Archiv für den Monat März 2015

Sechs Gedanken zu einem Flugzeugabsturz

  • Meine Empathie quält mich mit den Gedanken, die speziell das Bordpersonal während des Sinkfluges gehabt haben muss. Es ist unaussprechbar.
  • Der Copilot ist entweder psychisch implodiert, oder er war klar im Kopf und hatte eine Motivation, die wir wahrscheinlich nie herausfinden werden. Vor dem Ersteren ist niemand wirklich sicher, und letztlich kann man das dann unter schrecklichen Tragödien, die es immer geben wird, abhaken. Und wenn er so normal und zurechnungsfähig war, dass er das geplant und wissend gemacht hat? Ich habe vor den Normalen immer die meiste Angst …
  • Wir leben in einer Welt, in der jeder immer funktionieren muss. Es ist alles betriebswirtschaftlich durchgerechnet. Es muss schon fast verwundern, warum nicht mehr Leute ausflippen.
  • Wäre das Cockpit aus Sicherheitswahn nicht zu einer Festung geworden, dann würden vielleicht die 150 Menschen noch leben. Vielleicht den Terrorismusmedien- und -politikterror doch mal runterpegeln?
  • RTL, Bild und einige andere Medien haben den Namen des Copiloten und sein Bild veröffentlicht. Einer Hetzjagd auf die Angehörigen steht nichts mehr im Wege. Lynchmob ftw? Hass wird zu Geld gemacht, aber nicht nur Hass …
  • Aufdringlichste Journalisten weiden sich an den Angehörigen der Opfer, und wegen einer Schulklasse ist Haltern am See von Fernsehteams gekidnappt worden. Es gibt Tränen zu verkaufen, und alle, die diese Medien konsumieren, wollen genau diese Tränen auch kaufen. Es ist schändlich. Aber schuld sind hier nicht nur die Journalisten und Konsumenten, schuld ist einfach das System, das aus Tränen Geld macht.Wie es aus allem Geld macht …

Quick: Blockupy und Gewalt …

Heute morgen geht es hoch her in meiner Twittertimeline,Gewalt und so, Blockupy. Die gesamte Situation ist echt scheußlich. Denn was vom Tage übrig bleiben wird, ist die Geschichte von den gewalttätigen Linken. Eine Einordnung wird es nicht geben, die Ziele der Demonstration werden nicht genannt werden. Allenfalls werden sich die Medien über die friedlichen Demonstranten lustig machen und die gewalttätigen verdammen – so wie das immer passiert, wenn Linke demonstrieren.

Im ersten Moment, so quasi nach dem Aufstehen, war ich auch erstmal emotional und habe kurzzeitig auf Twitter eskaliert. Jetzt schau ich mir die ganze Sache mal quasi von außen und weniger emotional an. Was ist eigentlich heute? Was passiert da, oder was sollte passieren? Die EZB weiht einen Prunkbau ein, in dem sie schon seit ein paar Monaten ihre Arbeit macht. Der hat übrigens einen zehnstelligen Eurobetrag gekostet, wie der Spiegel es verschwurbelt. Dazu eine kleine Hilfe: wir sprechen hier von einem Milliardenbetrag. Mehr als eine Milliarde Euro für einen durchaus hübschen Prunkbau. In einer Zeit, in der in Europa Millionen kaum wissen, wie sie über den nächsten Monat kommen. In einer Zeit, in der vor allem in Südeuropa die Suizidraten aufgrund vor allem deutscher Wirtschaftspolitik und Troikaidiotie erschreckend nordeuropäische Werte erreichen. Mehr als eine Milliarde Euro, die garantiert woanders dringend gebraucht würden, sind in ein Symbol gesteckt worden, das sehr deutlich zeigt, wie wenig Sensibilität und wie viel Arroganz in den Reihen der Kapitalismussieger vorhanden ist. Gegenüber den Kapitalismusverlierern könnte man das übrigens auch Gewalt nennen, nur mal so.

