Archiv für den Monat Juli 2018
Diskriminierung, Fatshaming, wirre Gedanken
Ich bin schwermehrfachprivilegiert, weiß und Mann, und cis und hetero, also zumindest größtenteils. Und da ich ein bisschen verstanden habe, wie Diskriminierung funktioniert, red ich, wenn ich über sie rede, nicht über Rassismus oder Sexismus oder Homohass, nicht weil ich nichts dazu zu sagen hätte, im Sinn von, ich habe durchaus Meinungen zu allem Möglichen, sondern weil ich dazu nichts zu sagen habe, weil es sich für mich verbietet.
Als vor einigen Monaten mal wieder über Abtreibungen gesprochen wurde, habe ich mal geschrieben, dass ich nicht sehe, dass Männer da irgendwas mitzureden haben. Da bekam ich verständlicherweise Gegenwind, weil meine Unterstützung eingefordert wurde. Ja, ist ja richtig. Aber prinzipiell sehe ich das so, dass da kein Mann irgendwas mitreden sollte – so lange das nicht passiert, ist es schon sinnvoll, zu unterstützen und Menschen mit Uterus in ihrem Kampf um die Herrschaft über dieses Organ beizustehen. Und das eben ohne selbst irgendwelche Ansprüche zu haben. Meine private Meinung? Interessiert nicht. Meine Meinung als politischer Mensch: Die Paragraphen 218 und 219 sollte man aus dem Strafgesetzbuch löschen. Und danach können wir dann noch mal von vorne anfangen, und diese Diskussion vollständig Menschen mit Uterus überlassen …
Aber davon wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Sorry, es sind über dreißig Grad hier und mein Hirn ist ein bisschen weich.
Also, wenn ich über Diskriminierung schreiben will, dann kann ich das nur in einem Bereich: Beim Fatshaming, also bei der Diskriminierung gegen dicke Menschen. Mein BMI ist zwar nicht mehr im Bereich von 50, wie er mal war, aber immer noch der 40 näher als der 30. Ich bin also immer noch hochadipös, und ich kann dazu was sagen, was es heißt, als Mensch zweiter Klasse angesehen zu werden, weil ich nicht der Norm entspreche.
Werde ich persönlich beleidigt? Ja, das kommt vor, aber zugegeben nicht sehr häufig – hey, ich bin ein weißer Mann Mitte vierzig – aua, die Altersangabe tut immer noch weh – so schnell werde ich nicht blöd angemacht. Außerdem bin ich knapp einsneunzig, das bringt einem schnell eine Ausstrahlung die sagt, hey, ich diskriminier lieber andere, die nach leichterer Beute aussehen. Aber es kommt vor. Klar.
Viel stärker ist aber die strukturelle Diskriminierung. Und damit meine ich noch nicht mal die Toiletten, in denen ich mich nicht drehen kann, die Stühle, auf die ich mich kaum wage zu setzen – boah, kennt ihr diese scheiß Korbstühle, die es meistens ausgerechnet in Eiscafés gibt? Ich meine in Eiscafés, die ja davon leben, dass sie uns dick machen! Und dann setzt du dich in so einen Stuhl und denkst dir, scheiße, wie komm ich hier wieder raus? Und wenn du dann aufstehst, muss dir erst mal wer diesen scheiß Stuhl ausziehen!
Ich red auch nicht davon, wie schwierig es ist, Klamotten zu finden, die nicht total langweilig sind. Man verbeiget noch lange vor der sechzig …
Das schlimmste sind die Bilder, die jedem in den Kopf gesetzt werden. Die Bilder, die ich natürlich auch selbst im Kopf habe. Jetzt mal ehrlich, in wie vielen Filmen und Serien und was man halt so sieht, sind denn dicke Menschen, die mehr sind, als der vielleicht nette humorvolle Sidekick, gerne mit viel Selbstironie – also jemand, der sich und alle anderen Dicken so richtig selbst in Fresse haut!
Kleiner Disclaimer zwischendurch, ich bringe hier eine eindeutig männliche Sicht, als Frau dick zu sein, fordert natürlich mehr Diskriminierung heraus, und wenn da noch eine nichtweiße Hautfarbe, eine Behinderung oder eine nicht heterosexuele Neigung dazu kommt, dann ist es alles schwieriger, als für mich – das ist mir klar. Ich jammer auf hohem Niveau und so.
