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Quick – BUCH vs. FILM – Was ist wirklich besser?
Der sehr unterhaltende Youtube-Filmkritiker @dieserDopo hat hier eine Frage gestellt, die ich nicht in seinen Kommentaren beantworten kann. Deswegen gibt es einen kurzen Blogpost:
Erstmal finde ich die Fragestellung spannend, weil sie meistens nur in Bezug auf spezielle Filme gestellt wird, und eigentlich nie allgemein. Ich lese viel, ich habe noch viel mehr früher gelesen, und natürlich habe ich oft in Filmen das Gefühl gehabt, das hier beschrieben wird: Ey, das ist im Buch anders! Hallo!? Aber ich glaube nicht, dass es wirklich darum geht, dass etwas anders ist, als im Buch, meistens ist es die frage, ob Drehbuch und Inszenierung noch etwas mit dem Buch zu tun haben, ob die Atmosphäre, der Geist des Buches getroffen wird. Ein paar Beispiele:
Ich kenne Puristen, die hassen die Filme aus der Herr der Ringe-Reihe. Ich war vor allem beim ersten Film völlig begeistert. Ja, ich hatte mehrfach die Bücher gelesen, aber ich klebte nicht an den mehrjäghrigen Vorbereitungen von Frodos Fahrt, ich brauchte keine Grabunholde und fand auch in Ordnung, dass Arwen ihren Bruder als Frodos Retter ablöste. Vor allem brauchte ich keinen Tom Bombadil – eine zwar originelle und liebenswerte Figur, aber dramaturgisch völlig sinnlos, hätte kein Zuschauer verstanden, der das Buch nicht kannte. Kurz, Peter Jackson und seine Mitstreiter haben eine Menge unsinnigen Ballast aus den Büchern geworfen – den sie dann teilweise in den Hobbitfilmen wieder reingeholt haben – und das war in Bezug auf den Herrn der Ringe auch genau richtig so. Liegt auch daran, dass die Bücher eigentlich überhaupt keine Meisterwerke sind, sondern nur – haha, was heißt hier nur – die Neugründung der Fantasy als Genre. Tolkien war ein wunderbarer Weltenbauer, aber gar kein so großartiger Geschichtenerzähler. Peter Jackson hat nicht nur die Geschichte besser erzählt, er hat auch die Details unglaublich liebevoll ausgefeilt, er hat optisch Maßstäbe gesetzt und sich überall, wo es ging, extrem dicht an die Vorlage gehalten, also überall dort, wo Tolkien sich nicht in altmodischem Erzählen und unwichtigen Details verlief. So muss eine Filmadaption sein.
Speziell beim ersten Harry Potter habe ich mich fast ins Kino übergeben. Und dabei hält der sich in der Geschichte doch – bis auf ein paar wenige notwendige Kürzungen – wunderbar ans Buch, oder? Nein, diese filmische Katastrophe bügelt alles glatt, was Joanne K. Rowling an Kanten in ihrem Buch hat, und damit tötet er die Magie. Sämtliche Details mit dem typischen anarchistischen Witz Rowlings sind raus. Ein paar Treppen schwingen wild durch ein riesiges Treppenhaus, wenn der eigentliche Witz doch ist, dass man Wege geht, die auf einmal woanders enden. Dumbledore salbadert Hollywoodzeilen zur Begrüßung, wenn er im Buch sagt: „Bevor wir mit unserem Bankett beginnen, möchte ich ein paar Worte sagen: Und hier sind sie: Schwachkopf! Schwabbelspeck! Krimskrams! Quick!“ Hier haben sich Regie und Drehbuch einen Scheiß für das Buch, das sie verfilmen, interessiert. So ist der Film leider Schrott und allein dieser erste Film – der zweite ist auch nicht gut – ist ein guter Grund, Hary Potter bitte bald noch mal zu verfilmen.
Diese beiden Beispiele zeigend as Grundproblem, während beim Herrn der Ringe Regie und Drehbuch offensichtlich alles in ihrer Macht stehende tun, um der Vorlage zu dienen und gleichzeitig einen guten Film zu machen, wurde beim ersten Harry Potter die Vorlage nur in Plotpunkte aufgeteilt und weder Geist noch Atmosphäre weiter bedacht. Das geht nicht, wenn man eine wirklich gute Umsetzung hinbekommen will.
