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Hooooooooooooooooooooooooooooooonk!
Gummersbach, vor gut vier Stunden, ein riesiges graues Küken schlüpft einer ehrbaren Entenfamilie – und alle sind entsetzt, na gut, alle, bis auf die treusorgende Mutter – das Küken hat offenbar ein Gesicht, das nur Mütter lieben können. Mit einem aufgeregten wilden Geflügelhof beginnt das Spiel, dort wir es gut drei Stunden später auch wieder enden – und dazwischen ist gute Unterhaltung, tolle Musik, ein Amateurensemble (sic!), dass tanzt, spielt und dabei noch präzise mehrstimmig singt.
Ich bin Insider, das Musical-Projekt Oberberg, dass da auf der Bühne spielt, ist meine eigene künstlerische Heimat, aber ich bin auch Regisseur und mein Blick ist kritisch – ja, fast automatisch überkritisch, wenn es um ein Ensemble geht, in dem ich selbst ein paar Jahre verbracht habe, dem ich immer noch freundschaftlich verbunden bin, dessen Nachwuchs ich versuche heranzuziehen, an dem mein Herz hängt. Nicht immer ist der kritische Blick erwünscht, und umso froher bin ich jetzt, nachdem ich HONK gesehen habe, dass ich dieses Musical ohne jede Einschränkung weiterempfehlen kann – letztlich will man das ja immer, wenn man Freunde und Kollegen auf der Bühne sieht.
Ja, klar, mit sicherem Blick sehe ich, wo die verzweifelten Blicke zum Dirigenten sind, höre die Hakler, sehe hier und da den kleinen Spannungsabfall, der Profis da nicht passieren würde. Aber es stört mich nie, es ist um Klassen besser, als vieles, was man bei anderen Amateuren sieht, die Inszenierung – nein, die ist nicht von einem Amateur – schlägt das meiste, was man zum Beispiel in der Kölner Oper sieht, die Choreographien sind total stimmig, weder über- noch unterfordern sie die Ensemblemitglieder, die natürlich nur selten viel tänzerische Ausbildung haben, und sie haben Sinn, jawohl! Die komplexe Musik – man sieht die Profis im Orchestergraben ganz schön ins Schwitzen kommen – ist hochklassig, die Sänger halten fast durchgängig mit – und mal ganz nebenbei: Dieses Honk ist ein wirklich gut geschriebenes Musical, viele kleine Gags, viel sehr gutes Komödienhandwerk mit einer stimmigen Geschichte, immer funktionierenden Dramaturgie, dazu passender, teilweise sehr eingängiger Musik – komplex und eingängig, hat man ja jetzt auch nicht täglich.
„Honk! – Von der Schwierigkeit keine Ente zu sein“, so ist die Produktion überschrieben – und nach allen Schwierigkeiten, die man sicher überwinden musste, ist ein Ziel erreicht. Man findet hier exakt das, was man im besten Sinne unter „Amateur“-Theater verstehen kann – das Wort „Amateur“ gehört hier dringend in Anführungszeichen, die Produktion ist ziemlich professionell, die Technik teuer, man nennt so was mit Fug und Recht semiprofessionell -: Amateur heißt Liebhaber, und die, die da auf der Bühne stehen, müssen ihre Kunst verdammt lieb haben!
PS Weitere Informationen gibt es hier: http://www.musical-projekt-oberberg.de/
PPS Hingehen! Nun los!
Musical und Tanz – grundsätzliche Überlegung
Aus aktuellen Gründen beschäftige ich mich im Moment mit der Kombination aus Tanz und Musical – etwas, von dem man weithin glaubt, es müsse zusammen gedacht werden. Jetzt mach ich ja deutlich mehr ganz spaßiges Sprechtheater, eine Sache, bei der extrem selten wirklich getanzt wird, also muss ich für zukünftige Musicals mal überlegen, wie ich denn zum Thema Tanz stehe.
Ich kenn das Problem, dass viele mit dem Musical haben: die seltsame Künstlichkeit. Völlig ohne Grund fangen da Leute an zu singen und zu tanzen – etwas, was zum Beispiel beim Musicalfilm „Hair“ viele zum geistigen Sofortausstieg zwingt, wenn da Leute im Central Park nicht nur sinnlos rumstehen und singen, sondern auch noch in heftigsten Verrenkungen rhythmische Gymnastik machen – ganz ähnlich bei „Jesus Christ Superstar“ – immer noch einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Diese Tanzerei ist ästhetisch hübsch anzusehen, aber ob sie der Geschichte irgendwas gibt, ist zumindest zweifelhaft. Würden diese wunderbaren Musicals auch funktionieren, wenn da nicht getanzt würde? In gewisser Weise ja.
