Archiv für den Monat Mai 2015
Quick – Antideutsch!
Holy Shit, dieser Begriff kursiert immer noch bei einer marginalen orangenen Partei, deren Mitglied ich irgendwie immer noch bin. Und er wird die meiste Zeit völlig falsch verwendet. Mir ist, gerade in den letzten Tagen wieder, ebenfalls vorgeworfen worden, ich wäre antideutsch, und würde Deutsche „rassistisch“ verfolgen. Ja, das ist lächerlich, weil umgekehrter Rassismus nicht geht, weil ich selbst nach rassistischen Ideen sehr deutsch bin – und mir aber der damit einhergehenden Privilegien bewusst, weil Rassismus bedeuten würde, dass man andere „Rassen“ überlegen fände. Was natürlich auch Schwachsinn ist, da ich die Grundidee von Rassen gar nicht wirklich verstehe und sie nicht zu meinem Weltbild gehört.
Wieso werden so abstruse Vorwürfe erhoben? Zum Beispiel, weil manche Antifaschisten das Wort „Kartoffel“ als Schimpfwort nutzen. Ich mach das nicht so häufig, da ich nicht im Antifa e.V. organisiert bin – sry, konnte mir den Gag nicht verkneifen – und er für mich immer noch relativ neu ist. In diesem Tweet „Wie nennt man eigentlich die Polizeihundertschaften, die Naziaufmärsche verteidigen? Kartoffelpuffer?“ habe ich die Metapher benutzt, und zwar so, wie man ihn eigentlich immer benutzt: Um Nazis und sonstige rechte und nationalistisch ausgerichtete Deutsche zu bezeichnen. Im Eifer des Gefechtes, das gebe ich gerne zu, wird schnell mal jeder Gegner der Antifa zur Kartoffel – aber wer sich als Gegner des Antifaschismus zu erkennen gibt, hat ja üblicherweise Gründe dafür, und ich kann verstehen, dass manche – speziell die, die Tag für Tag gegen Nazis arbeiten – keinen Bock haben, zu differenzieren, ob da jemand einfach nur die Verschwörungstheorie von den bösen gewaltbereiten Antifas den Rechten nachfaselt, oder ob da wirklich ein Faschist am anderen Ende sitzt. Leute, wenn ihr ein Problem mit Antifaschismus habt, dann ist der Schluss, dass ihr viel weniger Probleme mit dem Faschismus habt, so ins Auge springend, dass die Beweislast nicht bei denen liegt, die euch „Kartoffeln“ nennen! Und ein letztes Mal, nein, nach allen Definitionen des Rassismus ist das kein Rassismus.
Ja, ich habe gehört, dass es Neurechte geben soll, die sich selbst als Antideutsche bezeichnen und immer zu 120 Prozent mit allem solidarisch sind, was Israel macht, was die USA machen und den Kapitalismus in all seiner Pracht verteidigen, weil jegliche Kapitalismuskritik immer antisemitisch sei. Es mag solche Menschen geben, ich halte sie für Sektierer und ich kenne keinen. (EDIT: Wer es immer noch nicht verstanden hat: Ich halte diese Form von „Antideutschen“ für eher hypothetisch. Ich kann sie nicht ausschließen, aber ich wenn es sie geben sollte, ist mir noch keiner untergekommen.) Diejenigen, die als Antideutsche beschimpft werden und – inzwischen zumeist ehemalige – Piraten sind, gehören nicht dazu. ich sehe da niemanden, der so undifferenziert und politisch blind durch die Welt geht.
Es gibt hingegen einige, die radikale religiös fundamentale Organisationen, wie die Hamas entschieden ablehnen – mach ich auch, weil ich auch religiösen Faschismus zutiefst verabscheuungswürdig halte. Das hindert mich aber auch nicht daran, dass ich vieles, was in den letzten Jahrzehnten von meist rechten israelischen Regierungen fabriziert wurde, sehr kritisch sehe. Wie mein lieber und wunderbarer Podcastpartner @ThoroughT immer so unnachahmlich stilsicher sagt, man muss häufig fähig sein, beide Seiten scheiße zu finden.
