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Was ist denn nun Kultur? – Nachklapp

Kleiner Nachtrag für meinen letzten Artikel, es gibt da einerseits diese blöde Teekesselchen Sache, ich meine nicht die Kultur als unsere Kultur gegen andere Kulturen, nicht die Festschreibung von Formen, von Denkweisen, die man auch Kultur nennen kann. Mir geht es um Kultur als künstlerische Betätigung im weitesten Sinn, um „art“ – das Problem im Deutschen ist es, dass „Kunst“ eher nur im Bezug auf bildende Kunst genutzt wird, während die performativen Künste zum Beispiel irgendwo unter Kultur verortet wird. Man darf gerne überall da, wo ich Kultur sage, Kunst einsetzen, wenn man es nicht ausschließend versteht.. Ich versuche mich auch an einer Definietion:
Kultur im engeren Sinne ist eine künstlerisch motivierte Hervorbringung die für eine rezipierende Öffentlichkeit geschaffen werden,
Es braucht also zweierlei, einerseits den oder die Künstler, die einzeln oder gemeinsam etwas erzeugen, das keinen nderen Sinn hat, als für Rezipienten erfahrbar zu sein. Hat es nebenbei auch einen anderen Sinn, dann kommen wir sofort in eine Grauzone, zum Beispiel bei Design und Architektur, bei Gebrauchsmusik und Werbesprüchen. Im engeren Sinne zähle ich das hier nicht zur Kultur. Es ist eher kulturähnlich.
Wann fängt also Kultur, Kunst an? Machen wir ein Beispiel, das für viele in der Piratenpartei einfach zu verstehen sein wird ;):
Jemand hat eine tolle Idee, verschwindet für ein paar Wochen an seinen PC und baut in Minecraft eine faszinierende Mischung aus Burg, Raumschiff und Pueblo. Das Ding ist nicht nur riesig , sondern auch noch mit vielen Details und Anspielungen auf Filme, Bücher und bekannte Gemälde ausgestattet, der Baumeister ist euphorisiert, hatte eine Menge Spaß und damit ist es gut – bis hierhin ist noch keine Kunst passiert, sofern der Erbauer nie vor hatte, das virtuelle Gebäude jemandem vorzuführen, oder nur dem Lebenspartner und vielleicht noch zwei Freunden, die schon mal mit auf dem Server herumbasteln.
Jetzt wird aus dem Baumeister aber ganz schnell ein Künstler: Er hat das Gefühl, dass muss man mehr Leuten zugänglich machen. Er nutzt ein Mod, mit dem sein Werk unzerstörbar wird, weil er nicht möchte, dass andere etwas verändern, und lässt umsonst oder gegen Spenden Leute auf seinen Server, die dann durch das faszinierende Ding hindurchlaufen. Oder er möchte, dass es sich weiterentwickelt, und lässt andere weiterbauen, weiterentwickeln – wichtig ist nur, er macht es öffentlich. Er verbreitet die Adresse zu seinem Server, läd Rezipienten ein. Oder er filmt alles und stellt den Film auf Youtube, er macht auf jeden Fall sein Werk öffentlich zugänglich (was nicht heißt, dass er das umsonst machen muss, wenn er vernünftig ist, will er für seine künstlerische Arbeit auch Geld haben) – und dann ist es Kunst.
Oder, etwas anders, jemand schriebt ein Rollenspielabenteuer für seine Gruppe, arbeitet die Sachen schick aus, zeichnet ein paar neue Monster und natürlich den hübschen Widersacher, und spielt das Abenteuer mit seiner Gruppe. Bei aller Arbeit, hier geht es noch um den Gebrauch, es gibt zwar Rezipienten, aber keine Öffentlichkeit. Erst, wenn er die Unterlagen veröffentlicht, wird daraus Kunst und Kultur.
Kultur und Kunst sind weit gestreut, sind nicht so einfach zu fassen, aber wenn man auf der einen Seite davon spricht, dass es keinen eindeutigen Nutzen gibt – außer so unklaren Begriffen wie Genuss, Unterhaltung oder ähnlichem, es also kein weiteres Interesse gibt – und einer Adressierung an die Öffentlichkeit, dann sollte man zumindest einigermaßen einen Begriff entwickeln können.

Wie viel muss der Zuschauer verstehen?