Manchmal geht es nicht um eine wirklich gute Umsetzung, und das ist auch okay. Ich bin großer Verehrer von Stephen King, ich halte ihn für einen der besten Erzähler, die wir heute haben – allerdings schreibt er gute und schlechte Bücher und so sind dann auch die Verfilmungen manchmal besser und manchmal schlechter. Im Fall von „The Shining“ gibt es ein Meisterwerk von Kubrick – so sagt man. Ich persönlich kann mit Kubrick allgemein nicht viel anfangen, der ist mir zu seelenlos, er interessiert sich für meinen Geschmack viel zu wenig für die Figuren – aus dem gleichen Grund bin ich auch kein Fan von Nolan, beides handwerklich brillante Regisseure, die sich nicht für ihre Figuren interessieren. Ich schweife ab. Nun ist „The Shining“ als Buch kein Meisterwerk. Es ist ein fiebriger Alptraum, drogenumnebelt und pessimistisch. Eine Orgie des Wahns und der Zerstörung, geschrieben von einem Stephen King, der schwer alkoholabhängig war, und seine Sucht damit verarbeitete, über einen anderen Süchtigen, nämlich Jack Torrance zu schreiben. Das Zentrum seines Buches ist aber sein Sohn Danny und dessen übersinnliche Begabung, die man das Shining nennt, und natürlich das Overlook-Hotel. Gefühlt kommt im Film das Shining, so namensgebend es ist, nicht so recht vor, auch ist Danny keineswegs die Hauptfigur, denn die ist Jack Torrance. Und da wo Kings Buch verstörend gefühlvoll ist, spielt Kubrick mit seinen cleanen wunderschönen Bildern, mit Blutwellen, die durch Korridore rauschen. Die fiebrige Stimmung des Buches hat der Film nicht. Der Film mag für manche ein Meisterwerk sein, und das ist okay, er trifft meinen Geschmack nicht, aber ich sehe natürlich, dass Kubrick und vor allem auch Jack Nickolson das große Dinge tun. Das Buch ist für viele der Inbegriff eines King-Schockers, aber da diese Qualität nicht mein Hauptinteresse bei King ist, gehört es für mich nur zu den guten Kings, nicht zu den sehr guten. Film und Buch haben wenig miteinander zu tun, auch wenn da Figuren spielen, die gleich heißen und ähnliche Dinge tun. Kubrick hat auf einem Buch, dass ihn scheinbar nicht so rasend interessierte, seine eigene Geschichte aufgebaut, und das ist wohl auch in Ordnung. King hasst den Film wohl, und auch das ist in Ordnung.
Es gibt andere Beispiele, um das noch eben zu erwähnen, wenn es um King und die Verfilmungen seiner Werke geht. Fernsehadaptionen wie „Es“ und „The Stand“ mühen sich redlich, können aber die sehr starken Bücher nicht fassen – und das bei „Es“ trotz der sehr guten Performance von Tim Curry. Das eher schwache Buch „Sie“/“Misery“ wurde in der Kinoadaption ein ziemlich guter Thriller, das etwas ausschweifende „Green Mile“ ein wirklich guter Film. Meisterwerke wurden aufgrund der sehr guten Novellen aus der Sammlung „Frühling, Sommer, Herbst und Tod“ gedreht: „Die Verurteilten“ und „Stand by me – Geheimnis eines Sommers“. Speziell die frühen Bücher haben ansonsten meist schwache Filme.
Achso, ein Fazit, bevor ich mich völlig verzettel: Wenn es um Bücher geht, die sehr geliebt werden, die eine große Fanschaft haben, dann ist es klug, diese Vorlagen nur zu verfilmen, wenn man sie genauso liebt, wie die Fans. Dabei sollte man aber nie aus den Augen verlieren, dass der Film auch allein für sich stehen können muss. Filme sollten die Tiefe haben, auf vieles hinzudeuten, was im Buch genauer beschrieben ist. Szenen, die man aber nur verstehen kann, wenn man das Buch gelesen hat, sind ein absolutes No-Go, der Film muss immer auch ohne das Buch funktionieren. Bücher, die man eigentlich gar nicht so großartig findet, zu verfilmen, funktioniert nur, wenn man eine echte eigene Vision entwickelt. Dann hasst einen vielleicht Autor und Fanschaft, aber dafür gibt es neue Fans.