Überlegt mal kurz, wie viel dicke Menschen ihr aus den Reihen der A-, B- oder meinetwegen auch C-Promis ihr kennt? Jo, und jetzt zieht davon mal alle ab, deren Job es ist, ständig für ihre Fettleibigkeit zu Kreuze zu kriechen. So, jetzt sind wir vermutlich auf zwei PolitikerInnen und einen Schriftsteller runter, oder?
Überlegt mal, wie oft ihr in Filmen schon gesehen habt, dass dicke Menschen Sex haben – nein, nicht die Fetischfilme auf Youporn, ich habe von denen gehört -, okay, habt ihr in eurer Erinnerung solche Szenen gefunden? Dann ist das schon viel. Und jetzt nur solcher Sex, der nicht durch Bezahlung oder durch Missbrauch zu Stande gekommen ist? Das wird schon schwierig, oder? Und jetzt noch alle Male rausnehmen, die den Sex mit dicken Menschen ins Komische zogen? Genau, dicke Menschen haben gar keinen Sex, richtig?
Sie können, natürlich bis auf wenigste Ausnahmen, keine Hauptrollen spielen, keine Leistung erbringen, und wie könnte mensch sich mit dicken Menschen identifizieren?
Jo, so funktioniert halt Diskriminierung auch. Und das, ohne die Horrorgeschichten aus den Arztpraxen – wenn du fett bist, hassen dich alle Internisten und Orthopäden mal ganz prinzipiell – oder zumindest kommt es einem so vor. Ohne einen Blick auf die Werbung, die mich so bleiben lassen will, wie ich bin.
Denn das hier soll nicht soo lang werden und eine Kleinigkeit wäre noch zu erzählen. Seit Anfang Mai letzten Jahres habe ich relativ viel abgenommen. Es ist inzwischen nicht mehr so weit von vierzig Kilo entfernt. Und ich rechne mir echt große Chancen aus, nächstes Jahr ohne allzu große Probleme das Sportabzeichen zu machen. Dann vielleicht nur noch übergewichtig und nicht mehr adipös. Man hat ja noch Ziele.
Und egal wie gut das Lob tut – ja, lobt mich, es ist wirklich gut! – manchmal denk ich mir schon, dass ich offenbar erst durch das Abnehmen für viele, auch aus meinem Umfeld, erst wirklich zu einem Menschen werde. Und das ist schon nicht immer nur lustig.
Aber das Schlimmste am Abnehmen ist was anderes. Ich muss ständig an mir arbeiten, um nicht mitzumachen. Fatshaming ist so tief in unserer Kultur verwurzelt, dass ich mich selbst ständig dabei erwische, wie ich auf Menschen, deren Form ich mal übertraf, und inzwischen unterbiete, runterschauen will. Wie ich quasi den Wettbewerb im Kopf aufmache, wie ich anfange zu fragen, was gesund ist und was nicht, und ich bin kaum ein Jahr davon entfernt. Ich bin immer noch fett. Wir sind zum Verachten erzogen …
Tage, an denen man sich erinnert …
Ich muss hier gerade mal etwas in die Tastatur heulen. Ist ja eigentlich nicht meine Art, aber ich habe gestern Abend eine Mail bekommen, die mich stolz, traurig und eigentlich sogar total fertig macht. Ich mein, es ist toll, aber ich halte es kaum aus. Die Mail liest sich so:
„Wollte mich kurz melden und mich einfach bedanken für deine Unterstützung und Inspiration. Sollte jetzt 8 Jahre her sein das ich dich kennen gelernt habe und ich hätte nie gedacht das für mich die ganze Schauspiel Geschichte mal ernst wird. Letztendlich hab ich’s einfach versucht, Recht spontan bei ner privaten Schauspielschule in Köln vorgesprochen, Glück gehabt und diese Woche den Ausbildungsvertrag unterschrieben. Also, danke das du mich in gewisser Weise dahin gebracht hast !“
Lieber F. es ist eher zehn Jahre her, du warst in der vierten Klasse, ein Clown und absolut bezaubernd. Und du machst das jetzt richtig, ziehst das durch. Meine Fresse, ist das gut.