Ich versuch gerade nach Kräften einer Schulproduktion zu helfen, einem kleinen von Schülern selbstgeschriebenen Musical mit ABBA-Songs, das schauspielerisch ein wenig gecoacht werden muss. Dabei unterhält man sich natürlich mit den Kollegen über diverse Dinge und dabei kam die Frage auf, was die Zuschauer verstehen müssen, und was nicht.

So eine Frage führt bei mir ja schon mal zu Meditationen – ich hab mir diese Frage noch nie gestellt, obwohl ich nun schon einige Jahre die Position des Autoren und Regisseurs gerne inne hab. Natürlich hab ich eine impulsive Meinung, die ich nicht geäußert habe, weil ich mir im fast gleichen Moment dachte, dass das eine Meditation verdient.

Das eine Extrem: Ich versteh nix!

Es kommt selten vor, aber es passiert. Das Stück beginnt, ich sehe Bilder, ich höre Sprache und frage mich die ganze Zeit, was denn da los sei. Da ist die Inszenierung nur rudimentär mit dem Text verknüpft, der Regisseur hat vor lauter Ideen vergessen, dass er gefälligst eine Geschichte zu erzählen hat, oder zumindest Mini-Dramaturgien ausspielen muss. Inszenatorische Onanie! Find ich ätzend.

Das andere Extrem: Alles wird erklärt!

Bei manchem Klassiker ist es sogar stückimmanent – die ganze Zeit wird jedes Detail herausgeplärrt, auf das der „doofe“  Zuschauer auch wirklich keinen Zusammenhang verpasst, also gar keinen. Deswegen hat es ja oftmals auch Sinn, Klassiker zusammenzustreichen, aber das nur nebenbei. Auch passieren nur Sachen, die angekündigt und reflektiert werden, alles wird erklärt, es gibt kein Geheimnis mehr – auch furchtbar. Das ist einfach kitschig und noch viel schlimmer, es ist langweilig. Die Zuschauer brauchen nicht mitdenken, das ist nur für die ganz hartgesottenen RTL-Zuschauer erträglich, und die gehen nicht ins Theater. Macht man es dem Zuschauer zu leicht, schläft er ein.

Der Mix macht es – natürlich!

Ach  ja, wie so oft in der Kunst, es dürfen einfach nicht die Extreme sein. Es muss Geheimnisse geben, es muss Sachen geben, die man nicht im ersten Moment versteht. Ja, es ist sogar erlaubt, dass man einzelne Details als Zuschauer übersieht, dass man ein paar Sachen gar nicht so einfach verstehen kann. Wie wunderbar, wenn man ein Stück dreimal sehen muss, bis man alles verstanden hat. In einem Stück über Widerstand im dritten Reich gab es mal den legendären Satz „Ich war gerade beim „T“ von Arschloch“ – ein junger Mann war beim Malen von Parolen überrascht worden. Der junge Mann, der diesen Satz sagte, hat den Gag dahinter erst beim dritten Proben nach Erklärung verstanden – und das, obwohl er meistens ein cleveres Bürschchen ist. Natürlich meinte seine Rolle, dass er gerade das „T“ in Hitler geschrieben habe – damit die Leser den Gag auch erklärt bekommen, Entschuldigung, ich will nur mit offenen Karten spielen. Ich persönlich habe mich beim Schreiben des Gags schon mal kräftig amüsiert, ich fand ihn auch im Stück noch recht lustig. Von den gut zweihundert Zuschauern, die das Stück damals gesehen haben, haben da nicht so viele gelacht, nein, das haben nicht viele verstanden, wer denkt auch um so eine Ecke? Aber die, die es nicht verstanden haben, verpassten nichts Wichtiges, und die, die es verstanden haben, hatten einen kleinen Extrakick. Fand ich super, find ich auch heute noch super.

Und das bringt mich zu einer These: Das Wichtige muss einfach zu verstehen sein. Aber je mehr kleine Gags im Hintergrund liegen, je mehr Geheimnisse und gut durchdachte Anspielungen die Zuschauer bereichern, desto besser. Das grundsätzliche Stück sollte da nicht drunter leiden, man kann auch mit Gags an der falschen Stelle und Anspielungen und Zitaten an Stellen, an denen einfach Wichtigeres stehen müsste, ein Stück kaputt machen. Es gibt Momente, in denen die Zuschauer nicht mehr denken dürfen, sondern fühlen müssen.

Also noch mal eindeutig, die Zuschauer müssen nicht alles verstehen. Das Wichtige müssen sie aber verstehen, sonst fühlen sie sich völlig zu Recht betrogen.

