Archiv für den Monat August 2021
Kreative politische Aktionen – ein paar Gedanken
Immer mal wieder gibt es Gruppierungen, die Politik mit Kunst mischen. Die Aktionen gestalten, die provokative Happenings sind, Performances, die mit Dingen spielen, die manchmal auch über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus gehen.
Ich pick mir mal drei Beispiele raus.
Inzwischen scheint die Femen-Bewegung nicht mehr so richtig aktiv zu sein, zumindest habe ich schon seit langer Zeit von keinen Aktionen mehr gehört. Femen haben teilweise einfach darüber für Furore gesorgt, dass sie ihre Brüste entblößt und mit Parolen beschriftet haben. Mit der Zeit wurden ihre Aktionen aber noch spektakulärer und sie mischten aktionskünstlerische Methoden ein.
Immer mal wieder sorgt das Zentrum für politische Schönheit für große Aufregung. So wollten sie vor dem Reichstag symbolische Gräber für ertrunkene Geflüchtete anlegen und spielten mit der frage, ob sie wirklich Leichen dabei hätten. Sie haben auch angebliche Asche von Opfern der Shoah in eine Säule eingebracht und in Berlin aufgestellt. Ihre Aktionen sind immer wieder so hart am Nerv, dass sie Kritik aus allen Richtungen bekommen.
Extinction Rebellion, kurz XR, sind der leicht radikalere Arm der FFF-Bewegung. Neben Blockaden nutzen sie immer wieder „kreative Protestformen“, zu denen auch Trauermärsche und scheinbare Hinrichtungen gehören, um darauf aufmerksam zu machen, wie den nachfolgenden Generationen eine bewohnbare Erde weggenommen wird.
Ich stehe keiner dieser Organisationen nahe und ich weiß, dass es bei allen dreien Diskussionen gibt oder gab, die sich um ihre Organisation oder um einzelne Mitwirkende dreh(t)en. Wie berechtigt oder nicht berechtigt diese Diskussionen sind, weiß ich nicht. Ich will auch nicht mitdiskutieren. Mir geht es um die Aktionen.
Ich habe ja schon ein bisschen beschrieben, wie die Aktionen aussehen und teilweise auch, warum sie funktionieren, aber hier möchte ich ein bisschen genauer drauf schauen:
Femen haben ziemlich grundsätzlich mit Tabus gebrochen, vor allem natürlich mit dem, die weibliche Brust zu zeigen. Dass das ein Tabu ist, ist sicherlich rational kaum zu erklären und es gibt immer wieder Bewegungen, die sich gegen dieses Tabu richten. Das war aber wohl nie die Richtung der Femen. In einer Welt, in der Frauen (und weiblich gelesene Menschen) genauso normal und unproblematisch ihre Brust entblößen können wie Männer, hätte es die Aktionen der Femen so nicht gegeben, oder sie hätten schlicht keinerlei Aufmerksamkeit gebracht. Durch den Bruch des Tabus konnten ein, zwei oder drei Aktivistinnen in etwa so viel Aufsehen erregen, wie sonst ein paar hundert oder mehr Demonstrant*innen. Das ist extrem effektiv.
Neben linker Kritik an einigen Zielen der Femen, gab es aber aus dieser Richtung oft auch große Kritik an der Form der Aktionen. Im Kölner Dom auf den Altar springen, bei Lanz auf die Bühne klettern, das entsprach nicht dem Stil, den man sich wünschte. Und dann haben sie ja auch noch ihre Brüste gezeigt.
Inhaltlich habe ich auch einiges zu kritisieren, die Aktionen fand ich aber eigentlich immer folgerichtig und in ihrer Effektivität genial. Ja, die Femen sind Menschen auf die Nerven gegangen, haben jede Menge Misogynie herausgefordert und entlarvt – auch in linken Lagern -, aber ich würde erstens niemandem vorschrieben wollen, wie sie sich anzuziehen, oder auszuziehen, haben, und zweitens finde ich es auch völlig okay, an Orten zu erscheinen, wo man nicht gewünscht ist. Wenn Greenpeace früher irgendwelche Schornsteine erkletterte, hatte ich damit auch nie größere Probleme.
Zum Zentrum für politische Schönheit habe ich die wichtigsten Sachen schon geschrieben. Hier ist das Mittel der Wahl wiederum häufig ein Spiel mit Tabus. Mehrfach schon mit dem Tabu der Totenruhe. Vermutlich, weil es kaum härtere Tabus gibt, speziell in unserer heutigen Welt, in der der Tod scheinbar nicht mehr zum Leben dazu gehört, sondern ausgesperrt wird. In manchem erinnert das, was Politicalbeauty macht, an Schlingensief und seine wilderen Aktionen. Der ist ja nun mal nicht mehr da und irgendwer muss den Job ja machen.