Für die Leser, die hier einfach nur so reingeschlittert sind, ich habe etwa zehn Jahre lang Theater gemacht, mit Kindern und Jugendlichen und natürlich auch Erwachsenen. Das ist jetzt sechs Jahre her. Und es fehlt mir jeden Tag. Jeden verdammten Tag. Vor sechs Jahren hatte ich das Unglück, dass sich eine minderjährigen Schülerin in mich verliebte, und ich zu doof und zu geschmeichelt und auch ein bisschen zurückverliebt war, und auch wenn nichts passierte, und ich mir nur vorzuwerfen habe, mich nicht zurückgezogen zu haben – irgendwann, als ich ihr eine Rolle nicht geben wollte in einem Stück, dass ich schreiben wollte, erzählte sie dann Geschichten, die ein bisschen Wahrheit und viel Fantasie enthielten, ihre Eltern zeigten mich an. Die Sache verlief, wie sie verlaufen musste, die Staatsanwaltschaft stellte die Sache ein. Für Juristen die klarste Form eines Freispruchs, aber es half mir nichts.
Wo ich vorher eine kleine Schauspielschule quasi allein aufgebaut hatte, durfte ich nicht mehr arbeiten. Menschen, die ich als Freunde betrachtet hatte, schafften es nicht, zu mir zu stehen. Mir zu helfen, mich zurückzuholen, gegen die Geschichten, die kursierten, dafür hätte es auch von deren Seite Kraft gebraucht, und Mut, und das kann man ja auch irgendwie nicht von anderen erwarten, oder?
Naja, ich bin Autodidakt. Womit kann ich mich irgendwo bewerben? Ich weiß, wie schwer es ist, von Null aufzubauen, denn ich habe es gemacht. Jetzt, nach der ganzen Sache von Depressionen und Panikattacken ganz klein, habe ich diese Kraft nicht mehr. Also kann ich auch nicht einfach woanders hingehen und alles noch mal durchmachen, mit zwei jungen Menschen anfangen, und zehn Jahre später mehr als dreißig Darsteller in drei Kursen haben. Ja klar, versucht habe ich das. Aber wo kommst du mit so einem Ding mal eben so an? Und den Beruf zum Hobby machen?Einfach mal so neben der Arbeit (ja, ich arbeite auch heute hauptsächlich mit Jugendlichen, ich gebe Nachhilfe. Nein, das ist nicht, was ich tun will, aber irgendwovon muss man ja leben) sich im Amateurtheater engagieren, wo ich vor knapp zwanzig Jahren die erste Regie führte? Ja, ich denke immer mal wieder drüber nach. Aber es fehlt so sehr die Kraft.
F. ist nicht der erste, von meinen ganzen SchauspielerInnen, der das beruflich machen will. Eine studiert in Frankfurt, wenn mich nicht alles irrt, eine anderen, eine der ersten, ist heute Theaterpädagogin, und im Gegensatz zu mir ist sie das sogar ausgebildet. Liebe R., auch das macht mich stolz – auch wenn ich mir manchmal denke, du hast das angefangen, weil du es besser machen wolltest, als ich.
Das Herz, das vor Stolz bersten will, das bricht vorher. Und es bricht eigentlich jedes Mal, wenn das Theater mich berührt. Ich hatte da keinen Beruf gefunden, sondern eine Berufung, ja, manchmal muss es eben das Klischee sein, wenn es nun mal stimmt.
Hey F. Du hast das hier mal geschrieben: „Mit zitternden Händen schreibe ich diese Zeilen und muss und die alten Zeiten denken,wo mein liebstes Hobby,Theater spielen,noch mit dir war…“ Ich hab das gerade gelesen und heule wieder, wie ich damals geheult habe, als ich das las. Eine andere – Hallo J.! – schrieb damals: “Ich hoffe du kommst bald wieder und bringst diesen besonderen Zauber mit, sonst gehen wir alle noch ein!!“ Kann ich mich damit irgendwo bewerben? Mit meinem Zauber?
Es gibt Tage, die sind echt schwer zu ertragen … vor allem die, an denen man sich erinnert …