Zwei Fragen bleiben:

Muss alles logisch sein?

Klare Antwort: NEIN! Nein, es muss nicht alles logisch sein, aber auch das ist eine zweischneidige Sache. Es gibt eine Bühnenwirklichkeit, der Typ, der zwanzig Zentimeter am Kollegen vorbeigeht, ihn aber nicht sieht, weil es gerade so sein muss, oder die klassische Haushälterin, die immer mal wieder über die Schulter ihre wirkliche Meinung über die Herrschaften in Richtung Publikum laut flüstert – was die Herrschaften natürlich nicht hören. Ich mag es gern auch noch ein bisschen anarchistischer und ironischer, ich hab einen großen Spaß daran, wenn die Rollen in wiederum nicht gerade den emotionalsten Momenten bemerken, dass sie in einem Theaterstück mitspielen, wenn an einer Stelle, an der sie nicht da sein kann, die Gouvernante hereinschaut und um Ordnung bittet, weil das ja nun mal ihr Job ist. So kleine Cracks in der stückimmanenten Logik sollten in Komödien immer erlaubt sein – wie gesagt, nicht an Stellen, die wirklich wichtig für die Handlung sind. Man sollte Logik nicht zu ernst nehmen – die Geschichte schon, die Logik, och nö …

Muss alles durchdacht sein?

Auch nicht. Wie oft passiert es: Man probt eine Szene zum ersten Mal, die Darsteller gehen auf die Bühne und machen etwas, und man sagt: „Das ist gut, machen wir so.“ – Und irgendwann fragt ein Zuschauer, warum hat er denn das so gemacht, warum kam sie von dort, und bietet gerne auch noch eine Interpretationsmöglichkeit an. Und dann steht man da, nickt wissend und denkt sich – ähm, Interpretation, nun, es sah gut aus … Instinkt oder so … manchmal hat Kunst vielleicht einfach was mit Können zu tun, und nicht mit Denken. Und es gibt ja oft auch den Moment, in dem man diesen kleinen unsicheren Schritt geht, von dem man weiß, dass er irgendwie richtig ist, dessen Begründung oft erst deutlich später nachkommt, vielleicht aber auch nie, und der eben trotzdem richtig ist. Es ist eben doch Kunst, und die ist nicht immer plausibel, rational und durchdacht.

Die Idee der Kunst in der Theaterpädagogik

Kann man Schauspielerei so beibringen, wie man Mathe lehrt? Wohl eher nicht, wird man vielleicht verstehen. Theater hat ja was mit so seltsamen Sachen wie Phantasie und Kunst zu tun.

Nun meinen einige, dass man dennoch jungen Menschen nur die Techniken beibringen muss, und schon werden sie auf der Bühne gute Leistungen bringen. Also werden Techniken eingepaukt – so weint man, so lacht man, so tut man so, als ob eine Kraft einen durch den Raum zieht, so ist man leise, so ist man laut. Aber so wichtig das alles ist, so wichtig ist es auch, als Pädagoge im Theater, aber durchaus auch in allen anderen künstlerischen Bereichen, selbst als Künstler zu denken. Versucht man nicht, künstlerisch etwas mit seinen Schülern zu erreichen, dann lebt man ihnen nicht die Kunst vor. Legt man an sie nicht die Messlatte der Kunst, dann erzieht man sie nicht zu Künstlern.

Das führt manchmal zu Schwierigkeiten der etwas anderen Art. Jeder ist einfach zufrieden zu stellen, wenn seine Kinder oder Enkel ein nettes Stück mitspielen. Irgendwas niedliches, einfaches – nichts, wo man wirklich angerührt sein muss. Spielt man dann ein Stück, das von Zuschauern und Darstellern ein bisschen was verlangt, dann sind Eltern schon kritischer – hat man da die Schüler falsch erzogen, geht das auch schon mal schief an, nach praktisch jeder Inszenierung verliert man Schauspieler, bekommt aber meistens auch neue hinzu, weil sich Menschen immer auch von Kunst angezogen fühlen. Es ist wohl so, das Kunst immer auch einen Hauch „tut man nicht“ an sich hat – und wenn dann die Vierzehnjährige eine Figur spielt, die als Kind missbraucht wurde, dann ist das für Eltern und Großeltern nicht so ganz easy – für sie selbst war es eine tolle Rolle.

