Archiv für den Monat November 2013

Reading King: Das Leben und das Schreiben/On Writing

Ich habe einige Bücher von Stephen King, die ich schon mehrfach gelesen habe, dafür, dass es dieses Buch noch gar nicht soo lange gibt, ist On Writing dabei der definitive Spitzenreiter. Und dabei ist es ja noch nicht mal ein Roman, in dessen Geschichte man sich entführen lassen kann.

On Writing ist halb ein Buch über das Schreiben von Büchern – und man merkt immer wieder im Buch, dass es dieser Teil ist, der King wichtiger ist , und einer Autobiographie, die er mit seiner Lust am Erzählen farbig und bisweilen schonungslos mit seinem Leben füllt. Allerdings ist das Buch nicht zwei- sondern dreigeteilt, und das liegt an Kings Schicksal, von einem Pickup beim Spazierengehen fast umgebracht zu werden. Zu dem Zeitpunkt seines schweren Unfalls, war das Buch schon zu einem großen Teil fertig, und es war das erste, an dem King nach dem Unfall, Monate nach dem Unfall, wieder arbeitete. Also war es sicherlich für ihn keine Frage, diesen Programmpunkt noch einzuarbeiten.

King lässt sich in Karten gucken, so könnte man das Buch auch nennen. Er schildert Situationen in seinem Leben, die an Situationen in seinen Büchern erinnern – besonders einige frühe Kurzgeschichten, so bemerkt man schnell, sind stark autobiographisch. Er erzählt, wie er das Schreiben gefunden hat, wie er seine ersten Gehversuche unternahm, wie er an einem Nagel Ablehnungsschreiben von Zeitschriften sammelte. Und dazwischen immer wieder kleine Geschichten, deren Spuren man als treuer Leser schon lange gefunden hat.

Manchmal ist die Ehrlichkeit, mit der King über seine Drogenprobleme, seine überwundene Alkoholsucht schreibt, wirklich bedrückend. Wenn er schreibt, dass er sich nicht mehr an die Momente erinnert, in denen er „Cujo“ schrieb, dann kann das schon beklemmen.

Viel heller ist dagegen der Teil, der übers Schreiben selbst geschrieben steht. Und auch wenn es genügend ach so Intellektuelle gibt, die das literarische Potential Kings nicht sehen, King hat eine Menge über das Schreiben zu sagen. Er bekennt sich dazu, einen vorgefertigten Plot nur im Notfall zu nutzen, da ihm die vorherige Festschreibung der Story zu viel zerstört. Für King ist, und das Bild ist brillant, die Geschichte ein Fossil, dass man mit Geduld und feinen Werkzeugen freilegen muss – dagegen das Werkzeug „Plot“ ist für ihn der Presslufthammer, der zwar alles freisprengt, aber eben auch viel vom Fossil zerstört.

King spricht über den Werkzeugkasten, den man sich zum Schreiben aneignen muss. Er spricht über Stil und vor allem über das, was man alles falsch machen kann. Dabei zieht er selten über andere her, zeigt aber viele Beispiele, die natürlich im Original deutlich besser wirken, als in der Übersetzung. (Ich höre mir auch gerne die originale amerikanische Hörbuchfassung an, die King selbst eingesprochen hat.)

Wer selbst hier und da zur schreibenden Zunft gehört, der ist ein Adressat für dieses Buch, denn es sagt nicht nur, wie es geht – oder genauer, wie es für King geht, er sagt immer wieder, dass es sein Weg ist und andere sicher anders ihre Ergebnisse erreichen -, er macht auch Lust auf diese weite Welt der Fantasie, die man selbst erforschen kann. Er macht wirklich Lust aufs Schreiben.

Ansonsten ist das Buch natürlich auch für alle Fans ein Geschenk, ich mein, wir freuen uns doch schon seit vielen Jahren jedes Mal, wenn King mit uns in seinen Vor- oder Nachworten spricht, oder? So viel direkte Ansprache auf einmal, ein Muss!

Reading King: Joyland/Joyland

Im Moment bin ich ja ganz und gar von King gefangen, „Wind“ habe ich gerade gelesen, „Joyland“ nun gehört und im Moment ist es „Doctor Sleep“, der mich gefangen hält. Es darf übrigens mit Freude bemerkt werden, dass sowohl „Joyland“ als auch „Doctor Sleep“ auf Deutsch unter ihrem Originaltitel erschienen sind. Da wir wissen, wie schlecht deutsche Titel von King-Büchern sonst sind, muss man diesen wirklich positiven Aspekt laut herausposaunen.

Ich habe jetzt ein großes Problem, ich muss versuchen, nicht in totale Euphorie auszubrechen, halte ich doch „Joyland“ für eines der absoluten Meisterwerke Kings. Ich mach das mal mit der Inhaltsangabe einer Inhaltsangabe: Devin Jones kommt für einen Sommer in den Vergnügungspark „Joyland“, muss bald mit seinem Liebeskummer kämpfen, da er von seiner ersten Liebe verlassen wurde. Dann gibt es da noch den Geist in der Geisterbahn, der da herumspukt, seitdem sie vor wenigen Jahren dort ermordet wurde. Und es gibt noch einen Jungen im Rollstuhl, der Muskelschwund hat und bald sterben wird. Und das alles auf weniger als 300 Seiten.

King malt sein 70er Jahre Gemälde als Ich-Erzähler und das aus der Perspektive des nun schon in die Jahre gekommenen Devin Jones. Und in manchen Momenten ist dieses Buch eine Hommage an diese Zeit, eine Hommage sicherlich auch an Kings eigene Jugendzeit, und so voll unverfälschter Nostalgie, dass die melancholischen Rückblicke eines Philipp Roth Pate gestanden haben könnten – wenn Devin vom Tod seines Freundes Tom erzählt, mit dem er seit Joyland befreundet war, dann erreicht King problemlos ganz ähnliche Qualitäten wie Roth.

