Archiv für den Monat Januar 2016

Von Lagern und von Gas

Man kann die Verbrechen von Gas und Lagern nicht in Worte fassen, Holocaust reicht nicht, Shoah reicht nicht, Auschwitz reicht nicht. Jeder Mord ist ein Schicksal, ein zu kurzes Leben, abgeschnittene Hoffnungen, Lieben, Leben. Und das millionenfach. Sechs Millionen Morde. Sechs Millionen mal „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“! Spräche man es so oft aus, dann würde es das meiste eines Jahres dauern, ohne Unterbrechung.

Es gibt viele unfassbare Verbrechen, nicht aufrechenbar. Die Verbrechen von Gas und Lagern sind der Superlativ, die Vernichtung der Menschlichkeit. Und es waren Menschen, es waren unsere Vorfahren, die die Menschlichkeit mit ihren Opfern in Krematorien verbrannten. Könnte man ganz erfassen, wie groß die Verbrechen von Gas und Lagern sind, man stürbe an gebrochenem Herzen, im gleichen Augenblick.

Und heute reden sie wieder von Lagern und von Gas, sie lachen, wenn Menschen ertrinken und erfrieren. Sie reden von Lagern und von Gas! Nein, das nimmt man nicht ernst, nein, sie wissen nicht, was sie sagen, es sind Menschen mit Sorgen. Es sind Menschen, die vor zwei bis drei Generationen mit gemordet hätten, die ihre Arme gestreckt und „Heil“ gebrüllt hätten. Sie wussten ja auch nicht, was sie taten, oder? – Sie wussten es, und sie wollten es nicht wissen. Sie ließen alles fahren, was Mut und Liebe bedeuteten, und sie erkalteten ihre Herzen.

Kalte Herzen scherzen über Lager und Gas. Sie schlagen Hass, sie schauen weg, sie machen mit, sie halten die Fackel, die die Menschlichkeit ein weiteres Mal versengt. Lasst eure Herzen nicht erkalten, brennt für Menschlichkeit. Brennt gegen den Hass, denn wer weiß, wie nah sie wieder kommen, die Lager und das Gas.

Differenzieren, oder die Fähigkeit, beide Seiten scheiße finden zu können

Es gibt kein Gut und kein Böse? Doch, prinzipiell gibt es so etwas schon. Alles, was prinzipiell menschenfeindlich ist, ist böse – also Nazis, Rassisten, Erika Steinbach, die sind böse. Naja, und gut, es gibt viele Menschen, die das mit dem „Gut-sein“ versuchen und es nach Kräften auch hinbekommen. Man erkennt sie oft daran, dass andere Menschen, die das nicht in den Maßen können oder wollen, diese Menschen „Gutmenschen“ schimpfen und dabei nicht merken, dass sie sich damit selbst als Arschlöcher bezeichnen.

Aber es gibt Dinge, wo Gut und Böse einfach keine Kategorien sind. Und das sehen wir im Besonderen in außenpolitischen Dingen. Wer ist gut, Russland oder die Ukraine, oder die Nato oder die EU? Alle haben da strategische Interessen, und das ist natürlich. So lange wir die verdammten Staatsgebilde nicht überwinden, so lange wird es strategische Interessen geben. Und wenn es natürlich ist, strategische Interessen zu haben, dann kann das auch nicht automatisch böse sein. Die Frage ist eher, wie man versucht, strategische Interessen durchzusetzen, und ja, da passiert manches, was dann wieder in die Kategorie Böse fällt.

Man braucht dringend die Fähigkeit, beide Seiten Scheiße finden zu können. Also Putin und Merkel, Assad und den IS. Die Reihe ist gut erweiterbar. Es ist nicht schwer, Erdogan blöd zu finden, aber sollten sich kurdische Kämpfer danebenbenehmen, dann muss man das auch ansprechen können – und ganz ehrlich, ich finde Erdogan echt richtig mies. Manche Menschen sehen israelischen Siedlungsbau und rechtsradikale Siedler und sagen Israel ist böse – ist ja auch irgendwie ein deutscher Reflex, richtig? -, andere sagen, die Hamas ist ein faschistischer Fundamentalistenverein, und deswegen sind die Palästinenser böse. Ich bemühe mich, das differenzierter zu sehen. Wenn rechtsradikale Siedler Leute über den Haufen schießen, dann sind das menschenfeindliche Arschlöcher und ich find die scheiße, die Hamas ist ein faschistischer Fundamentalistenverein und die finde ich natürlich auch scheiße – und bin doch sicher, dass die meisten Israelis und Palästinenser ziemlich vernünftige Menschen sind, die haben halt Arschlöcher da, aber die haben wir ja auch.

Wenn mensch es nicht schafft, beide Seiten, oder auch alle drei, vier oder mehr Seiten zu kritisieren und alles prinzipiell gut findet, was eine Seite macht, dann sollte mensch samstags ins Stadion gehen, oder zum Boxkampf, da ist genau das nämlich völlig in Ordnung, anerkannt und normal – wenn auch nicht wirklich richtiger.  Möchte mensch aber etwas über Außenpolitik sagen, dann ist es unerlässlich, alle Seiten kritisch zu sehen und nicht zu vergessen, dass es strategische Interessen gibt und dass das auch normal ist. Ohne Differenzierung gibt es keine Analyse, und ohne Analyse gibt es nur Geschwätz.

Der vorliegende Text ist eine kleine Essenz aus verschiedenen Podcasts, in denen @ThoroughT und ich über außenpolitische Themen gesprochen haben. Also nichts Neues für Podcasthörer und auch nicht rein auf meinem Mist gewachsen.