Es ist noch nicht mal der Reiz des Tabubruchs, man muss keine Tabus brechen, um Eltern zu erschrecken, es reicht, wenn sie ihre Kinder plötzlich in einem völlig anderen Licht sehen, weil die plötzlich Sachen machen, die sie ihre Eltern noch nie gezeigt haben. Natürlich sind es gerade diese Momente, die sie zu Schauspielern machen, die sogar schon Zehnjährige zu Schauspielern macht.

Wie also muss ich als Pädagoge vorgehen? Nun, es ist ganz einfach: Ich muss meine Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen auch gleichzeitig zu meiner künstlerischen Arbeit machen. Wenn ich aus künstlerischer Sicht nicht an dem interessiert bin, was ich mit den Schülern mach, dann kann ich im besten Fall Kunsthandwerk abliefern, was nun mal leider nichts mit Erziehung zur Kunst zu tun hat. Aber meistens wird es noch nicht mal das werden, es wird nett werden, oder einfach furchtbar – das, was sich die Eltern unter Theater vorstellen, die selbst keine Ahnung von Theater haben. Also muss ich mir Ziele setzen, bereit sein, meine Schüler auch mal zu überfordern, und damit aber immer wieder erreichen, dass sie Sachen machen, die einfach nur magisch sind – und das ist es doch, was Kunst sein soll, eine Form der Magie.

Einstellungen, Einstellungen

Weil ich in letzter Zeit mehrfach darüber nachgedacht hab, was eigentlich der richtige Zugang, die richtige Einstellung zum Theater ist, ja sein muss, möchte ich hier mal wieder ein wenig meine Gedanken sammeln und sie zur Begutachtung frei geben.

Naja, als erstes muss ich mal festlegen, dass Theater ein Kunst ist, und wie alle Künste nicht von einem praktischen Sinn erfüllt. Genauso wenig, wie es wirklich einen Grund gibt, aus einem Stein eine Statue zu hauen, genauso wenig gibt es einen, eine Bühne zu betreten – außer für die wenigen, die damit ihr Geld verdienen können, aber wie viele sind das schon. Wenn es also eigentlich keinen Sinn dafür gibt – und wahrlich, man wird oft genug darauf hingewiesen, dass es keinen Sinn dafür gibt, zumindest in den Augen derer, die die Vernunft gepachtet haben und fragen, ob man denn nicht lieber was machen will, was ein bisschen sicherer ist … Danke, nein! – wenn es nun also keinen Sinn dafür gibt, dann muss man mal ein bisschen bohren, warum macht man das denn?

Man macht Kunst, weil es da eine Art Magie gibt – ja, ich weiß, wie esoterisch das klingt -, eine Verbindung zwischen Künstler und dem Empfänger dieser Kunst, die eine man in der Wirtschaft eine Win-Win-Situation nennt. Der Künstler gibt seine Energie, seine Phantasie, und durchaus auch sein Handwerk und seine harte Arbeit in die Kunst, und bekommt die süße Belohnung Applaus – und oft noch süßere Sachen, Tränen zum Beispiel, wenn er sie anrührt, echtes lautes Lachen ist auch toll, wenn man merkt, wie sehr die Zuschauer (ja, ich gehe jetzt natürlich vom Theater aus) am Geschehen auf der Bühne teilnehmen, wenn man sie wirklich erreicht, ist das besser als jeder, manchmal auch höfliche Applaus -, der Zuschauer, -hörer, der Leser oder Betrachter bekommt ebenfalls etwas, nämlich jede Menge Anregungen, Gefühle, Gedanken – „wer sich Carmen angeschaut hat, geht als Torrero aus der Oper!“ (keine Sorge, gilt nur für Männer) – ja, ganz besondere Stimmungen, die eben kaum anders als in der Kunst zu erreichen sind. Dafür bezahlt man üblicherweise auch gern seinen Eintritt, seine Tonträger oder gar das Bild, das man erwirbt – oder sollte man vielleicht sagen „bezahlte“, da hier das Internet in eine andere Richtung verweist? Wer weiß, wie lange es noch finanzierbar ist, Kunst zu machen, aber das ist ein anderes Thema.

