Archiv für den Monat August 2018

Twitterbeef und Identität und so …

Ich möchte es ja eigentlich immer nur verstehen. Also eigentlich möglichst alles, in diesem Fall aber die Streitereien, die in den letzten Tagen auf Twitter so unterwegs waren. Grob gesagt, ging es dabei um „weiße Linke“ vs. „PoMo-Bubble“. Wobei ich den zweiten Begriff nicht wirklich verstehe. PoMo soll irgendwas mit „postmodern“ zu tun haben, und mit irgendwelchen Theorien, aber letztlich sehe ich da Menschen, die in irgendeiner Weise zu marginalisierten Gruppen gehören, und sich speziell auch auf Twitter provokant Gehör schaffen.

Jo, und die „weißen Linken“ sind halt die sozusagen alteingesessenen, vielfach Antifa-erfahrenen Menschen, die meist deutlich privilegierter sind. Beide Gruppe, so viel sollte eigentlich allen klar sein, sind prinzipiell Verbündete. Oder sollten Verbündete sein.

Jetzt wird den „weißen Linken“ – zu denen ich ja sicherlich auch irgendwie gehören soll, da weiß, links, Mann, also wie ich im letzten Blogpost schrieb, schwermehrfachprivilegiert – eine Menge Rassismus, Transphobie und so weiter vorgeworfen, und die fühlen sich dadurch schwer getroffen und reagieren emotional, und schon ist das wieder alles doof.

Auf der anderen Seite wird das oft provokante Auftreten der Marginalisierten als unkonstruktiv und unhöflich empfunden, manche fühlen sich vom Begriff „Alman“ oder „Kartoffel“ angegriffen – wobei ich mir da immer denke, wer sich vom Begriff Kartoffel angegriffen fühlt, ist vermutlich eine. Der Begriff „Alman“ hat mich auch getroffen, aber das war als der rechte Sifftwittermob den Begriff auf alles bezog, was er sonst Gutmenschen nannte. Aber wenn Menschen aus marginalisierten Gruppen diesen Begriff benutzen, finde ich ihn in Ordnung. Ich bemühe mich möglichst wenig almanlike zu sein, auf meine eigenen Vorurteile aufzupassen und sie in die Schranken zu weisen, halt die antirassistische Arbeit zu machen, die man so tun muss, wenn man antifaschistisch denkt. Ich kann ja nichts tun, um plötzlich nicht mehr weiß und damit privilegiert zu sein, also ist Reflexion Queen und ich halt auch weitgehend die Klappe.

Ich kann falsch liegen, ich versuch hier mein Glück, aber vermutlich ist der ganze Beef eigentlich eine Art Missverständnis. Man geht nämlich nicht nur von sehr verschiedenen persönlichen Erfahrungen aus, man hat auch eine völlig verschiedene politische Sozialisation. Und das große Stichwort ist wohl „Identität“. Für marginalisierte Gruppen ist es fast so etwas wie die einzige Chance, ihre Identität zu suchen, herauszustellen, zusammenzuarbeiten und sich ihre Rechte zu erkämpfen. Wer das nicht glaubt, schaue sich einfach mal die Bewegung an, die unter den Labeln „Queer“ oder „LGBTQI“ (waren das jetzt genug Buchstaben? Welche habe ich vergessen?) viel erreicht haben, auch wenn diese Gruppen immer noch marginalisiert sind. Es gäbe keinen CSD, wenn mensch sich nicht auf die eigene Identität besonnen und sich gegenüber heterosexuellen Menschen abgegrenzt hätte. Letztlich ist zwischen Begriffen wie „Hete“, „Cis“ und „Alman“ kein großer Unterschied, es sind die Begriffe, die Menschen für die anderen entwickeln, die nicht sie selbst sind.

Und das trifft auf die „weißen Linken“, deren Sozialisation immer die Ablehnung von Identität ist. Wenn ich mich auf meine Identität besinne, also darauf, dass ich deutsch bin und Mann und Hetero und Cis – also ziemlich -, dann lande ich bei der AfD, und da habe ich nun wirklich keinen Bock drauf. Als weißer Linker aufzuwachsen, heißt, mit der eigenen Identität zu brechen, sich der Verbrechen der Vorfahren zu schämen, alles abzulehnen, was deutsch ist, und als Mann natürlich, toxische Männlichkeit zu bekämpfen und so weiter.