Aber es ist natürlich nicht nur das. Wäre Joyland nur Nostalgie, man bräuchte dieses Buch nicht. In der Oberfläche ist es auch Gespenstergeschichte, ist es auch Detektivgeschichte – und damit bringt es eine Menge Spannung mit. Es ist auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden, von Liebeskummer und Freundschaft, ja sogar von einem ersten Sex. Und es ist eine Geschichte vom Tod, von der Vergänglichkeit, die ihre morbiden Finger gerne mal an allen möglichen Stellen ins Bild schiebt.

Aber neben all dem gefällt mir persönlich eine ganz besondere Note in diesem Buch: Die Liebe zur Unterhaltung. Wie sagt Mr. Easterbrook, der uralte Besitzer von Joyland: Wir verkaufen hier Spaß, Sie haben das Privileg, einen Sommer lang Spaß zu verkaufen. Und natürlich tun das nicht nur die Schausteller vom alten Schrot und Korn, natürlich macht das auch King selbst in großem Maße – und King verneigt sich hier vor der Unterhaltung und allen, denen es am Herzen liegt, ihrem Publikum Erfahrungen zu vermitteln, Erinnerungen zu schenken, die etwas Besonderes sind. Keine Ahnung, wie viele Wochen oder Monate meines Lebens Stephen King ganz elementar mit seinen Büchern bereichert hat, wie viele tiefe Gefühle er mir verabreicht hat, wie oft ich gelacht habe, mich gegruselt, oder vor Spannung total nervös war. Wie oft er mir Spaß verkauft hat. Ich danke für jedes Mal!

Reading King: Wind / The Wind through the Keyhole

So, wieder mal ein Beitrag aus der Reading King-Reihe, heute geht es um ein recht neues Buch, den Wind durchs Schlüsselloch, gerne als Der Dunkle Turm 4,5 bezeichnet. Im Ablauf des Zyklusses steht dieser Roman also zwischen Band 4 „Glas“ und Band 5 „Wolfsmond“. King hat selbst gesagt, dass er einfach mal wieder an Mittwelt zurückgedacht hat und gemerkt hat, dass es hier noch eine Lücke gab, die er füllen konnte.

Das spannende an diesem Buch ist die Konstruktion einer Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte. Der Rahmen ist der gefährliche Stoßwind, der wie ein Blizzard in fünffach fies das Ka-Tet um Roland Deschain bedroht. Sie retten sich rechtzeitig in ein Steinhaus, dass sie gegen einen Temperaturabfall von locker fünfzig Grad abdichten. Dann müssen sie diesen Eissturm abwarten und Roland erzählt eine Geschichte aus seiner Jugend, die nicht lange nach der Geschichte um Susan Delgado spielt, die er in „Glas“ erzählt.

Roland macht sich im Auftrag seines Vaters nach Debaria auf, einem Außenposten, in dem ein sogenannter Fellmann, eine Art Werwolf, sein Unwesen treibt. Dort findet Roland Spuren seiner Mutter, die ja quasi von seiner Hand gestorben ist. Aber vor allem macht er sich auf die Verfolgung von Spuren des Fellmannes. Als der eine Farm überfällt und dort ein Blutbad anrichtet, findet Roland den einzigen Überlebenden, einen Jungen, dem er bald darauf eine der alten Geschichten erzählt.

Diese Geschichte ist eben „Der Wind durchs Schlüsselloch“, und diese Geschichte erzählt ein Märchen vom unerschrockenen Tim, der seinen Vater verliert, dem sein Stiefvater ungut mitspielt, und der vom Steuereintreiber – unzweifelhaft einer Inkarnation von Randall Flagg, dem dunklen Mann – auf die Fährte gesetzt wird, die ihn erkennen lässt, dass sein Stiefvater seinen Vater umgebracht hat. Daraufhin muss Tim noch viel mehr Abenteuer erleben, um, wie es sich für Märchen gehört, zu einem guten Ende zu kommen.

Die beiden Rahmenhandlungen sind wie bei King nicht anders zu erwarten, gut erzählt, die Geschichte vom Fellmann hat viel von dem Mittwelt-Charme, der auch „Glas“ auszeichnet, sind aber letztlich nur Bühnen für das Mittwelt-Märchen vom unerschrockenen Tim. Und dieses Märchen erklärt eine Menge über Mittwelt, ohne je erklärend zu sein. Und RF, der dunkle Mann, ist hier eindeutig als Mephisto unterwegs, ein Geist, der stets verneint, jedoch ausnahmsweise mal etwas Gutes anstößt. In dieser kleinen Geschichte werden wir Zeuge von Folklore einer verlorenen Welt, der großartigen Schöpfung Kings.

Letztlich kann man allerdings nicht davon sprechen, dass dieses Märchen weltbewegend an sich oder für den Zyklus wäre, „Wind“ fügt insgesamt einfach weitere Farben und Atmosphäre hinzu, erzählt einen Teil der Geschichte, der etwas hinzufügt. Man kann den Zyklus ohne „Wind“ lesen, man hat es schließlich schon getan, aber mit wird alles ein bisschen runder. Fast wirkt dieses Buch, mit 400 Seiten für King ja fast nur eine Fingerübung, ein wenig altersmilde, aber man spürt als Leser ohne weiteres, dass King, wie er selbst schreibt, eine Menge Spaß an diesem Buch hatte. Nicht weltbewegend, okay, aber ein Spaß.