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Wann haben wir uns so an Lügen gewöhnt?
Alle reden über Lustreisen, ich nicht. Dass der Spiegel meint, die Berliner Piraten und ihre Reise nach Island in Grund und Boden zu schreiben, ist bedauerlich, aber letztlich nur ein Zeichen dafür, wie tief der Spiegel gesunken ist.
Aber was mich vielmehr interessiert, ist die Frage, die ich in der Überschrift gestellt habe. Gestern Abend habe ich mich wie fast immer größtenteils aus dem Thema Fernsehen rausgehalten, bekam dann aber ein Interview mit Gesine Lötzsch auf die Nase gebunden, nur weil ich nicht umhin konnte, danach „druckfrisch“ ansehen zu wollen. Und dieses Interview, das ein ganz normales Politikerinterview war, nichts Besonderes, sie antwortet nicht auf die Fragen, die ihr gestellt werden, sondern auf die, die ihr irgendwelche Stimmen im Hinterkopf stellen, dieses Interview ist der Auslöser, warum ich mir diese Frage stelle. Jedes Wort, das Frau Lötzsch aussprach war Taktik, das meiste davon auch noch mit einem Lächeln ausgestoßen, dass absolut falsch war. Nicht schlecht geschauspielt, aber auch nicht glaubhaft.
Ich will eigentlich gar nicht auf Frau Lötzsch einprügeln, sie tut doch nur, was alle machen. Wann hat man denn das letzte Interview gehört, in dem ein Politiker der Etablierten irgendwas gesagt hat, was ehrlich geklungen hätte? (Mit Sicherheit nicht bei Jauch, oder?) Alles ist Taktik, alles ist letztendlich Lüge. Fragen werden nicht beantwortet, und da hilft es auch nicht, wenn die Politiker der Grünen oder Linken es schon mal schaffen, eine gehörige Ironie in ihre Aussagen zu packen – sie lassen merken, wenn sie taktieren, statt einfach mit dem Taktieren aufzuhören. Man hat das Gefühl, dass es in der ganzen Welt keine Menschen mit weniger eigener Meinung gäbe, als deutsche Politiker. Wahrscheinlich auch, weil die Journalistendarsteller in weiten Teilen der BRD schon vor längerer Zeit aufgehört haben nachzudenken, und stattdessen jeden innerparteilichen Konflikt zu einer Geschichte aufbauschen, anstatt sich um die Inhalte zu kümmern. Kein Wunder, dass wir deswegen von einer Kanzlerin regiert wird, die andauernd ihr Fähnchen in den Wind hängt, das Land zu Tode langweilt, aber auf das Regieren weitestgehend verzichtet – und dafür gute persönliche Umfrageergebnisse bekommt.
Die Politk ist glatt und ölig, inhaltsleer, meinungsleer, weil man einfach beim Wahlvolk keine Stimmung gegen sich erzeugen will – man nimmt lieber hin, dass es gar keine Meinung mehr gibt, dass die Hälfte der Menschen einfach gar nicht mehr wählt, dass die Demokratie sich immer weiter aushöhlt – man hat sich so wunderbar mit den Lobbys eingerichtet, gibt die Verantwortung lieber an die Banken und Konzerne ab, dann braucht man selbst nicht denken, und wird wiedergewählt.
Ist es da ein Wunder, wenn man Pirat wird? Ist es ein Wunder, wenn Piraten gute Umfragewerte bekommen? Da sind die kleinen unterschwelligen Konflikte der anderen Parteien gleich Shitstorms, die Sprache gerne mal rau und direkt, und wenn man gefragt wird, was man zu einer Sache meint, dann sagt man seine Meinung – und kriegt von der Partei garantiert auf die Nase. Und wenn man nach Informationen gefragt wird, die man nicht weiß, dann sagt man, dass man sie nicht weiß … einfach so … geht auch, oder? Nein, die Piraten dürfen sich nicht professionalisieren, wir müssen für Ehrlichkeit stehen, wir dürfen auch mal schlecht aussehen, wir dürfen auch mal nicht weiterwissen, und wenn ein paar zukünftige Parlamentarier quasi embedded journalists auf eine Islandreise mitnehmen, dürfen sie sich auch noch wundern, dass sie von diesen dann in die Pfanne gehauen werden – hey, aus Fehlern lernt man. Und ich halte es einfach für richtiger, wenn man mit ehrlichen Antworten mal auf die Nase bekommt, als wenn man aalglatt ist, und nur weiter den Menschen zeigt, dass Politiker sich so weit von den Menschen entfernt haben, dass es einfach nur noch schmerzt.
Quick – Castor
Nur kurz mal drüber nachdenken. Nein, als der Atomausstieg noch unangetastet war, war auch der Transport von Castorbehältern noch einfacher, keine Frage. Als Kind der Achtziger fühle ich mich wohl, Wackersdorf lässt grüßen, zumindest ist es wieder einfach, schließlich weiß man wieder, wer die wirklich verderblichen Kräfte in diesem Land sind und kann dagegen demonstrieren.
Es ist schon erstaunlich, wie konsequent diese Regierung, so wie die letzte schwarz-gelbe, sich rein auf heutige wirtschaftliche Interessen, auf das momentane Wohl – nein, nicht des Volkes, wer glaubt denn da noch dran – des Geldes, konzentriert.