Wo jetzt also die Identität der Marginalisierten auf die Ablehnung jeder Identität der weißen Linken trifft, wird es schwierig. Für mich ist zum Beispiel das Konzept „cultural appropriation“ als ich anfangs davon hörte, unglaublich kontraintuitiv gewesen. Warum sollte es für irgendwen ein Problem sein, wenn Weiße – ja, ist jetzt das am Häufigsten benutzte Beispiel vermutlich – Dreadlocks haben? Ich habe mit der Zeit verstanden, dass es hier quasi darum geht,dass die Privilegierten den Marginalisierten einen Teil ihrer Identität stehlen. Andere sagen, es ist dann ein Problem, wenn es nur Mode ist. Wenn eine weiße Reggaeverrückte Dreadlocks hat, weil sie diese Kultur und Musik verehrt, also nicht stiehlt, sondern sich davor verbeugt, dann ist es okay. Wieder andere … ach, seht selbst: https://www.youtube.com/watch?v=lHYls9e4mVM

Als jemand, der sich in der Kunst einigermaßen zu Hause fühlt, klingt es schrecklich, wenn ich nichts benutzen kann, was nicht meiner eigenen Kultur entsprungen ist. Wo fängt es an, wo hört es auf? Keine Posaunen im Orchester, weil die von den Türken übernommen wurden, als die vor Wien standen? (jep, ist polemisch, weiß ich, sry)

Ich habe in der Schule in mindestens fünf verschiedenen Sprachen gesungen, weil mein Musiklehrer sich wohl dachte, dass mensch anderen Menschen offener entgegen tritt, wenn mensch die Musik dieser Menschen kennt. Ich singe bis heute noch gerne „Dos Kelbl“, weil ich jiddisch wunderschön finde, und weil dieses traurige, schmerzhaft lebenslustige Lied immer wieder mein Herz berührt. Nach dem Konzept „Cultural appropriation“ sollte ich das besser nicht tun, da ich mir jüdische Kultur aneigne.

Man merkt, wie ich hier an diesem Punkt schwer ins Straucheln gerate. Ja, ich kann verstehen, dass es verletzend ist, wenn ich hingehe, mir ein fremdes Motiv, das anderen Menschen viel bedeutet, auf mein Shirt drucken lasse, ohne mich damit zu beschäftigen, ohne die Bedeutung zu kennen. Und das wäre auch nichts, was ich tun würde.

Aber ich tu mich, wie wahrscheinlich viele „weiße Linke“, mit Identität schwer. Denn das Konzept „Identität“ heißt ja immer Abgrenzung. Wir verachten Nazis, Konservative und den ganzen Rest dafür, dass sie andere Menschen ausschließen, wir haben damit Schwierigkeiten, dass Marginalisierte genau das auch tun wollen, andere ausschließen. Keine Frage, sie haben das Recht darauf, wir haben kein Recht darauf, von ihnen nicht ausgeschlossen zu werden, aber das wird immer ein Reibungspunkt sein.

Es mündet halt – und das vermutlich nicht nur gerade weil es sauwarm ist und eh alle kochendes Blut haben – sehr schnell in Aggressionen, weil es noch einen zweiten Punkt gibt, an dem die Sozialisation der „weißen Linken“ echt von Nachteil ist. Wir sind gewohnt, dass wir diskutieren. Meine Fresse, was haben wir alle mit unserem persönlichen Umfeld diskutiert, was diskutieren wir untereinander, versuchen andere dazu zu bringen zu differenzieren und zu akzeptieren. Wir sind ja auch ein bisschen arrogant mit unserer rationalen Art – also wir sind zumindest immer davon überzeugt, dass wir rational sind. Und wenn jetzt irgendwer aus einer marginalisierten Gruppe auf Provokation aus, oder vielleicht, auch das soll ja mal vorkommen, einfach mal ein bisschen pöbelt – ist das das gleiche? – , dann werden wir das gerne ausdiskutieren wollen.

Wenn ich als Mann bei einem feministischen Thema irgendwas ausdiskutieren will, dann nennt man das aber meistens zu Recht mansplainen und ich krieg dafür auf die Fresse. Und so geht es den „weißen Linken“ halt auch in der jetzigen Diskussion oft. Die eine Seite möchte auf Augenhöhe diskutieren, die andere Seite sagt: Es gibt keine Augenhöhe, ihr schaut immer auf uns herab, und deswegen ist jegliche Kritik an uns rassistisch. Klingt nach einem Teufelskreis? Ist es wahrscheinlich auch.

So, jetzt veröffentlich ich das, und bin mal gespannt, wie viele Menschen mich jetzt blocken … es ist ja auch heiß …