Dann hat die Polizei sich gerüstet, um die Einweihung dieser schmucken kleinen Immobilie angemessen zu schützen. Zum Beispiel mit einigen Kilometern Natodraht. Mit zehntausend gut gerüsteten Polizisten. Mit Wasserwerfern. Eine Drohkulisse geschaffen. Ich bin jetzt nicht der große Demonstrationsgänger, aber als ich vor Weihnachten in Bonn war, habe ich gesehen, wie das funktioniert. Da wurden die Rassisten von Bogida von der Polizei geschützt. ein Teil der Gegendemo stand zwischen da nur halb gerüsteten Polizisten, alle Wege waren abgesperrt, damit die Rechten auch auf gar keinen Fall mit den besorgten Bürgern konfrontiert wurden, die völlig zu Recht „Nazis raus!“ skandierten. Die Atmosphäre, die die Polizei da kreierte, war beklemmend. Dass „Alerta, alerta!“ sollte der Antifa im Hals stecken bleiben – hat aber nicht geklappt, war ja auch gut so. Wenn man die Bilder heute aus Frankfurt sieht, wenn man die Bilder auch der Vorbereitungen von gestern sieht, dann kann ich mir gut vorstellen, dass das noch einige Grad härter wirkt, als damals in Bonn. Diese Atmosphäre, die da absichtlich erzeugt wird, ist noch keine Gewalt, aber sie unterstützt die Gewalt.

Nach allem, was man lesen kann, war die erste Gewalt heute, dass Demonstranten mit Tränengas irgendwo vertrieben wurden. Momentan werden Demonstranten an mindestens einem Ort eingekesselt. Das ist Gewalt.

Ja, Steine auf Polizisten auch. Und das Leute die Feuerwehr angreifen, kann man auch nicht rechtfertigen. Aber ja, Gewalt erzeugt Gegengewalt. Allein die Größe des Polizeiaufgebots und die gesamte Kommunikation im Voraus wollte genau die Bilder, die man heute sieht.

Eine andere Blockupy-Demo, die gewaltfrei blieb, wurde vor, ich glaub, zwei Jahren eingekesselt. Das war die bessere Demo, klar, weil es da nur die Polizei war, die Gewalt ausübte. Das ist natürlich sympathischer, hilft der Sache eher. Aber da hat die Polizei auch schon gezeigt, dass sie jeglichen Protest gegen den Kapitalismus unterbinden wird. Ich persönlich bin heute nicht in Frankfurt, weil ich gesundheitlich nicht mit Kessel oder anderer Polizeigewalt klar käme. Und weil ich nicht davon ausgehen kann, dass ich als friedlicher Demonstrant nicht mit Polizeigewalt konfrontiert würde.

Für die Sache von Blockupy ist es die klassische Lose-Lose-Situation. Greift man die Staatsgewalt an, dann ist man das Böse, wehrt man sich nur, ist man das Böse, bleibt man völlig friedlich, wird man trotzdem eingekesselt und mit Tränengas behandelt und niemanden interessiert’s. Aktivisten von heute können nur träumen von den Achtzigern, von Brokdorf und Wackersdorf, von einer Zeit, in der es zumindest noch einige Menschen in den Medien gab, die mit dem Widerstand sympathisierten und bei brennenden Autos noch nicht von Gewalt sprachen. Ach, es ist alles eine scheußliche Situation.

Es ist so unbequem, links zu sein

Seit ich denken kann, habe ich „warum?“ gefragt, und bei war es nicht nur eine Phase, ich mach das bis heute. Und natürlich bin ich deshalb links. Das ist nicht der unbequeme Teil, ständig alles hinterfragen zu müssen, das liegt mir, das mach ich automatisch. Wenn ihr euch fragt, was „links“ eigentlich ist, das ist ganz einfach, „links“ ist das Gegenteil von  „menschenfeindlich“.  Aber es gibt wirklich eine Menge Sachen, die das Links-Sein unbequem machen.

Argumenten gegenüber aufgeschlossen sein:

Das ist vielleicht doof! Kommt immer mal wieder vor, ich glaube, so alt kannst du ja gar nicht werden, dass du nicht noch was Neues lernen kannst. Und dann steht man vor einer Sache, über die man sich jahrelang eine Meinung gebildet hat, und dann beweist was auch immer, dass man schlicht daneben liegt, und dann steht man da. Jetzt könnte man einfach sagen, nee, ham wa imma schon so gemacht, ich habe eine Meinung und änder da gar nichts dran! Aber das geht eben nicht, wenn du links bist. Überzeugungen, die man argumentativ klar widerlegen kann, sind eben nur was für Rechte. Die glauben an Ehre, Nation und was nicht noch alles, die sogenannte Mitte an Märkte und Homöopathie, was alles keinerlei sinnvolle Basis hat. Als Linker kann ich das nicht. Argumente, die ich einsehe, müssen auch zu einer gedanklichen Änderung führen. Nein, das tut immer ein bisschen weh und ich habe da selten Bock drauf. Links sein ist eben unbequem.

