlich nur ganz im Geheimen, und faul, nein, faul sind nur die ausländischen Mitbürger, die nach dem Krieg den Deutschen geholfen haben, dieses Land wieder aufzubauen – aber ich schweife ab.
Eigentlich wollte ich mir mal anschauen, was diese Todsünden heute bedeuten, wie sie umgedeutet sind, ob sie immer noch Sünden sind. Denn eines muss klar sein, die religiösen Dogmen müssen heute immer noch in unserer Gesellschaft nachwirken – die werden nämlich durch Erziehung weitergegeben, die sind tief in unserer Psyche verankert, so tief, dass da auch ein paar Jahrhunderte Aufklärung noch nicht so viel dran geändert haben. Jetzt könnte ich Todsünde für Todsünde durchgehen, aber ich glaube, es gibt zwei Gruppen und einen seltsamen Außenseiter.
Der eine seltsame Außenseiter ist der Zorn. Der ist seit Georg Schramm bei denen, die dem politischen Kabarett zugetan sind, positiv besetzt, hier der Grund:
Ansonsten sind Zorn und Wut eher totgeschwiegen. Zorn und Wut sind sehr starke Gefühle, vielleicht die stärksten. Und sie sind unfein, werden an den Rand gestellt, gehören nicht zur Zivilisation. Andererseits muss man ihre Stärke natürlich respektieren. Wer ausrastet, dem kann man deswegen nicht so richtig böse sein, das kann jedem passieren – auch wenn es uns, den Zivilisierten, natürlich nicht passiert, wäre ja unfein. Ich drehe mich im Kreise.
Ich finde den Zorn wichtig, kenne aber andererseits auch meinen Jähzorn, und bin recht froh, dass ich den ganz gut unter Kontrolle habe. Nur durch Zorn wird etwas geändert. Man muss sich aufregen, damit man sich engagiert, damit man verbessern und verändern will. Wenn Tausende gegen Atomkraft, ACTA und ungezügelte Selbstbedienung der Reichen auf die Straße gehen, dann hat das mit Zorn zu tun. Und das ist alles richtig und wichtig.
Kommen wir zu den ehemaligen Todsünden. Stolz, Geiz, Neid – ja, Geiz ist geil, wie sollte ich hier um das Zitat herumkommen – sind heute akzeptiert. Manche glauben, es sei etwas wichtiges, stolz auf seine Herkunft, seine Religion oder sein Geld zu sein, Stolz ist auch Eitelkeit – und wie eitel ist diese Zeit? Nur schöne Menschen im Fernsehen, nur tolle Talente, großartige Menschen, ja, da muss Fett abgesaugt werden, dort die Brüste neu gemacht, hier die Zähne gerichtet. Der Stolz ist einer der Mittelpunkte unserer Zeit. Und was ist mit denen, die all dem nicht entsprechen? Die werden bei Frauentausch oder als einsame Bauern vorgeführt. Und Schäfer Heinrich tingelt über Schützenfeste … Fremdschämen ist zur Dauerbeschäftigung geworden, und das ist voll gesellschaftlich akzeptiert. „Nee, „Bauer sucht Frau schau“ ich nicht, aber das Dschungelcamp …“
Geiz und Gier sind eine weitere Triebfeder unserer Welt. Kapitalismus ist ja, so glaubt es der größte Teil der Bevölkerung, die einzige Möglichkeit einer Gesellschaft, warum? Weil es den Geiz, die Gier gibt, die den Kapitalismus antreibt. Hier merkt man, wie manche einstigen Todsünden weggedeutet wurden. Ups, den Neid wollen wir nicht vergessen – der ist allerdings der Gier so nahe, dass alles schon gesagt ist.
Geiz, Stolz und Neid sind heute nicht nur hoffähig, sie sind so wichtig in dieser Welt, dass das Dogma des Wachstums größer ist, als jedes kirchliche Dogma jeweils war. Jetzt ist natürlich die Frage nicht geklärt, ob sie Sünden sind? (Ich glaube nicht an Sünden, ich versuche das mal von seinem religiösen Überbau zu befreien: ) Sind diese drei ethisch problematisch? Nun, der Neid, gepaart mit der Eifersucht, das sind unangenehme Gefühle, falsche Antriebe. Wenn sie zu Taten führen – jeder kann ja Gefühle auch bei sich lassen -, dann sind diese Taten oft ethisch problematisch. Neide ich jemandem sein Leben, sein Auto, seine Frau, dann kann ich höchstens versuchen, all das auf ethisch vertretbarem Weg zu bekommen – was schon richtig schwierig ist. Neid ist doof, Eifersucht noch schlimmer – sie entstehen aus zu geringem Selbstvertrauen, sollten klein gehalten werden.
