Archiv für den Monat Mai 2021
Eine Welt bauen …
Ich schreib hier im Blog ja nicht mehr so oft, seit ich wirklich viel schreibe, und ich habe auch noch nicht so viel übers Schreiben geschrieben – ja, schon ein bisschen was, aber nicht dringend hier im Blog. Aber ich habe gerade eine Kurzgeschichte gebastelt, die ich sogar mag und die ein bisschen Fantasy ist. Low Fantasy, vermutlich, es gibt keine Feuerball-schleudernden Magier und Orks habe ich auch noch nicht gefunden, aber sicherlich Fantasy. Und ich habe – war so eine blöde Idee im Halbschlaf – mir gedacht, ich könnte ja einfach mal erzählen, wie ich die Welt gebaut habe. (Allerdings ohne die Geschichte mit hier in den Blog zu packen, weil ich die noch nicht veröffentlichen möchte.)
Wo habe ich angefangen? Ich hatte eine Geschichte, für die ich eine abgeschirmte Gesellschaft brauchte, eine Gemeinschaft, in der ein Außenseiter hereinkommen kann und in der er auf jeden Fall erst mal mit Distanz betrachtet wird. Das Szenario, dass ich mir dafür vorgenommen habe, war eines, dass ich eigentlich mal irgendwann für ein Pen and Paper verwenden wollte. Es gibt ein Dorf, in das der Prota kommt, in das er aufgenommen wird, aber dieses Dort fährt durch die Gegend.
Dabei denke ich nicht an Mortal Engines (da wusste ich noch nichts von, als ich die Grundidee hatte), mein Dorf ist langsam unterwegs, eine Art Schiff auf Land. Gezogen von „Brechern“. Das sind offenbar große Tiere, oder wie es im Text speziell auch heißt: Großtiere. Ich vermute, das sind eine Art Dinos, ich habe es aber nicht genauer spezifiziert. Die Brecher sind vermutlich Sauropoden, ebenfalls in den Gedanken des Protas auftauchende „Schreier“, sind Raubgroßtiere, vielleicht T-Rexes oder sowas.
Wo sind sie unterwegs? Na, in der Weite. Also auf einer fast unendlichen Prärie. Ja, die ist an der US-amerikanischen Prärie angelehnt, und natürlich gibt es zum Beispiel im Lied von Eis und Feuer auch das gräserne Meer, dass ähnlich funktioniert. In einer solchen Umgebung macht es durchaus ein bisschen Sinn, dass Menschen nur überleben können, wenn sie im Verbund unterwegs sind, und was in der Kurzgeschichte, die ich geschrieben habe, nicht klar wird, was aber im Hintergrund drinsteckt. So ein Dorf muss über ein paar Abwehrwaffen verfügen, die Großtiere davon abhalten kann, mal genüsslich das Dorf zu zertrampeln.
Der Luxus der Kurzgeschichte ist, ich muss nicht über Geologie nachdenken und wie eine solche quasi unendliche Prärie entstanden ist. Ich muss auch nicht darüber nachdenken, wo und welche Grenzen es dann doch gibt. Ja, ich halte mich sogar aus der Frage heraus, woraus das Dorf gemacht ist. (Wo zum F. gibt es in dieser Welt die Wälder, um ganze fahrende Dörfer aus Holz zu bauen? Na, vielleicht besteht es auch Dinoknochen und -haut.)
Mein Prota ist angeheuert, um die Jäger*innen des Dorfes zu unterstützen. Und da er nicht an eine der Familien gebunden ist, ist er ein Alleinmann. Ich kam nämlich irgendwo zwischendurch auf die Idee, dass ich hier einfach mal das Matriarchat ausrufe. Die Frauen sind hier die Familie, Männer verlassen ihre Familien im Erwachsenenalter und sind dann Alleinmänner. Sie können aufgenommen werden, unser Prota ist aber nur angeheuert fürs Gesamtdorf und gehört keiner Familie an. Er stammt auf einem anderen Dorf, hat zwischendurch zu einer Männergruppe gehört, die ohne Dorf unterwegs sind. Und es muss irgendwo Plätze geben, wo sich Dörfer zum Handeln treffen, da starten wir.
Das hat sich alles ganz schlicht entwickelt. Mir war durchaus klar, dass das blöd aussehen kann, wenn ich als Mann über ein Matriarchat schreibe, vor allem, wo ich es nicht als unproblematisch darstelle. Denn ich vermute einfach, wenn die Machtstrukturen andersherum aufgebaut wären, wäre sicherlich vieles anders, aber Machtstrukturen sind nun mal Machtstrukturen, und die sind schlicht nie unproblematisch – ups, jetzt habe ich mich als Anarchist geoutet, verdammt. Also habe ich da durchaus ein bisschen Vorsicht walten lassen, aber mir ist auch klar, dass ich dafür aufs Maul kriegen kann. Nun, wenn dem so ist, dann ist das so. Dafür macht man ja Kunst, damit man aufs Maul kriegt.