(Edit: hier ist ein für die Aussage des Textes irrelevanter und missverständlicher Satz gelöscht. ) Wer dem Staat Israel seine Rechtmäßigkeit abspricht, macht das fast garantiert aus antisemitischen Gründen.
Die Parole „Nie wieder Deutschland!“ unterschreibe ich. Weil ich mich immer wieder, und gerade in letzter Zeit mit Nazideutschland auseinandersetze, weil ich die destruktive momentane deutsche Außenpolitik sehe. Weil ich darüber heulen will, dass wieder Flüchtlingsheime brennen, dass Synagogen von Polizisten geschützt werden müssen, dass Menschen mit anderen Hautfarben oder mit Kippa oder auch nur mit alternativem Aussehen in manchen Teilen dieses Landes nicht mehr sicher über die Straße gehen können. „Nie wieder Deutschland!“ war 1990 noch linker Konsens. Und er ist es für mich noch. Es haben sich halt nur manche aus dem linken Spektrum verabschiedet.
Ich brech an dieser Stelle ab, auch weil ich eigentlich vor einem Jahr schon gesagt habe, dass mich diese Diskussionen ermüden. Ich rede hier über Selbstverständlichkeiten. Warum muss ich das immer noch?
PS. Sorry für durchgehend männliches Gendern, der Text ist schnell entstanden, für geschlechtergerechtere Sprache fehlt mir die Zeit.
Quick – Eine Umfrage
Ich bin ein emotionaler Mensch. Das tut mir leid. Ich hänge mein Herz an Sachen. Auch das tut mir leid.
Das wollte ich gesagt haben, bevor jetzt wieder wer sagt: och, was bist du auch noch in dieser Partei, was schaust du auch in Umfragen, ist doch alles nicht gut für den Blutdruck. Ja, ich weiß das alles. Aber der eigentliche innere Austritt, den ich ja schon vollzogen wähnte, scheint einfach nicht im Herzen angekommen zu sein, in dem ich ja eigentlich schon immer Pirat war.
Back to topic: Ich habe keine Ahnung, wer im Bundesvorstand der Piraten auf die glorreiche Idee gekommen ist, per Lime Survey die politische Ausrichtung der nächsten Wahlkämpfe abfragen zu wollen. Ich würde an deren Stelle mal in Grundsatz- und Wahlprogramme schauen, da gibt es eine Menge Stoff, mit dem man was anfangen könnte. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall kam eine Umfrage an, deren suggestiven Impetus man kaum leugnen kann. Auf Deutsch: Die Umfrage will in eine Richtung beantwortet werden, sie stößt jeden, der nicht aufpasst in eine vom Vorstand wohl gewünschte Richtung. Manipulation pur – aber dann auch noch schlecht gemacht. Ich werde mich jetzt nicht damit aufhalten, die ganze Umfrage durchzugehen. Dafür ist mir meine Zeit zu wichtig. Aber ich hänge verdammt noch mal immer noch so sehr an dieser Partei, dass ich meine fresse nicht halten kann. Also, bitte, hier, die Beispiele:
„Was war das wesentliche Thema, das Dich dazu bewogen hat, in die Piratenpartei einzutreten?“
Es ist nur eine Antwort auszuwählen. Einstmals wichtige Schlagworte wie „Mitmachpartei“ – wie sinnvoll oder nicht dieses Schlagwort auch jemals war – sind nicht dabei. einige Themen sind kompliziert umschrieben, andere quasi detailliert überschrieben. Offenbar uninteressante Themen wie „Umwelt“ oder „Landwirtschaft“ bekommen auch nur dieses eine Wort, das Urheberrecht bekommt den Terminus „Urheberrecht und nicht-kommerzielle Vervielfältigung“ – das ist also für alle, die einfach weiter schwarz alles saugen wollten -, aber ein Stichwort, ein Alleinstellungsmerkmal, das, wie wir alle wissen, dem Herrn Bundesvorsitzenden noch nie behagte, also „BGE“ taucht gar nicht erst auf. Ist für viele ein elementarer Punkt, wird aber unter „Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe“ versteckt. Kreuzt das bloß nicht an, der BuVo mag das nicht.