Reading King – Hier seyen Tiger/Here there be Tygres
Skeleton Crew, die Zweite. “Hier seyen Tiger” ist eine der frühesten veröffentlichten Geschichten Kings. Er war gerade mal zwanzig Jahre alt, als ein Magazin sie druckte.
Ein Junge, der Angst vor seiner Lehrerin hat, muss auf Toilette und findet auf dem Jungenklo seiner Grundschule einen Tiger vor. Der frisst auch gleich einen Mitschüler und vermutlich auch seine Lehrerin, die bald schaut, wo denn ihre Schüler bleiben. Das ist es aber auch schon.
Manchmal findet man in Kings Kurzgeschichten Momente, in denen man ihn kaum wiedererkennt. In „Hier seyen Tiger“ finden wir eine absurde Note, die in Kings Werk eher nur am Rande vorkommt. Die kleine Geschichte irritiert eher, als das sie spannend oder auch nur lustig ist. Aber, und das ist dann wieder typisch für King, es geht um den Einbruch des Übernatürlichen, oder hier zumindest des Abnormalen in eine ganz normale Welt.
Man könnte jetzt heruminterpretieren, ob der Junge das alles wirklich erlebt, ob es nicht vielleicht einfach nur eine Fantasie ist, aber das ist nicht der Kern. Es passiert hier etwas Unerklärliches, mit dem ein kleiner Junge umgehen muss. Und mit sechs Jahren ist manches noch viel einfacher zu erklären, als mit 35. Der Junge kommt damit klar, dass da ein Tiger ist. Ist schon okay.
In seinen frühen Geschichten geht es bei King ständig um Kinder, um Schule, um Jugendliche. Ist es ein Wunder, er war ja auch selbst noch jung. Man schreibt über das, was man kennt. In seinen Kurzgeschichten verarbeitet er sicher auch biografisches Material und zu dieser Geschichte hat er mal gesagt, dass er es gut gefunden hätte, wenn seine Lehrerin der ersten Klasse von einem Tiger gefressen worden wäre – er hat Angst vor ihr, so wie der Junge in der Geschichte Angst vor seiner Lehrerin hat. So mag diese Geschichte auch eine kleine Selbsttherapie sein.
Reading King – Der Nebel / The Mist
Ich wollte meine kleine King-Serie mal fortsetzen und vermutlich kommen jetzt einige Blogposts flott hintereinander weg, denn es ist Zeit für eine Kurzgeschichtensammlung. Ich lese „Skeleton Crew“, die Sammlung, die ursprünglich in drei Büchern in Deutschland veröffentlicht wurde. Heute bekommt man sie unter dem selten dämlichen Namen „Blut“ als Gesamtausgabe.
Der Nebel ist die längste Geschichte, kommt von der Länge her annähernd an die Novellen der Jahreszeitensammlung heran, wurde von Frank Darabont genial verfilmt und ich weiß, dass ich beim erstens Lesen, das allerdings auch mehr als 25 Jahre zurückliegt, völlig gefesselt und gepackt war.
Die Geschichte ist eigentlich nicht sehr schwer zu erzählen. Nach einem heftigen Sturm ist der Strom ausgefallen und jede Menge Bäume umgestürzt. David, der mit Frau und Sohn am Ufer eines Sees wohnt, beseitigt erst einiges an Holz, das unter anderem sein Bootshaus völlig zerstört hat, dann fährt er mit dem fünfjährigen Billy einkaufen, nimmt auch noch den nervigen Nachbarn Brenton mit. Bevor sie fahren, sehen sie über dem See einen ungewöhnlich dichten Nebel, der irgendwie unnatürlich aussieht.