Also sollte jeder, der gefühlsmäßig zu erreichen ist, verstanden haben, dass es genügend Gründe gibt, Kunst zu machen und das bisschen Magie zu erreichen, das wir in unserer Welt noch haben. Sind wir d’accor? (ich habe keine Ahnung, was der französische Ausdruck heißt und ob er richtig geschrieben ist, aber Insider werden jetzt hoffentlich ein bisschen lachen – dafür macht man das halt …)

Jetzt ist es ja so, dass ich diese Kunst, die man Schauspielen nennt, unterrichte – und man sagt mir nach, dass ich das zumeist auch mit rudimentärem Erfolg mache. Und dazu habe ich natürlich auch eine Einstellung – jaha, ich hab das Thema nicht vergessen, ich komme ihm auch immer näher. Ich möchte etwas erreichen mit meinem Unterricht – und eben nicht nur, dass ich mein Benzin bezahlen kann, auch wenn das ein netter Nebeneffekt ist (an dem Tag, an dem das nicht mehr Nebeneffekt ist, hör ich auf!) – ich möchte, dass meine Schüler ihr Handwerk erlernen, logisch, ich möchte, dass sie selbstbewusster werden, dass sie ein Gespür fürs Auftreten, für Sprache, fürs Publikum entwickeln, ja, ich bin vermessen genug, ich möchte, dass meine Schüler die Faszination, Kunst zu machen, verstehen und selbst fasziniert werden. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass ebendiese Schüler auch dann auf die Bühne gehören, wenn mir gerade nichts einzufallen mag, dass ich mich durch sehr frustrierende Momente durcharbeiten muss – zum Beispiel durch den Moment, in dem sie das, was sie machen sollen, gerade total doof finden – „hey, wir sind die Typen mit der Torte im Gesicht“, heißt es so schön in „Fame“, das trifft auf mich immer zweimal zu, denn mein erstes Publikum sind meine Schüler, das zweite das Publikum – keine Ahnung wem es zu verdanken ist, dass irgendwann eigentlich immer der Punkt kommt, an dem sie das dann doch wieder gut finden, irgendwie weiß ich es dann meistens ja doch irgendwie besser: Lehrerkrankheit.

Und es ist meine feste Überzeugung, dass ich sogar schon mit meinen Grundschülern einen künstlerischen Ansatz verfolge, kein Niedlichkeitsfanal, wie es so überaus üblich ist, kein Märchenkitsch – bei mir spielen Kinder Kinder, keine Fabelwesen, keine Tiere, einfach Kinder, die etwas erleben. Und dabei dürfen die Gefühle auch schon mal schwierig sein, nicht alle sind immer gut, schon lange nicht im Theater – und wie sollen aus Kindern und Jugendlichen denn begeisterte Theatergänger werden, wenn sie in simplen Kitsch gedrängt werden, wenn sie selbst auf der Bühne stehen?

So ist es fast logisch, welche Einstellung ich meinen Schülern mitgeben will, damit die auf der Bühne das beste hinbekommen: Man muss das eigene Ego schön zurück nehmen, mit allen anderen gut zusammen arbeiten, sich selbst nicht wichtig, die Kunst selbst aber umso wichtiger nehmen.

Ich hab keine wichtige Rolle bei einem Stück?

Egal, Hauptsache ich habe eine, und dann werde ich versuchen in dieser Rolle alles zu bringen, was ich kann, werde versuchen, etwas besonderes aus dieser Rolle zu machen, ohne andere an die Wand zu spielen. Nebenrollen, oder in der Übersetzung der Oscar-Kategorie, unterstützende Rollen sind absolut wichtig für jedes Stück – das kann sich so steigern, dass es manchmal ein einziger Satz Text ist, für den Schauspieler einen Sonderapplaus bekommen – dann haben sie was richtig gemacht.

Ich fühle mich übergangen?

Hm, blödes Gefühl, und der Tipp jetzt mal bei sich selbst zu schauen, warum das wohl so gekommen ist, ist immer schwer durchzuführen – aber so ist das nun mal in der Schauspielerei, gerade Schauspieler brauchen so viel Selbstbewusstsein im Wortsinne, sie müssen sich über ihre eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein – und Rollenverteilung hängt oft an Typen, an Äußerlichkeiten – und manchmal glaubt so ein Regisseur einfach, er wüsste es besser, weil das nun mal sein Job ist und weil er die Verantwortung übernimmt, weil er etwas sieht, was man als Schauspieler noch nicht gesehen hat.

Ich langweile mich und ich find das blöd, was ich da machen muss!

