Archiv für den Monat März 2021

Das Problem mit den Talkshows

Seit locker fünf Jahren, vielleicht auch schon länger, sind die politischen Talkshows ein echtes Problem. Und nicht nur so ein kleines Ärgernis, oder so, sondern ein echtes Problem für unsere Demokratie. Sie sind gefährlich.

Prinzipiell sollte das anders sein. Journalismus sollte immer gefährlich für unfähige und korrupte Regierungen sein, aber nie für die Demokratie selbst. Aber gerade die Talkshows sind in Richtung Korruption und Unfähigkeit – wovon wir im Moment ja wirklich genug sehen – zahnlos, aber auf der anderen Seite demokratiegefährdend.

Das fing in meinem Empfinden damit an, dass 2015, als wir eine Humanitätskrise hatten, als wir ein paar Menschen aufnahmen, die in Not waren, plötzlich in jeder Sendung Rassisten und Faschisten von der AfD saßen. Deren Unsinn, deren Menschenfeindlichkeit und deren Demokratiefeindlichkeit wurden und werden bis heute wie ganz normale Meinungsäußerungen behandelt, von den journalistischen Kräften im Raum nicht eingeordnet und zurückgewiesen.

Als dann Corona kam, saßen plötzlich Menschen wie Kekulé und Streeck in den Talkshows und sorgten für eine Menge Desinformation und zeigten wiederum ein sehr problematisches, nämlich ein sozialdarwinistisches Menschenbild. Dass Mediziner:innen um jedes Leben kämpfen sollten, war und ist den Herren nicht bekannt. Sie halten eine Durchseuchung für okay und nehmen damit hunderttausende Tote in Kauf. Dass die aber alle noch gar nicht sterben wollen, das kommt schon gar nicht mehr vor.

Ja, es sitzen immer wieder auch Menschen in Talkshows, die auf dem Boden der Wissenschaft unterwegs sind. Keine Frage. Aber die müssen halt immer gegen so einen Dummschwätzer diskutieren, oder gegen Schlimmeres. Gegen irgendwelche Esos, Impfverweigerer und sonstige Schwurbler. Und genau da liegen die Probleme.

Die Talkshows haben da zwei Stück von. Das eine heißt „Kontroverse“, das andere „Hufeisentheorie“.

Was passiert, wenn man sämtliche journalistischen Grundsätze über Bord wirft, weil die einzige Währung Kontroverse ist? Man lädt Menschen so ein, dass man möglichst immer Kontroverse bekommt. Was ist denn einfacher, um zu Emotionen zu kommen, als wenn ich Menschen einlade, die anderen Menschen den Tod wünschen und dafür arbeiten? Und auf der anderen Seite Menschen habe, die davon betroffen sind, oder die ehrlich dagegen arbeiten? Menschen, die davon sprechen, dass sie Demokraten jagen wollen wie Herr Gauland, werden eingeladen. Oder wie Frau von Storch, die auf Geflüchtete schießen lassen wollte. Natürlich gibt das Kontroverse im Studio, falls auch nur ein Mensch dazu eingeladen wird, der nicht Vollfaschist ist.

Menschen, deren journalistischer Kompass noch funktioniert, würden sagen: Okay, die AfD hat wieder was faschistisches gesagt, und wir müssen da auch drüber reden: Gut dann laden wir Menschen ein, die das einordnen, die sagen, was man gegen die Faschisten machen kann und vor allem lassen wir Betroffene zu Wort kommen. Wen wir selbstverständlich nicht einladen, sind die Faschisten selbst. Das wäre überall auf der Welt die sinnvolle Art, damit umzugehen. In Deutschland ist das nicht nur sinnvoll, sondern aus Verantwortung alternativlos. (ja, es gibt gute Momente für das Wort. Allerdings nur für Menschen mit Prinzipien.)

Warum ist die Hufeisentheorie auch so ein Problem? Nun ja, dieses Konstrukt, dass davon ausgeht, dass auf den rechten und linken Seiten des politischen Spektrums ungefähr die gleichen Potentiale gibt, die Verfassung zu überwerfen, ist zwar wissenschaftlich nicht haltbar und vielfach zurückgewiesen, bestimmt aber immer noch das politische Weltbild.

(Linkes Denken hat ein kommunistisch-versponnenes Ideal zum Ziel, rechtes Denken Auschwitz – wer zum Fick kann diesen Hufeisenquatsch eigentlich ernsthaft vertreten? Hufeisentheorie ist immer NS-Verharmlosung – ich bin so müde …)

Ach ja, zum Thema zurück: die Hufeisentheorie zusammen mit dem Laissez-faire-Liberalismus führen dazu, dass die Redaktionen offenbar intellektuell gegen Demokratiefeindlichkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit absolut wehrlos sind. Progressiv denkende Menschen, die ein linkes Label haben, werden nur seltenst in Talkshows eingeladen, weil sie ja genauso schlimm wie Faschisten sind, die man ständig einlädt. Und wenn sie eingeladen werden, sitzt auf der anderen Seite halt eine geballte Ladung rechter Demagogen, Scheinjournalisten und Hetzer.

Und dieses Problem, dass die Redaktionen offenbar mit substanziell linken Positionen haben, führt nicht nur zu sehr wenigen Einladungen und zu oft sehr aggressiven Fragen – weil sogar ein Lanz glaubt, er müsse zum Journalisten mutieren, wenn da jemand mit linken Ideen sitzt – sondern auch dazu, dass Menschen aus den linken Parteien hochgejazzt werden, die möglichst wenig links sind. SPD-Mitglied und Hardcore-Rassist Sarrazin wurde so berühmt, Grünen-Rechtsausleger Palmer auch und die linksnationale und viel zu oft querfontlerischeWagenknecht wird auch viel häufiger eingeladen als Katja Kipping oder andere Linkenpolitiker:innen.

Ist das alles Absicht? Wollen die Redaktionen faschistische Ideen nach vorne bringen? Über Corona desinformieren?

Nicht direkt. Ich vermute, sie sind einerseits halt intellektuell wehrlos, haben Null Rückgrat und schon gar keine eigene politische Haltung. Und dann kommt der Wunsch nach Kontroverse hinzu. Der ist so wichtig, dass Schäden an der Demokratie und Desinformation einfach hingenommen werden. Weil Einschaltquoten wichtig sind, und Folgen egal.