Es sollen verschiedene Aussagen bewertet werden, unter anderem:
Im politischen Kampf sind für uns PIRATEN selbst Straftaten ein zulässiges Mittel.
Was bitte? Was ist das denn für eine Frage? Selbstverständlich werden wir als Partei keine Straftaten begehen, um politisch irgendwas zu bewegen. Deswegen sind wir ja eine Partei. Man tritt einer Partei bei, um auf dem Weg durch die Institutionen etwas zu ändern. Das ist keine Frage. Das wurde auch nie anders von irgendwem behauptet. Warum also die Frage? Ganz einfach: Eine klare Verneinung wird sofort als Abkehr von zum Beispiel der ach so gewaltbereiten Antifa gedeutet. Blockupy und andere Aktionisten müssen dann auch nicht mehr unterstützt werden, weil auf deren Demos hin und wieder die oft massive Gewalt der Polizei mit Gegengewalt beantwortet wird. Dabei hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Eine Partei wird sich so lange bemühen, auf legalem Weg etwas zu erreichen, bis die Gesetze nicht mehr tragbar sind. Da jedes KZ unserer Vorfahren nach den Gesetzen des damaligen deutschen Reichs legal waren, halte ich Legalität auch nicht wirklich für ein umfassendes Argument.
Beim Protest gegen Menschenrechtsverletzung ist jedes Mittel recht.
Jo, vieles, was ich gerade geschrieben habe, gilt auch hier. Was soll denn diese Frage? Natürlich ist nicht jedes Mittel recht. Wenn der Nachbar seine Kinder schlägt, darf ich ihn deswegen nicht erschießen – es sei denn, er ist kurz davor, sie umzubringen. Auch wenn an den Händen der europäischen Regierungschefinnen und -chefs unüberschaubar viel afrikanisches Blut klebt, ist eine größere Nagelbombe beim nächsten Gipfel nicht das Mittel der Wahl. Nein, es ist nicht „jedes Mittel“ recht, aber jedes angemessene. Denn wir wollten ja mal für die Rechte von Menschen einstehen. Also früher mal, damals, als ich es geil fand, Pirat zu sein. als ich mich noch nicht schämte …
Gottschalk, Balder, Brüste
Gestern wurde Thomas Gottschalk 65 Jahre alt – herzlichen Glückwunsch auch von hier – und auf RTL lief eine wohl recht halbgare Sendung zu diesem Anlasse. Ich bin mir jetzt nicht so sicher, ob das an Gottschalks Stelle auch meine Wahl gewesen wäre, aber das kann ja jeder selbst machen, wie er mag. Irgendwelche Redakteure hatten sich dazu ein Spiel einfallen lassen, dass sie dann aufgrund von recht öffentlichem Shitstorm dann doch gelassen haben: Hugo-Egon Balder, ebenfalls 65 – auch dazu hier meinen Glückwunsch – sollte mit Gottschalk ein kleines Spiel durchführen, bei dem er zuvor gecasteten Hostessen den BH zerschneiden sollte. Die Reihe der weiblichen Brüste sollte Fläche für Bilder sein, zu denen Gottschalk dann Quizfragen beantworten sollte. So in etwa, war es aus der Jobbeschreibung herauszulesen, die gestern über Twitter lief und den Shitstorm befeuerte.
Disclaimer: Ich mag weibliche Brüste. Ich mag sie wirklich. Und wenn sie mir zur Liebkosung auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden, bin ich durchaus begeistert. Auch nutze ich hier und da die Möglichkeiten, zur Betrachtung freigegebene Brüste eingängiger zu studieren. Ja, es passiert mir sogar hier und da, dass ich das eine oder andere Dekolleté so genau studiere, dass es an die Grenzen des Höflichen geht. Das tut mir meistens auch leid. Ihr kennt das Problem: Das Fleisch ist willig und so wird der Geist ganz schwach.