Im Supermarkt holt der Nebel sie dann ein. Es wird dunkel und jemand stürzt blutend in den Laden und ist voller Entsetzen. Nun will niemand mehr hinaus und es kommt auch niemand mehr herein. Bald wird deutlich, dass es im Nebel sehr unheimliche und immer tödliche Kreaturen gibt. Kreaturen, die teilweise wirken, als wären sie aus prähistorischer Zeit übrig geblieben, oft aber auch Wesen, die es nie auf der Erde gegeben haben kann. Ein Teenager,d er versucht, das Abgasrohr des Notstromaggregats wieder frei zu bekommen, wird von einem unheimlichen Tentakel geschnappt und sehr wirkungsvoll umgebracht. Als Nachbar Brenton mit vier Mitstreitern versucht, aus dem Supermarkt zu entkommen, kommt er keine hundert Meter weit. Die Wäscheleine, mit der David einen der Mitstreiter ausgerüstet hat, ist am Ende ausgerissen und blutverschmiert, als er sie wieder einzieht.
Allerdings ist es im Supermarkt auch bald nicht mehr sicher, denn eine fanatische Ladenbesitzerin aus der Nachbarschaft sammelt eine religiöse Gefolgschaft, die ausgerechnet Billy als Blutopfer ihrem Gott darbringen wollen. Also fliehen ein paar halbwegs geistig gesunde rund um David aus dem Supermarkt. Aber ein hoffnungsfrohes Ende gibt es nicht. Fünf Menschen sind in einem Allradler unterwegs, von den Bestien meistens unbelästigt, aber der Nebel ist überall.
King sagt immer wieder, dass seine Hauptmethode beim Schreiben das „was wäre wenn?“ ist. Der Nebel ist eine Geschichte, die das par excellence durchexerziert. Was wäre wenn die Forschungen der Army zu einem Loch im Gefüge der Dimensionen führen und eine andere Dimension wie ein Nebel in unsere Welt vordringt? Die Eingeschlossenheit und die völlig die geistige Gesundheit zerstörende Bedrohungslage im Supermarkt ist eine der extremsten Lagen, in die King seine Protagonisten jemals schickt. Diese kleine Geschichte ist in dieser Hinsicht eine seiner radikalsten.
Seine große Skepsis gegenüber diversen staatlichen Einrichtungen, die King in vielen Romanen und Geschichten auch gerne mal feiert, wird hier einerseits fast en passant bedient, andererseits sind die Folgen so gravierend, wie sonst nur in The Stand. Hier gibt es keine öffentliche Hand, die noch irgendwas regeln kann, die einzigen zwei Soldaten, die zufällig mit im Supermarkt gefangen sind, begehen schnell Selbstmord – und selten war Suizid so sehr Ausdruck von Schuldeingeständnis. Die Menschen im Supermarkt sind auf sich selbst angewiesen, und nein, es gibt keine große amerikanische Gemeinschaftsanstrengung, die man vielleicht erwarten würde, vielmehr eskaliert hier die menschliche Natur, und die Tünche der Zivilisation bröckelt im Angesicht von tödlichen Monstern erschreckend schnell ab.
Der Nebel wirkt ein wenig wie eine Fingerübung für einen noch recht jungen Stephen King, der eine kleine radikale Geschichte erzählt. Er opfert verschwenderisch Figuren der Geschichte, er spielt zu einem dreckigen kleinen Apokalypso auf. Hier und da wirkt er ein wenig ungeschliffen und dramaturgisch gibt das alles eher wenig her. Aber dieser Nebel ist kraftvoll und zieht immer noch in seinen Bann. Die nächste Nebelschwade wird mir wahrscheinlich ein flaues Gefühl im Magen bescheren.
Reading King: Doctor Sleep/Doctor Sleep
Ups, da bin ich doch glatt mal aktuell. „Doctor Sleep“ ist der aktuelle King, und eine Reise zurück, eine Reise durch die Zeit und eine lange Reise. Schaute schon in „Joyland“ der Tod selbst gar nicht so selten um die Ecke, in diesem Buch wird er das Hauptthema.
Einer Reise in die Vergangenheit? Ja, wir sind zurück bei Danny Torrance, dem kleinen Jungen aus The Shining, wir schauen in die Zeit nach dem Overlook Hotel, wir sehen ihn dann wieder, als er seinem Vater in die Alkoholsucht folgt. Wir sehen seinen Tiefpunkt, als er einer alleinerziehenden Mutter das letzte Geld klaut und einem Obdachlosen die Decke klaut. Wir schauen zu, wie er in Frazier ein neues Zuhause findet, gar nicht weit von Castle Rock entfernt, aber ausnahmsweise nicht in Maine.