Wenn da der Einsatz von tausenden Polizisten, die in großer Zahl eigentlich innerlich auf der Seite der Demonstranten sind, richtig Geld kostet, dann ist das wenigstens ein wenig konsequent.
Allerdings werden die Demos nicht viel bringen, vor allem nicht, dass die Regierung auch nur einen Zentimeter von ihrem Pro-Atom-Kurs abweicht. Da hat Frau Merkel von Ehrenwort-Papa Helmut gelernt, das sitzt man aus, kein Problem – auf das Volk hören, ist in der CDU genauso verpönt, wie auf gute Argumente hören.
Also warten wir mal auf die zukünftige Grün-rote Regierung, die das alles wieder kippt, darf ja nicht langweilig werden …
Quick – Wulff wird Präsident …
… und alle wissen, das Gauck der bessere Kandidat ist. Jetzt kann man lange darüber philosophieren, dass Gauck ein kluger taktischer Schachzug der SPD und der Grünen ist, okay, aber mal langsam und genau geschaut. Gauck ist niemand, der es allen leicht macht, ein Typ, der über Freiheit spricht, wie kaum einer, einer, der seine persönliche Freiheit auch betont, unparteiisch ist. Und Gauck ist nach allem, was man bisher weiß, unbescholten im besten Sinne des Wortes – etwas, was man im normalen Politikbetrieb eigentlich schon gar nicht mehr kennt.
Trotzdem wird Wulff Bundespräsident werden. Warum? Eine Frage der Macht! Erstens ist es für Merkel praktisch, den durchaus nett wirkenden Wulff auf einen Posten zu loben, an dem er nicht viel zu sagen hat. Und weil er so herrlich farblos ist, wird der nette Herr Wulff auf dem Präsidentenstuhl auch keinen Ärger machen, der Welt nicht erklären, dass Deutschland Wirtschaftskriege bereit zu führen ist, und das auch noch gut finden. Und noch viel weniger wird er unbequeme Vorschläge machen, Ruckreden halten oder das Gewissen der Republik sein – wie das frühere Präsidenten durchaus geschafft haben. Merkel wird ihn durchsetzen, weil sie es sich nicht leisten kann, dass ihr Kandidat verliert – dafür werden alle Wahlleute heftigst unter Druck gesetzt werden. Wulff wird also farblos da sitzen, bis er abgewählt wird, weil die Sympathiewerte der jetzigen Regierung bis zur nächsten Wahl ungefähr bei Null liegen dürften, ähm, lass mich überlegen … bei Null Grad Kelvin.
Wieder mal eine verpasste Chance, die Frau Merkel einfach aussitzen wird, in der Hoffnung, dass das schlechte politische Gedächtnis und ihre Hofberichterstatter beim Springer-Verlag ihre Sympathiewerte schon wieder nach oben bringen werden.
Quick – #notmypresident
Unter diesem Twitter-Stichwort „#notmypresident“ gibt es inziwschen eine ordentliche Oposition gegen Frau von der Leyen, die ja auch gern als Zensursula im Netz bezeichnet wird – ich bin da voll einverstanden mit, find ich super, allein, ich glaube irgendwie, dass die liebe Ursula nur ein trojanisches Pferd ist.
Jetzt mal ehrlich, der erste Kandidat wird es doch irgendwie nie, der Name wurde gestreut, damit man sich ein bisschen an ihr abarbeiten kann, und wenn erstmal ungefähr zwei Millionen Leute in der Facebook-Gruppe gegen Zensursula sind, dann wird der wirkliche Kandidat präsentiert und alle werden sagen, naja, hätte schlimmer kommen können … und dann kommt es schlimmer.
Um ehrlich zu sein, ich halte eigentlich niemanden in den regierenden Parteien für dieses Amt geeignet, das liegt ja schon daran, dass sie in der CDU oder FDP sind. Und ich finde die Idee, die hier und da auftaucht, dass Joschka Fischer ein guter Präsident wäre, immer noch nicht für völlig abwegig.
Ich finde, Bundespräsident sollte immer jemand werden, der nicht mehr tagesaktuell eingebunden ist, also keiner, der aktuellen Minister oder Ministerpräsidenten – argh, ich habe gerade das akustische Bild von Jürgen Rüttgers bei der Berlinder Rede, nicht schön – es sollte jemand sein, der nie mit schwarzen Konten in Kontakt war – das schließt die halbe CDU schon aus -, dem man eine gewisse Meinungskonsistenz zutrauen würde, und der vielleicht sogar jemand ist, der moderieren kann, einigen – und vielleicht sogar jemand, der es nicht für unproblematisch hält, Kriege für Wirtschaftswege zu führen. Ich könnte mir so halbwegs einen sehr kleinen Präsidenten, also Norbert Blüm vorstellen – der hat wenigstens Humor -, eventuell auch Klaus Töpfer … die sind zwar beide nicht mehr ganz frisch, und beide sind dadurch vorbelastet, dass sie bei Ehrenwort-Helmut Minister waren, aber für CDU-Politiker sind sie recht glaubhaft. Oder vielleicht auch Heiner Geißler …
Hm, nee, zu viel Hoffnung sollte man nicht in die Glaubhaftigkeit von Frau Merkel stecken … mal schauen, was da kommt …