Jetzt find ich es gar nicht problematisch, dass Frauen in der Öffentlichkeit ihre Brust entblößen. Tun Männer auch, warum sollte das für das eine Geschlecht in Ordnung sein, für das andere aber nicht. Ist doch Unsinn. Es ist auch nicht schlimm, dass Frauen das in diesem Fall für Geld getan hätten. Es ist Showbiz. Wer ein Problem damit hat, etwas von sich zu zeigen, der ist in diesem Bereich nicht so gut aufgehoben. Und sollten mir Schauspielende oder andere professionell Auftretende sagen wollen, sie würden sich aber nicht prostituieren wollen, so würde ich zurückfragen, was noch mal ihr Job sei? Wer auf Bühnen sein Innerstes nach außen dreht, sollte mit der Veröffentlichung von Geschlechtsteilen auch nur noch bedingt Schwierigkeiten haben.
Noch mal in kurz: Keine Frau, die da mit gemacht hätte, hätte einen Grund gehabt, sich wegen der Haut zu schämen, die sie zeigt. Wäre es in Ordnung gewesen, die Show mitzumachen? Ethisch vielleicht problematisch, aber es füllt den Kühlschrank. So ist Showbiz. Aber es dürfen sich ruhig Leute schämen. Im Speziellen die Redakteure, die auf so eine bescheuerte Idee kommen.
Denn natürlich geht diese Nummer nicht. Alte Männer haben das Recht, die BHs der Damen durchzuschneiden und ihre Brüste zu veröffentlichen, während die lächelnd da stehen und alles über sich ergehen lassen? Was ist denn das für eine dekadente Darstellung des männlichen Privilegs? Die Nummer ist widerlich, und ganz nebenbei auch noch unoriginell und dumm. Schlechtes Fernsehen halt. So, wie das Fernsehen jeden Tag ist. Schön, dass ein bisschen Empörung dagegen geholfen hat. Ist doch immerhin mal etwas.
Niemals vergessen – Bahnhof Sternschanze, Hamburg, und ELDE-Haus, Köln
Kleine Geschichten aus kalter Zeit: In den Zeiten der Nazi-Verbrechen, von denen unsere Vorfahren so wenig gewusst haben wollen, gab es sehr öffentliche Plätze, an denen genau diese Verbrechen begangen wurden.
In Hamburg zum Beispiel wurden tausende Juden vom Bahnhof Sternschanze aus in die Vernichtungslager im Osten deportiert. Der Bahnhof Sternschanze liegt in einem durchaus bevölkerten Stadtteil Hamburgs. Im Prinzip müssen die großen Deportationen allen Hamburgern bekannt gewesen sein. Hamburger Ordnungspolizisten begleiteten die Deportationszüge. Während die Zivilbevölkerung vielleicht nur ahnte, dass die Deportierten vollzählig ermordet werden würden, so wussten es die Polizisten mit Sicherheit.
(Quelle: „Ganz normale Männer: Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen“ von Christopher R. Browning)
Die Kölner Gestapo-Zentrale war im ELDE-Haus beheimatet, am Appellhofplatz ziemlich in der Mitte Kölns. Im Keller des Gebäudes wurden politisch Unbequeme, Zwangsarbeiter und viele mehr eingesperrt. Die Zellen kann man heute noch besichtigen. Kleine Räume, in denen dreißig und mehr Gefangene untergebracht waren. Kein Platz um sich hinzulegen oder auch nur zu sitzen. Allein der Gestank muss schon erschreckend gewesen sein – und natürlich auf der Straße vor dem Haus zu riechen
Im Hinterhof des Gebäudes wurden Menschen erschossen, immer wieder, natürlich ohne Gerichtsverhandlung. Die Schüsse muss Köln gehört haben. In den Räumen im ersten und zweiten Stock wurden Menschen misshandelt, geschlagen, gefoltert. Auch im Keller wurde gefoltert. Wer am Haus vorbei kam, der wusste, dass da Verbrechen passierten. Das heilige Köln schwieg. Der Erzbischof schwieg. Köln wusste Bescheid und schwieg.
(Quelle: Zwei Besuche, eine mit Führung, im ELDE-Haus. Ist weiterzuempfehlen)