Er macht die harte Geschichte mit, geht zu den Anonymen Alkoholikern, arbeitet in einem Hospiz und sein Shining, das er immer versucht hat, stumm zu trinken, kommt wieder. Er kann damit Sterbenden sogar helfen. Gleichzeitig lernen wir die kleine Abra Stone kennen, ein Mädchen, das noch mehr Shining hat, als sogar Dan es als Kind hatte. Sie ist für einiges an Poltergeistphänomen zuständig, und früh nimmt es Kontakt zu Tony auf, dem imaginären Freund aus Dans Kindheit. Eines Tages wird Dan ihr Lehrer sein, so wie es Dick Hallorann für ihn war.
Und der dritte Mitspieler, in diesem Fall der Antagonist, denn ohne geht es nun mal nicht, ist Rose, die Anführerin des Wahren Knotens, einer Gemeinschaft von vampirischen Wesen, die man einst aus Menschen mit Shining umwandelte. Sie ernähren sich von Steam, der natürlichen Kraft des Shinings, am liebsten hart durch Schmerz gereinigt. Manchmal, wen sie starke Vorahnungen haben, ernähren sie sich auch von Unglücken und der erquicklichen Atmosphäre einer mörderischen Gegend, aber zu Tode gequälte Kinder mit Shining sind der Knüller, die Delikatesse für sie.
Eines Tages, Abra ist zehn, wird sie telepathisch Zeuge von einem dieser Morde, und nun gibt es eine Verknüpfung, die eines Tages zu einer spektakulären Endabrechnung ausgerechnet in den Bergen Colorados stattfinden muss, dort, wo einst das Overlook explodierte.
Hm, ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, erst über „The Shining“ zu schreiben, dass ich vor weniger als einem Jahr gelesen habe, was also noch recht frisch ist. Dann habe ich aber jede freie Minute in Doctor Sleep gesteckt, weil es nun mal so verdammt spannend ist, und bin noch nicht dazu gekommen.
Jetzt würde ich gerne von Doctor Sleep genauso schwärmen, wie ich das bei Joyland getan habe, Meisterwerk und so, ihr kennt das. Aber es tut mir leid. So spannend Doctor Sleep ist, so sympathisch Abra und so vieles in diesem Buch wirklich gelungen ist, so richtig von innen hat es mich nicht gepackt. Vielleicht, weil die Beschäftigung mit dem Tod durch Doctor Sleep, also Dan Torrance ein bisschen arg optimistisch scheint, vielleicht, weil das „Kreisen“ der Mitglieder des Wahren Knotens so arg schräg wirkt. Weil die Geister aus Shining nicht so richtig mit den Wahren harmonieren – wir haben hier quasi zwei leicht verschiedene parapsychologische Erklärungswesen nebeneinander, eben die von Shining und die des neuen Buches. Das passt einfach nicht ganz zusammen.
Und es geht auch alles ein bisschen zu glatt und einfach – und eine Wendung relativ spät im Buch, knackt ein bisschen, kein Deus-ex-Machina, aber zumindest sein Schatten. Das Ende ein bisschen zu harmonisch, ein bisschen zu zerfasert.
Jetzt habe ich so viel gemeckert, das ist alles Folge des Schlusses, der mich halt auch ein bisschen geärgert hat. Aber es gibt eine Sache in diesem Buch, die äußerst gelungen ist, und das sollte ich hier dann auch nicht verschwiegen. Die Mitglieder des Wahren Knotens, diese Halbvampire sind sehr sozial untereinander, freundlich und mitfühlend. Eine große harmonische Familie, die nur halt dann und wann ein Kind schlachtet. Eine so menschliche Form von Ungeheuern schaffen nicht viele Schriftsteller des Genres – hier zeigt King, dass er das Handwerk des Horrors nicht verlernt hat, auch wenn dieser Teil seines Werks gefühlt schon ein paar Jahre zurück liegt. In diesem Buch geht es ein Stück weit zurück in die Zeiten von Christine, Feuerkind und natürlich Shining – und diese Bösewichte sind noch mal ein Stück seltsamer und in ihrer Einstellung widerlicher. Aber, wie sagt Rose The Hat so schön: „Was tun wir anderes, als ihr, wenn ihre Tiere schlachtet?“
Lesenswert? Ja klar, es gibt kaum einen King, der nicht wenigstens lesenswert ist. Aber ich gebe zu, meine Erwartungen steigen nach einem Buch wie Joyland natürlich noch, wenn das möglich ist, und Doctor Sleep ist eben nur ein gutes Buch, kein Meisterwerk.