Aber ich muss zugeben, ich hatte ein bisschen Spaß dabei, zu zeigen, wie die Männer dieser Welt den Kopf senken, wenn eine Frau zu ihnen spricht. Ich habe es hoffentlich nicht übertrieben.
Mein Prota hat neben dem Alleinmann noch ein Attribut. Er stellt sich als Alleinmann und „Denker“ vor. Er hat eine Tätowierung, die ihn als solchen markiert. Es wird auch klar, dass es nicht viele Männer gibt, die da dazugehören, aber offenbar hat er damit das Recht, die Schriftrollen des Dorfes zu lesen, gehört zu einer Gemeinschaft der Wissenden. Und genau deshalb ist er auch froh, dass er aufgenommen wurde. Ein Mann, der lesen und schreiben kann, ist natürlich für manche Dörfer einfach unbequem, habe ich mir so gedacht. (Na ja, habe ich mir gedacht. ich habe halt einfach geschrieben, ist so passiert.)
Was waren also meine Entscheidungen? Ich hätte mir für die gleiche Geschichte ein Bergdorf aussuchen können, oder einen wilden Stamm im Urwald, das fahrende Dorf war schlicht ein Ding, dass es noch nicht soo oft gibt, und ich mochte es, die Welt mit den riesigen Tieren anzudeuten, ohne mich dann wirklich darum zu kümmern. Klar, in einer längeren Geschichte müsste man das ausarbeiten, aber es ist ja nur eine Kurzgeschichte, die zufällig in diesem Universum angesiedelt ist, das ich vermutlich nie wieder anfassen werde.
Und das Matriarchat? Das passte sehr gut in die Geschichte, und ja, ich mag es, Dinge auf den Kopf zu stellen. Da kommt aber noch eine Sache zu: Ich wollte von vornherein die Kurzgeschichte in der Phantastik ansiedeln. Und wenn ich schon mal da bin, dann ist es naheliegend, dass ich nicht zu konventionell schreibe.
Was steckt hinter den Denkern? Wie funktioniert die Ökonomie der Weite? Sind Brecher und Schreier wirklich Dinos? Keine Ahnung. Das finde ich den Vorteil der Kurzgeschichte, mein Weltenbau ist dahingeworfen, aber mehr brauche ich hier auch nicht. Wäre es spannend, die Welt weiter auszubauen? Geht so. Mein Problem mit meinem eigenen Weltenbau ist immer, dass er mir nicht originell genug ist, nicht spannend genug, dass ich mich da tiefer rein begeben möchte.
Gibt es ein tiefergehendes Fazit? Nein, leider nicht. Irgendwann werde ich von hier aus zur Kurzgeschichte verlinken. Aber die ist noch nicht fertig.
Die Kultur des Abbrechens
Habe heute morgen einen Kommentar gelesen, in dem behauptet wurde, es sei in der Welt der Bücher die ominöse Cancel Culture eingetroffen, die nun vor allem ältere Autor*innen dazu brächte, Haare raufend danach zu suchen, was sie denn wohl noch so schreiben können. Vermutlich nur eine neue Art zu sagen, O Tempora o Mores, oder? Oder vielleicht noch mehr? Ein Nachhaken nach ihrer Deutungshoheit, zum Beispiel?
Kurz mal eine Sache klar machen. „Cancel Culture“ ist ein rechter Kampfbegriff mit ungefähr so viel intellektueller Substanz wie der Hufeisen-Theorie und dem „großen Austausch“. Es ist schlicht Quatsch, und auch noch gefährlicher Quatsch. Eben ein rechter Kampfbegriff. Die Idee, die vermittelt werden soll, ist, dass es linke oder grüne oder queere Sprachpolizist*innen gäbe, die jedem vorschrieben, wie zu schreiben sei. Dass es heute nicht mehr möglich sei, ganz normale Dinge zu sagen, ohne dafür gecancelt zu werden. Also quasi zum Schweigen gebracht. Und das ist natürlich ein Ding, das immer von links ausgeht, und andersherum passiert das überhaupt nicht. So die Behauptung.
An dieser Stelle sollte es eigentlich reichen, wenn ich sage: so, jetzt schaut euch um, was passiert wirklich? Und damit ist es dann gegessen, denn wir wissen alle, dass das Unsinn ist. Aber gut, ich fange ganz schnell mit der deutschen Medienszene an:
– eine antidemokratische untergründige Vereinigung von Schauspieler*innen macht eine Videoserie namens … ich habe das schon wieder vergessen. Auf jeden Fall war Jan Josef Liefers deshalb nicht gecancelt, er war in einem Dutzend Talkshows. Und wofür? Dafür, dass er Panik geschürt hat, Dass er Impfgegnern und den rechtsradikalen Querdenkern das Wort geredet hat. Zwei seiner Kollegen – ich habe nicht viel davon gesehen, aber die zwei halt zufällig schon – haben superironisch darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Kinder zu schlagen. So ironisch, dass man die Ironie nicht mehr bemerkt. Gute Schauspieler und so. Tausende Kinder werden zu spüren bekommen, dass da kluge Leute in einem schicken Loft über so was reden. Ironie versendet sich. Wäre Cancel Culture ein Ding, dann wären jetzt 53 Karrieren ein für alle Mal zu Ende. Wir werden sehen.