Warum sind ihre Aktionen wirksam? Weil sie Emotionen erregen, weil sie Dinge überspitzen, nicht auf kabarettistisch-witzige Art – na ja, manchmal schon – sondern auf eine emotional-radikale Art.
Jetzt wird Philipp Ruch, der als Kopf von Politicalbeauty gilt, gerne mal Größenwahn vorgeworfen, aber nun ja, das ist etwas, das bei mir nicht verfängt. Erfolgreiche Künstler*innen aus so ziemlich jedem Bereich sind immer größenwahnsinnig und narzisstisch, ich mein, warum sonst sollte man das machen? (Viele übrigens nur sehr wenig und gut kontrolliert, aber Menschen ohne Geltungsdrang kommen künstlerisch vermutlich nie so wirklich groß raus)
Politicalbeauty treten auf die Füße, natürlich treten sie auch auf Füße von Menschen, die nicht wirklich was dafür können. Als sie vorgegeben haben, dass sie wirklich Asche von Holocaust-Opfern ausgegraben haben, war das natürlich eine Provokation sondergleichen – bei der ich allerdings ruhig geblieben bin, weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass sie wirklich so weit gehen.
Sie behaupten Dinge, und die sind manchmal sehr geschmacklos. Meine Probleme damit sind wiederum überschaubar. In der Kunst ist nun mal nicht alles geschmackvoll und schön und ja, Provokationen haben oft auch Opfer, die sie nicht haben sollten. Ich bin trotzdem der MEinung, dass Kunst provozieren darf und manchmal auch soll. Ich finde es auch völlig in Ordnung, Politicalbeauty zu ignorieren, wenn sie mal wieder einen Coup ankündigen. Denn es ist nun mal Kunst und die muss nicht allen gefallen. Im Gegensatz zu den Femen habe ich inhaltlich wenig echte Probleme und finde manche Aktionen recht gut. Es gab sogar ein paar Momente, in denen ich emotionalisiert wurde, Respekt.
Auch hier gibt es viel linke Kritik, die fundamental ist. Politicalbeauty ist für manche auch nicht besser als die AfD. Und das verstehe ich nicht so recht.
XR ist auch so ein Ding. Hier steht kein gestandenes Künstler*innenkollektiv hinter Aktionen, sondern hauptsächlich junge Menschen, die etwas aggressiver auftreten wollen, als Fridays for Future das machen. Und weil hier eine gewisse Radikalität und Jugend sich mit der Idee der politischen Kunst mischt, gerät auch manches Bild ein wenig schief. Aufgebaute Galgen sind ein radikales und unangenehmes Bild. Und ein harter Trigger für manche Menschen. Menschen, die scheinbare Leichen abgeben und irgendwo in einem Flashmob herumliegen, sind das auch.
Auch hier werden Tabus gebrochen, auch hier wird provoziert – und das oft auch nicht sehr gekonnt. Kunst kommt nun mal nicht von Wollen, nicht wahr?
Hier bin ich einigermaßen gespalten. Manchmal denke ich mir, hey, überlasst das doch Leuten, die sich damit auskennen, aber dann halte ich mich wieder für arrogant und besserwisserisch und das hilft ja nun mal keinem weiter. Und die Galgen, die „Leichen“ … tja … ich habe im Theater auch schon eine Menge Blut vergossen, manchmal gehört das halt dazu.
Insgesamt habe ich manchmal das Gefühl, dass von einer politischen Kunst erwartet wird, dass sie immer und überall ausdifferenziert und konstruktiv sein muss. Das sehe ich nicht. Natürlich kann man manches kritisieren, aber die Kritik wächst sich allzu oft zu einer seltsamen Art des Tone Policings aus. Ja, macht meinetwegen politische Kunst, aber tut damit keinem weh! Ja, geht halt nicht immer.
Speziell bei XR neige ich zu Nachsicht. Und ich verstehe, dass es in der Klimabewegung immer mehr Menschen gibt, die radikaler sein wollen. Absolut verständlich, denn es passiert ja nichts. Selbst eine von den Grünen geführte Regierung wird vermutlich so wenig tun, dass es innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Art Klima-RAF geben wird. Was soll man auch machen, wenn man jung und noch nit abgestumpft ist?