Ja, Schauspielerei ist wie Krankenhaus, man wartet lange und es tut weh – nicht von mir, trotzdem richtig. Ich kenn solche Proben, man fährt – ist mir exakt so passiert, lockere fünfzig Kilometer, um zumindest eine zeitlang bei einem Probenworkshop dabei sein zu können, kommt quasi pünktlich zum Mittagessen, macht noch eine halbe Stunde Pause mit, probt dann den Teil der eigenen Rolle, den man schon kann und fährt dann wieder fünfzig Kilometer zurück im Wissen, dass dieses Benzin nicht nötig gewesen wäre – aber durchaus auch mit dem Gefühl, mehr vom Stück gesehen zu haben, sich besser auszukennen – nur die eigenen Sachen, ach ja, das darf man nicht so ernst nehmen, niemand kann nach der Anwesenheit von Amateurschauspielern planen, die sind eh nicht da, wenn man sie braucht. Da braucht man ein dickes Fell, auf beiden Seiten. Ach ja, ich find das auch manchmal blöd, was ich machen muss, in fact, ich muss mir manchmal sogar anhören, dass meine Schauspieler alles doof finden, was sie machen sollen, gehört leider auch zu meinem Job, boah find ich das doof – das Leben ist doch auch echt doof, oder?

Aber ich bin doch wichtig … oder?

Ja, bist du, wirklich, jeder Schauspieler ist sauwichtig, egal, ob er dreißig Seiten Text speichern muss, oder nen Baum spielt, jeder ist wichtig. Aber nie wichtiger als das Stück, nie wichtiger als das Publikum, denn jeder, der sich das anschauen will, der hat ein Recht darauf, dass du dein Bestes gibst, egal, ob er dein Freund ist, oder ob er sich nicht kennt, jeder hat ein Recht, dass du ihn anrührst, ihn begeisterst, denn das ist dein Job – und ich verspreche dir, machst du deinen Job gut, dann wird dir der Zuschauer alles an Anerkennung und sogar Liebe schenken, was er hat – und mehr kannst du nun mal nicht verlangen!

Nun, was ist denn, wenn meine Schüler das nicht wollen, nicht so viel Energie in die Sache stecken wollen, nicht so viel Engagement, nicht so viel von ihrer eigenen Persönlichkeit? Nun, Reisende, so heißt es, soll man nicht aufhalten, wer eine solche Einstellung nicht zustande bekommt, gehört auf keine Bühne, und auch wenn ich immer bereit bin, die kleinen Faulheiten, die kleinen Bequemlichkeiten zu entschuldigen, es sind ja nur Kinder und Jugendliche, man darf da nicht zu hart sein – ich bin der letzte, der das ist -, so ist es meine Pflicht immer wieder in diese Richtung zu schieben, das Theater muss nun mal wie jede Kunst ernst genommen werden, und wenn man diese Einstellung ablehnt, sich selbst wichtiger nimmt, so muss ich auch offen sagen, dass man noch viele andere Hobbys haben kann, es muss nicht Theater oder Musical sein – allerdings werden diese Leute wahrscheinlich auch beim Handball oder Aquarellkurs unangenehm auffallen, beim Erlernen eines Instrumentes sowieso, und eigentlich immer und überall.

Premiere, Publikum, Premierenpublikum

So, eine Premiere liegt hinter mir … vorgestern, und, danke der Nachfrage, ja, es hat ganz gut funktioniert. Ich habe mein Hauptziel wohl erreicht, Zuschauer geschockt, erschreckt, aber auch zum Lachen und zum Nachdenken angeregt. Das tut ganz gut – immerhin muss ich auch selbst ein bisschen spielen und da bin ich ja immer extrem kritisch mit mir selbst, und da brauch ich immer alles, was aufbaut.

Aber dennoch muss mal über das Thema Publikum gesprochen werden. Ein Grundgesetz heißt für mich: Das Publikum ist der Zweck des Theaters, genauer gesagt, der Zweck der Kunst. Wenn keiner liest, was ich schreibe, wenn keiner sieht, was ich male, wenn keiner sieht und hört, was ich spiele, oder was ich inszeniert hab, dann hätte ich es ja auch lassen können. Dieses Grundgesetzt ist ein heftiger Streitpunkt. Viele Künstler meinen, sie wären nicht auf das Publikum angewiesen – ich vermute, das sind Künstler, die ein sicheres Auskommen haben und sich selbst für die Größten halten. Keine Demut vor dem Publikum zu haben, halte ich für falsch – das endet nämlich in Selbstbespiegelung und kultureller Onanie.