– ein junger Comedian hat den Künstlernamen Chris Tall gewählt, damit er seine Shows damit eröffnen kann, dass er so was sagt wie „Heute machen wir hier richtig Chris Tall-Nacht“ – und er sagt so was wirklich! Was macht er so für Witze? Hauptsächlich rassistische, ableistische und er liebt Bodyshaming. Der perfekte Comedian für die AfD-Weihnachtsfeier. Ist der gecancelt worden? Warum muss man ihn denn dann auf jedem Sender ständig sehen?
– es gäbe noch eine Menge weiterer Beispiele. Gottschalk redet rassistischen Müll, Nuhr tritt ständig nach unten, agiert wissenschaftsfeindlich – the list goes on and on.
So, jetzt genug davon, wir wissen alle, dass es Cancel Culture nicht gibt, also, zumindest nicht von links.
So, und jetzt schauen wir mal in den Literaturbetrieb. In diese shiny Welt der deutschen Literatur. Oder auch der Belletristik, wie auch immer. Und jetzt zählen alle mal die Autorinnen auf, die sie im Deutschunterricht gelesen haben. Oh, das war eine kurze Auflistung. Türkische Autor*innen? Schwarze Autor*innen? Wie viele Bücher über offen homosexuelle Beziehungen? Helden mit körperlicher oder geistiger Behinderung? Trans Männer und Frauen, egal ob als Figuren oder Autor*innen? Und wie viel davon wird verlegt? Schaut doch mal bei Thalia oder wo auch immer vorbei, wie viel solche Literatur in den Auslagen liegt. (Na ja, oder wartet halt ab, bis mehr Leute geimpft sind, und ihr wieder in Buchläden gehen könnt.)
Da funktioniert Cancel Culture nämlich. In der Literatur, wie in jedem anderen Medium.
Die Sache ist eigentlich ganz einfach. Nicht nur auf der Straße meint man, nicht kritisiert werden zu wollen, wenn man Meinungsfreiheit verlangt, von der es eine ganze Menge gibt. Speziell für Rassisten und Nazis. Genau das gleiche passiert auch in den Medien oder im künstlerischen Betrieb. Nein, vielleicht wird heute niemand mehr dafür gefeiert, dass er eine Vergewaltigung im Schlaf glorifiziert – nun, im NRW-Abitur müssen es aber immer noch alle Schüler*innen lesen -, vielleicht wäre Lolita auch heute nicht mehr so einfach durch ein Lektorat zu bekommen. Egal, was für feine Prosa du schreibst. Ich hoffe, es würde auch keine Filmförderung mehr einem neuen „Jud Süß“ Geld zuschießen. Wir sind in manchen Dingen halt doch ein bisschen reifer geworden. Oder zumindest hofft man das immer.
Zu allen Zeiten aber hat sich die Kunst der Kritik stellen müssen. Das gilt auch für die Literatur. Und wenn ich heute weiße, heteronormative und patriarchale Literatur schreibe, dann werde ich das vermutlich immer noch ohne Probleme veröffentlicht bekommen, wenn ich gut genug schreibe. Da ist nichts gecancelt. Aber eventuell werde ich dafür kritisiert. Und wenn ich melodramatisch über Marginalisierte schriebe, ihr Anderssein postuliere, ohne auch nur einen Hauch von Empathie aufzubringen, ja selbst, wenn ich aus Nachlässigkeit rassistische Dinge schreibe, dann werde ich dafür nicht gecancelt werden, aber ich werde kritisiert werden. Und ja, vielleicht werden der Kritik Menschen zuhören, die nicht im letzten Jahrtausend hängen geblieben sind und vielleicht werde ich wirklich nicht so viel verkaufen. So what? Geschmäcker ändern sich glücklicherweise. Und Kritik gehört dazu.
Aber vielleicht geht es ja auch anders. Vielleicht schreibe ich einfach mal ein paar selbstverständlich diverse Charaktere in mein Buch rein. Vielleicht denke ich mal out of the box und stelle Frauen in den Mittelpunkt, oder queere Menschen? Vielleicht lasse ich dicke oder schwarzhaarige Menschen nicht als lustige Nebencharaktere mitlaufen, sondern nehme sie genauso ernst, wie alle anderen Charaktere auch. Ach ja, ich kann auch mal schauen, wie es ist, arm zu sein, und was daraus resultiert. Einfach mal out of the box. Das einzige Problem dabei könnte sein, dass ihr dafür von den Verlagen und der Branche gecancelt werdet. Passiert häufiger, als man glaubt.