Ich möchte keiner vorschreiben, ob sie mit Galgen für ein radikales Bild sorgen darf. Klar kann das triggern. Aber ich gehöre zu den Generationen, die den jungen Menschen die Zukunft zerstört haben. Ich kann denen keine Vorschrift machen, ohne mich in Grund und Boden zu schämen.
Und ich habe noch was im Hinterkopf. Nämlich eine gewisse Feindschaft der Kunst gegenüber, die es immer wieder in linken Kreisen gibt. Künstlerische Aktionen klingen eben nicht nach Klassenkampf. Und hey, natürlich musst du Kunst für lau und unkommerziell machen, sonst ist es doch keine Kunst, oder? (Kleiner Tipp: einen Scheiß müssen Künstler*innen!)
Eine Ode dem Allohol? – Der Rausch – Keine Rezension
Spoilerwarnung! Wenn du nicht wissen willst, was passiert, dann schau den Film halt erst!
Es gab eine Menge Lobeshymnen für diesen dänischen Film , der seinen deutschen Titel so bekommen hat, um in einer Reihe mit „Das Fest“ und „Die Jagd“ zu stehen. Klingt schmissig. Und deutlich kompromissloser als der englische Titel „Another Round“ – der Originaltitel „Druk“ meint wohl so was wie einen Alkoholexzess, Komasaufen, Druckbetankung, und ist damit noch kompromissloser.
Worum geht es? Um Lehrer, gleich vier Stück, die alle eher unzufrieden mit sich und ihrem Leben sind und ein Experiment machen. Sie werden bei der Arbeit trinken, schön einen Pegel von 0,5 Promille halten und schauen, was passiert. Und yay, sie unterrichten besser und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Der Rausch ist ein wirklich guter Film, keine Frage. Die Schauspielenden machen ihre Sache alle gut, es gibt einige sehr witzige und einige sehr tragische Momente, und einen überbordenden Schluss, der so mitreißend ist, wie man das selten sieht. Der Rausch funktioniert, berührt und lässt einen Nachdenken. Ich habe gehört, dann kann ein Film ja nicht so schlecht sein. Merkt man mir ein Aber an? Nun gut:
Aber er kratzt dann letztlich doch nur an einer Oberfläche. Ich hörte aus mehreren Quellen, es ginge hauptsächlich darum, dass das Lehrerschicksal jeden Tag die eigene Sterblichkeit vorgeführt zu bekommen, weil man selbst altert und die Menschen da vor einem nie altern und immer so jung und schön und so weiter sind. Ja, ist total tragisch. Und so belastend. Muss man doch trinken, oder? Ich verstehe das Argument nicht. Und ich bin in der gleichen Situation, meine Schüler*innen werden auch nie älter. Und ich trinke nicht. (Vielleicht bin ich allerdings als Abstinenzler auch insgesamt der falsche Rezipient?)
Thomas Vinterberg wollte mit dem Film auch eine Kritik an den Trinkgewohnheiten seiner Landleute üben. Was ihm manchmal auch gelingt, also, bis auf den Schluss, wo dann doch alles wieder gut im Suff zu ertragen ist? Ist der Kastenlauf, ein Spektakel bei dem Mannschaften beim Lauf um einen See einen Bierkasten leeren müssen, jetzt ein Problem? Das Rauschexperiment fordert anderthalb Beziehungen und ein Menschenleben, so als kleines Seitenproblem. Und trotzdem gibt es kein Lernen, kein Nachdenken und einen hübschen ausgelassenen Tanz von Mikkelsen am Ende. Yay?
Ich kann nachvollziehen, dass Unterricht mit leichtem Alkoholeinfluss leichter fällt. Man weniger Hemmungen hat, man weniger auf seine Fassade achtet und sich auf guten Unterricht konzentrieren kann. Nun ja, der Hemmungslöser bringt einen aber auch um, könnte das vielleicht mit in die Rechnung integriert werden? Ach ja, und er macht süchtig. Schade.
Natürlich muss Vinterberg dafür keine Lösung anbieten, es ist absolut ausreichend, dass er Dinge aufzeigt. Und das macht er ja. Und niemand möchte doch einen Film mit einer altmodischen Moral, oder?
Ich hätte eine neumodische Moral cool gefunden. So Menschen, die miteinander reden, einander Mut machen, eine neue Schulkultur etablieren, in der man menschlich und respektvoll miteinander umgeht. Das hätte mir Spaß gemacht. Aber vielleicht sollte ich einfach mal was trinken, soll entspannen …