Reading King: Das Leben und das Schreiben/On Writing
Ich habe einige Bücher von Stephen King, die ich schon mehrfach gelesen habe, dafür, dass es dieses Buch noch gar nicht soo lange gibt, ist On Writing dabei der definitive Spitzenreiter. Und dabei ist es ja noch nicht mal ein Roman, in dessen Geschichte man sich entführen lassen kann.
On Writing ist halb ein Buch über das Schreiben von Büchern – und man merkt immer wieder im Buch, dass es dieser Teil ist, der King wichtiger ist , und einer Autobiographie, die er mit seiner Lust am Erzählen farbig und bisweilen schonungslos mit seinem Leben füllt. Allerdings ist das Buch nicht zwei- sondern dreigeteilt, und das liegt an Kings Schicksal, von einem Pickup beim Spazierengehen fast umgebracht zu werden. Zu dem Zeitpunkt seines schweren Unfalls, war das Buch schon zu einem großen Teil fertig, und es war das erste, an dem King nach dem Unfall, Monate nach dem Unfall, wieder arbeitete. Also war es sicherlich für ihn keine Frage, diesen Programmpunkt noch einzuarbeiten.
King lässt sich in Karten gucken, so könnte man das Buch auch nennen. Er schildert Situationen in seinem Leben, die an Situationen in seinen Büchern erinnern – besonders einige frühe Kurzgeschichten, so bemerkt man schnell, sind stark autobiographisch. Er erzählt, wie er das Schreiben gefunden hat, wie er seine ersten Gehversuche unternahm, wie er an einem Nagel Ablehnungsschreiben von Zeitschriften sammelte. Und dazwischen immer wieder kleine Geschichten, deren Spuren man als treuer Leser schon lange gefunden hat.
Manchmal ist die Ehrlichkeit, mit der King über seine Drogenprobleme, seine überwundene Alkoholsucht schreibt, wirklich bedrückend. Wenn er schreibt, dass er sich nicht mehr an die Momente erinnert, in denen er „Cujo“ schrieb, dann kann das schon beklemmen.
Viel heller ist dagegen der Teil, der übers Schreiben selbst geschrieben steht. Und auch wenn es genügend ach so Intellektuelle gibt, die das literarische Potential Kings nicht sehen, King hat eine Menge über das Schreiben zu sagen. Er bekennt sich dazu, einen vorgefertigten Plot nur im Notfall zu nutzen, da ihm die vorherige Festschreibung der Story zu viel zerstört. Für King ist, und das Bild ist brillant, die Geschichte ein Fossil, dass man mit Geduld und feinen Werkzeugen freilegen muss – dagegen das Werkzeug „Plot“ ist für ihn der Presslufthammer, der zwar alles freisprengt, aber eben auch viel vom Fossil zerstört.
King spricht über den Werkzeugkasten, den man sich zum Schreiben aneignen muss. Er spricht über Stil und vor allem über das, was man alles falsch machen kann. Dabei zieht er selten über andere her, zeigt aber viele Beispiele, die natürlich im Original deutlich besser wirken, als in der Übersetzung. (Ich höre mir auch gerne die originale amerikanische Hörbuchfassung an, die King selbst eingesprochen hat.)
Wer selbst hier und da zur schreibenden Zunft gehört, der ist ein Adressat für dieses Buch, denn es sagt nicht nur, wie es geht – oder genauer, wie es für King geht, er sagt immer wieder, dass es sein Weg ist und andere sicher anders ihre Ergebnisse erreichen -, er macht auch Lust auf diese weite Welt der Fantasie, die man selbst erforschen kann. Er macht wirklich Lust aufs Schreiben.
Ansonsten ist das Buch natürlich auch für alle Fans ein Geschenk, ich mein, wir freuen uns doch schon seit vielen Jahren jedes Mal, wenn King mit uns in seinen Vor- oder Nachworten spricht, oder? So viel direkte Ansprache auf einmal, ein Muss!