Andere Künstler gehen ins andere Extrem: Sie biedern sich an. Ekelhaft verkitschte Operetten, schlechte Comedy mit immer den gleichen billigen Witzen, weichgespülte Melodeien von Bohlens Dieter, die Liste ist noch ewig zu erweitern. Diese Menschen, die sich durchaus oft selbst Künstler nennen, und damit eine ziemliche Anmaßung begehen, denn über Kunsthandwerk geht das ja nie hinaus, tun nichts, was nicht schon ein besserer vor ihnen getan hätte, sie bedienen Seh- und Hörgewohnheiten und halten sich damit für die Retter des Abendlandes. Ekelhaft.

Meiner Meinung nach sollte man das Publikum immer hoch achten, und jeder Ausrutscher, der meinen Darstellern passiert, wird von mir hart gerügt. Beispiel: Vor ein paar Jahren allürte eine junge und noch nicht mal besonders begabte junge Dame vor sich hin, meinte, sie müsste sich nicht der vollen Schminkprozedur unterwerfen, da ja kein Publikum anwesend sei, dass zu ihr gehöre. In der nächsten Stunde unseres Kurses trennten sich unsere Wege, da ich wohl recht deutlich geworden bin … und man lässt sich natürlich nicht gerne vorwerfen, dass man die falsche Mentalität hat, dass man egoistisch, egozentrisch und arrogant sei – nein, ich hab ihr das nicht in den Worten gesagt, ich habe es so gesagt, dass sie es auch ganz sicher verstand.

Natürlich kommt Publikumsbeschimpfung trotzdem vor, schließlich ist das ein gutes Mittel, das Publikum an- und aufzuregen, und es ist ja immer mein Wunsch, dem Publikum Emotionen abzuringen. Ich achte das Publikum hoch, aber ich schleime nicht, ich schone es auch nicht. Ich brauch Reaktionen, und die will ich mit Einsatz vieler, wenn auch nicht aller Mittel erreichen. Leute drehen sich mit Ekel weg – sehr schön -, Leute verschlucken sich vor Lachen – mindestens genauso schön -, die Zuschauer sind richtig wütend über einen Darsteller – großartig -, Zuschauer verlassen den Saal mit Tränen der Trauer oder Rührung den Saal – einfach herrlich. Das ist aber nicht mit Kitsch zu erreichen, oder wenn, dann mit Edelkitsch – und ich mein, meine Wurzeln liegen beim Musical, ich steh natürlich auf Edelkitsch – aber brav sein, das gehört nicht zu meinen künstlerischen Mitteln, genauso wenig wie Provokation ohne Sinn und Verstand.

Aber wie ist mein Gefühl dem Publikum gegenüber? Manchmal liebe ich es. Wenn es reagiert, wenn es sich nicht beherrscht, wenn es mitspielt, wenn es mir an den Lippen hängt … und manchmal hasse ich es … wenn es sich nicht traut zu Lachen, wenn es verstehen will, wo es fühlen soll, wenn es nicht kommt, obwohl man doch so viel dafür getan hat, dass es kommt, wenn es Sachen beklatscht, die viel dümmer sind, als das, was man selbst macht … Manchmal ist das Publikum ein träges Tier, eines, das sich sperrt, eines, das nicht da ist, wenn man es braucht … und dann ist es wieder dein Freund, du liebst es, und es liebt dich zurück …

Ein besonderer Fall – warum eigentlich – ist das Premierenpublikum. Menschen von der Presse sind da und sorgen für Unruhe – ich kann das sagen, ich hab da jahrelang zugehört – Eltern und Verwandte, natürlich auch Kollegen, bilden den größten Teil der hoffentlich großen Masse – und diese Masse tut nichts. Bei Komödien lachen die Zuschauer frühestens bei dem siebten guten Gag – und bis dahin sind die Schauspieler schon lange völlig verzweifelt, der Regisseur schaut schon in die Stellenanzeigen – und bei den ernsten Stücken wissen sie ja, dass es ernst ist – und ernst heißt: Wir spielen Statuen. Es wäre komisch, wenn es nicht so traurig wäre: Das Premierenpublikum ist still wie ein Friedhof, klatscht dann aber oft am Schluss recht heftig und klopft auf viele Schultern, um jedem mitzuteilen, wie ausgezeichnet es ihm gefallen hat. Das Premierenpublikum ist ein seltsames Tier.