Idealismus bewahren:

„Wofür mach ich das?“ Egal, wie oft diese Frage durchs Hirn zuckt, der linke Mensch macht weiter, glaubt irgendwie an das Gute im Menschen und daran, dass Änderungen möglich sind. Wie oft er damit auch gegen die Wand läuft, wie oft die Wand noch nicht mal minimal erzittert – wenn ich nicht daran glaube, dass die Welt sich ändern kann, dann muss ich aufgeben, und das kann ich nicht, so lange noch Kraft da ist. Also weitergeschrieben, weiteraufgeklärt, weiter für Menschen da sein, weiter die Schwachen verteidigen und den Starken zeigen, wie sehr man sie dafür verachtet, was sie tun. (Natürlich nur dafür , was sie tun. Niemals als Menschen, alle Menschen sind schließlich gleichwertig, verdammt!)

Differenzieren:

Wo ich schon mal dabei war … Erstmal den alten Witz aufwärmen: Ja, Verallgemeinern ist immer scheiße. Als Linker bist du dir manchmal nicht sicher, ob du überhaupt noch twittern solltest, und das jetzt nicht wegen Zeitverschwendung oder ähnlichem. Nein, 140 Zeichen sind eigentlich immer zu wenig, um Meinungsäußerungen so vorzunehmen, dass du nicht irgendwo zu wenig differenzierst. Und das kriegste garantiert auch von irgendeinem anderen linken Menschen vorgehalten, dafür hat man sie ja in der Timeline, oder? Und dann musst du auch noch – ja, links sein ist unbequem – den Impuls unterdrücken, dich persönlich getroffen zu fühlen und die Kritik annehmen, boah, das ist echt manchmal kein Spaß.

An sich arbeiten:

Egal, wie links du dich fühlst, gerade wenn du einige Privilegien auf dich vereinigst, dann musst du echt an dir arbeiten. Warum? Weil niemand von den Vorurteilen und Klischees frei ist, die wir durch die Gesellschaft aufgestülpt bekommen. Seit Jahren arbeite ich daran, meinen Sexismus zu reduzieren, die letzten Reste des Rassismus auszumerzen, den ich so mitbekommen habe, und ich werde da auch nicht so einfach mit fertig. Wahrscheinlich geht das noch nicht mal. Ja und? Gemacht werden muss es trotzdem. Und dann musste ich als weißer Mann auch noch lernen, dass meine Meinung manchmal einfach nicht gefragt ist. Und das obwohl ich doch ein weißer Mann bin und deshalb von klein auf gelernt habe, dass meine Meinung doch so wichtig ist. Meine Fresse, das hat echt schon wehgetan. Aber keine Sorge, auch dieser Schmerz geht irgendwann weg.

Gehirn angeschaltet lassen:

Das ist vielleicht das Schlimmste. Wenn man weiß, dass man Leute ständig und überall verletzen kann, und das einfach nicht will, weil man ja links ist – eben nicht menschenfeindlich – kann man einfach nicht das Hirn ausschalten. Ich kann mir den klassischen Männerabend mit frauenfeindlichen Witzen und Diskussionen über körperliche Vorzüge einfach nicht mehr geben, das Hirn kann einfach nicht lang genug ausgeschaltet bleiben, dass das geht. Das funkt immer dazwischen und dann kann es den Mist auch nicht einfach unbeantwortet lassen und etwas einfach mal lustig finden, obwohl da wieder einer menschenfeindlich mit witzig verwechselt hat. Ach, das ist schon alles so eine Qual.

Ja, ich bin links, ja, das ist unbequem, es ist manchmal geradezu selbstverleugnend. Ich bin links, nicht weil ich das irgendwann beschlossen hätte, ich bin so geboren, und je konservativer mein Umfeld sich gebärdete, so linker wurde ich. Links sein ist unbequem, ständig nachdenken, drauf achten, ob man anderen wehtut, bereit sein, Missstände anzuprangern. Erklären, so viel erklären, immer wieder versuchen, die Schwächeren zu verteidigen und die Welt ein bisschen besser zu machen. Aber ich kann nun mal nicht anders. Das Herz schlägt links.