These: Musical geht auch ohne Tanz!
Im Prinzip schon, bei der Oper funktioniert es auch großflächig, warum sollte es also bei Musicals anders sein? Gehe ich davon aus, dass ich im Bereich des Musical Drama bin – einem Bereich, der mir wahrscheinlich sogar eher liegt – dann brauch ich doch eher eine sensible Regie, als irgendwelche Tanzschritte, oder? In der Musical Comedy kann ich wunderbar karikieren und ironisieren über Tanz; ja klar, aber im Drama brauch ich die Ironie ja nicht unbedingt.
Aber Tanz kann doch auch etwas aussagen!
Ja, aber er macht es so selten. Schau ich mir den üblichen Einsatz von Tanz in Musicals an, so bleibt heute fast nur noch das Erzeugen von Dynamik, was ja schön und gut ist, aber nicht unbedingt alles, was Tanz kann. Ansonsten ist Tanz viel zu oft ein schmückendes Beiwerk. Das große Finale wird getanzt, weil es immer so nett aussieht, wenn das ganze Ensemble im Tanz vereint ist – schmückendes Beiwerk. Dafür brauchen wir keinen Tanz.
These: Musical braucht Tanz, aber sinnvoll!
Ich mag Verfremdungen, ich bin der festen Überzeugung, dass absichtliche Brüche in der Illusion eine gute Sachen sind, allerdings nur an den richtigen Stellen, ich benutze auch immer gern Bilder an gewissen Punkten einer Inszenierung, die aus der Bühnenrealität ein wenig herausfallen. Ich denke, an dieser Stelle hat im Musical der Tanz eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Das kann der ironisierende Marsch sein, das kann die Roboterarmee sein, die die Protagonisten in die Flucht schlägt, aber auch die vorsichtige Annäherung zweier Menschen, die ohne Worte, aber mit viel Musik und getanzt geschieht. Unterhalten sich zwei Menschen, gehen dann in Gesang über, so mag das noch die Bühnenrealität verkraften, fängt nun noch einer von beiden an zu tanzen, so mordet das oft die Illusion und ist deswegen oft genug nicht angemessen und –bracht. Tanz darf nicht eingestreut werden, damit der Choreograph etwas zu tun hat, sondern um der Geschichte zu dienen, dem Stück zu dienen – schaut man sich das Tanztheater einer Pina Bausch an, dann weiß man, wie viel Tanz ausdrücken kann. Die gleiche Tiefe sollte Tanz auch im Musical haben, sonst wird er zu Aerobic.
High Fidelity … Musical … Essen …. Folkwang …
Am Freitag hatte ich die tolle Möglichkeit, die Erstinszenierung des High Fidelity-Musicals zu sehen, in Essen, im Rathaus-Theater, gespielt von der Abschlussklasse der Musicalabteilung der Folkwang-Schule – also junge Menschen auf der Bühne, die so gut sind, dass einem vor Neid schlecht werden könnte, wenn, ja wenn man nicht so mitrocken würde und vor allem so viel lachen.
Vielleicht kennt der eine oder andere den Roman „High Fidelity“ von Nick Hornby, einen Film gibt es auch – ich habe beides bisher nicht registriert gehabt – ich geb das zu, auch wenn ich vielleicht nun Banause gerufen werde. Auf jeden Fall ist die durchaus konventionelle Liebesgeschichte so unkonventionell erzählt, dass man fast von Anfang an richtig was zu lachen hat. Kauzige Charaktere, große Gewissensnöte, eine Menge Anspielungen auf gute und nicht so gute Musik, die man aber gar nicht unbedingt alle verstehen muss, um einfach viel Spaß zu haben.
Und ganz nebenbei stand da die junge Musicalelite Deutschlands auf der Bühne – großartige Stimmen, wundervolles Timing, und auch gar nicht die glattgebügelten Musicalstars, die üblicherweise für größere En-Suite-Stücke aus England oder Holland herangekarrt werden. Das sind richtige Typen, Schauspieler, für die das Wort noch Sinn macht. Ja, dieses Musical hat sich nicht irgendwie gelohnt, es war fantastisch, ein Hauptgewinn. Die Regie schnörkellos und clever, die Choreographie immer ein Diener des Stücks – also wirklich annähernd alles richtig gemacht – ein kleiner Nachteil war vorhanden, aber der lag an meinem Sitzplatz – ich konnte manchmal die Stimmen und daher den Text der kongenialen Übersetzung nicht wirklich gut verstehen. Egal, ich bin auch so erst mal nur dankbar – war ein Highlight nach einer verrückten Woche.