Der Stolz ist ethisch so lange kein Problem, wie er sich narzisstisch ganz auf sich selbst richtet. Dass die Wirtschaftswelt den Stolz und die Eitelkeit stärkt und eine konsumierende Oberflächlichkeit zur Norm erhebt, ist das größere Problem. Kinder und Jugendliche werden regelrecht zu stolz und Eitelkeit erzogen – und alle, die dem Bild nicht entsprechen, werden abgehängt, und das ist das größte Problem. Es werden Unterschiede zwischen Menschen künstlich aufgebaut – aber wir alle haben das gleiche Recht auf ein vernünftiges Leben, niemand ist besser, weil er irgendwas hat, auf das er stolz sein kann. Wenn man stolz sein will, dann soll man stolz auf das sein, was man erreicht hat, was man aufgebaut hat, wo man konstruktiv gewesen ist, wo man geholfen hat, wo man die Welt ein kleines bisschen besser gemacht hat.
Die Gier, der Geiz, die sind ethisch recht widerwärtig, weil sie darauf basieren, dass man anderen etwas wegnimmt, dass man etwas für sich behält – offenbar war den alten Religionsbastlern etwas Volkswirtschaftliches klar, was irgendwie in Vergessenheit geraten ist. Alle leben besser, wenn Geld und Gut möglichst vielen gehört, wenn alles fließt und keiner alles für sich haben will. Warum ist die Gier die auch ethisch schlimmste Todsünde? Na, weil die Gier aktiv die schädigt, denen man wegnimmt. Aktiv andere schädigen, ist schlicht unethisch.
Kommen wir zu den Todsünden, die noch nachwirken. Wollust, Völlerei, Faulheit, die gehen auch heute gar nicht. Die sind mehr als unfein, die sind gesellschaftlich geächtet. Interessanterweise sind das die „Sünden“, die ethisch alle drei eigentlich unproblematisch sind. enn ich davon ausgehe, dass niemand dabei geschädigt wird, dann ist an der Wollust doch nichts falsches, oder? Egal ob einer mit sich selbst, zwei oder auch mehr miteinander Lust ausleben, dann ist daran überhaupt nichts auszusetzen. Aber die gesellschaftliche Ächtung ist groß, auch wenn das Strafrecht da zum größten Teil aus der Moralfrage heraus ist. Die Religionen, die Konservativen, die haben alle mit zu viel ausgelebter Lust ihre Probleme. Egal ob der schwule Schützenkönig seinen Lebensgefährten neben sich marschieren haben will, oder ob ein CDU-Politiker eine Sechzehnjährige liebt – so was geht nicht.
Die Verteufelung der Lust ist ein geradezu geniales Herrschaftsmittel, das in unsere Zeit nachwirkt. Nicht umsonst spricht man davon, dass etwas „versaut“ ist. Sexualität wird tabuisiert, an den Rand gedrängt, lustvolle Menschen als „Schlampen“ beschimpft. Jeder fühlt sich „sündig“, „unrein“ oder „böse“, weil wir nun mal alle, oder doch zumindest fast alle, sexuelle Geschöpfe sind. Wie wunderbar kann man Menschen darüber klein kriegen.
Ja, die Völlerei wirkt auch nach. Glaubste nicht? Dann hör dir mal mit ein bisschen Aufmerksamkeit die Witze an, die über Reiner Calmund gemacht werden. Und dann überlege noch kurz, wie viele Prominente es noch gibt, die in etwa seine Gewichtsklasse haben, merkste selbst, wa?
Und die Faulheit? „Wer nicht arbeitet, braucht auch nicht essen!“ – ja, das klingt fast wie „Arbeit macht frei!“, ist aber von Müntefering, einem „linken“ Politiker. Wer einmal selbst keine Arbeit gehabt hat, der weiß, wie frustrierendes ist, wie problematisch – und er wird von der Gesellschaft auch noch eindeutig dafür geächtet. Dabei ist Faulheit unglaublich relativ. Die meisten Menschen sind manchmal faul, und manchmal fleißig. Fleiß ist ja auch eigentlich nur die Fähigkeit, sich zu unangenehmen Aufgaben zu überwinden. Was aber so richtig wichtig ist: Die Stunden der Muße, die faulen Zeiten, sind die Zeiten, in denen man zum Überlegen kommt. Gute Ideen entspringen oft der Faulheit – weil kein Mensch es aushält, über längere Zeit nichts zu tun, passiert der Antrieb irgendwann von selbst – zumindest, wenn man kein Fernsehen hat, um sich davon weg zu verblöden. Der Vorwurf der Faulheit, ist eben auch so ein Herrschaftsmoment. Weil die „Faulen“ eventuell mehr und bessere Ideen entwickeln, kann man sie von vornherein als faul diffamieren und muss nicht auf ihre Gedanken hören. Ich kenne übrigens keine fleißigen Philosophen … nur mal so am Rande.
Also was ist passiert? Die „Sünden“ die niemanden schädigen, sind immer noch höchst negativ konnotiert, die ethisch wirklich problematischen Verhaltensweisen sind heute kaum noch einer Sonntagsrede der Anklage wert. Ich gebe zu, das macht mich ein bisschen zornig.