Miroloi von Karen Köhler – eine Rezension

Manchmal stolpert man über Bücher, weil man einen Podcast hört. An Miroloi kam ich, weil ich den Laberfach-Podcast höre. Grüße gehen raus! Deswegen bin ich auch mit der Einstellung, dass es sich eher um ein Jugendbuch handelt, an die Geschichte herangegangen. Das Buch wird allerdings nicht direkt als solches vermarktet. Ist aber auch egal, eines meiner liebsten Bücher insgesamt ist ein Kinderroman, mit Jugendbüchern kann man oft viel Spaß haben. Grenzen sind doch eh rein zufällig.

Eine Teenagerin ist unsere Erzählerin. Sie hat keinen Namen und ist die totale Außenseiterin in einem Dorf auf der „schönen Insel“. Ein Findelkind ohne Eltern, die beim Bethausvater, einer Art Pfarrer lebt und ihm den Haushalt führt. Die meisten im Dorf hassen sie und halten sie für eine Unglücksbotin. Allerdings hat sie auch eine großmütterliche Freundin in Maria und findet später eine Freundin in Sofia, die ständig von ihrem Mann geschlagen wird.

Das Dorf lebt in einer selbstgewählten Isolation von der Zivilisation in einer irgendwie zeitlosen Dimension. Es könnten die 80er sein, die 90er oder auch eine noch heutigere Zeit. Das bleibt alles unklar, ist aber auch nicht wichtig. Von Anfang an wird klar, dass wir hier eine moderne Art von Märchen hören. Aber auch in Märchen müssen junge Frauen erwachsen werden, müssen gesellschaftliche Rückständigkeiten bekämpft und Körper erforscht werden. Es gibt also genug zu tun.

Karen Köhler lässt ihre Ich-Erzählerin eine Sprache nutzen, die einfach ist, manchmal naiv, aber auch oft sehr lyrisch. Eine Sprache, die mit ein paar griechischen Wörtern, einigen Versatzstücken und Neologismen eine eigene, wenn auch sehr beschränkte Welt erschafft. Die Strophen des Liedes, die die Kapitel des Romans bilden, sind überschaubar und wirken oft sehr abgespeckt. Keine unnötige Schwafelei, auch viele Dinge, die passieren, passieren nur in Nebensätzen oder in der Fantasie der Lesenden, weil Köhler Andeutungen reichen, wo andere jede Szene ausformulieren würden.

Dabei scheut sie sich nicht, auch mal Dinge sehr klar zu benennen. Das ist manchmal die ziemlich alltägliche Gewalt in dem “schönen Dorf”, das sind aber auch manchmal sehr offene Erzählungen von Sexualität, im Schlechten, wie im Guten. Niemals um der Sensation willen, das alles gehört zur Geschichte. Das alles hilft auch, sich mit ihr zu freuen, mit ihr mitzuleiden, manchmal ein wenig mitzufiebern, denn man mag ja die Hoffnung für die junge Frau nicht aufgeben, auch wenn ihr so viel Schlimmes passiert, dass es manchmal einen kleinen melodramatischen Touch bekommt. Aber Karen Köhler schafft es immer wieder, vor allem dank ihrer besonderen Sprache, am Kitsch vorbeizuschrammen.

Da der Grundton der Erzählung etwas archaisches hat, andererseits auch viel Märchen in der Geschichte steckt, ist auch bei den Figuren, die diese Geschichte bevölkern, die Gefahr groß, dass wir hier nur Abziehbilder zu Gesicht bekommen. Aber auch diese Gefahr umgeht Köhler ohne größere Probleme. Immer wenn man die allmonatliche Liebe, den Betschüler Jael, für zu gut für diese Welt halten will, macht er dann doch etwas, was ihn als Charakter ein bisschen erdet. Irgendwas, was ihn eben nicht zu einem Engel macht. Und der Bethausvater, der Finder, der sich schon immer um die Erzählerin kümmert, ist liebevoll, aber auch voll in seinem Patriarchat gefangen, und Maria möchte der Ich-Erzählerin so gern helfen, meint aber auch aus der Arroganz der alten heraus, dass sie sich die Liebe zu Jael aus dem Kopf schlagen soll, das wäre schon nicht so schlimm.

Und die Antagonisten? Die haben zwar durchaus Gesichter, sind aber nicht wirklich wichtige Figuren im Spiel. Das Problem ist das System, die Angst der Ältesten vor Veränderung, der Hass auf alles Fremde, die Namen, die diese Kräfte bekommen, sind nur nebenbei wichtig. Ja, es gibt unangenehme Menschen, aber das Monster ist hier nicht personifiziert, das Monster ist die kleine Gesellschaft des “schönen Dorfes” selbst.

Die Menge an Themen, die Miroloi bewegt, ist an Grenze des Machbaren. Coming of Age, Religionskritik, Gesellschaftskritik, Liebesgeschichte, die Geschichte der Veränderung durch Technik und Fortschritt, das passt so gerade alles in die Geschichte herein. Aber nichts davon wirkt künstlich, nichts davon klingt gewollt, die Story ergibt sich organisch.

Allerdings deutet Köhler hier und da ein bisschen zu viel an und der Plot kann daher nur selten überraschen. Und so experimentell sie manchmal mit der Erzählung umgeht – einzelne Kapitel sind nur Aufzählungen oder auch mal der Name Jael in Variation, ja, es gibt auch leere Seiten, wenn das gerade nötig ist -, der Plot hätte hier und da mehr Mut und vor alle am Ende ein bisschen mehr Hoffnung vertragen.

Die Frage, wie vorausschaubar die Handlung des Romans allerdings für mich ist, der seit über vierzig Jahren alles Mögliche an Literatur konsumiert, ist auch dann unwichtig, wenn man Miroloi vor allem als ein Buch versteht, dass der perfekte Lesestoff für junge Menschen ist. Die werden von den Themen noch viel mehr erreicht werden und die werden weniger routiniert auf eine Handlung schauen, als ich alter Sack, der ich auch noch dank “Save the Cat” und vieler anderer Bücher eine Menge über Handlungsschemata weiß.

Miroloi ist als Jugendbuch eine 10 von 10, ein wirklich gutes Buch, dass ich gerne schon vor ein paar Jahrzehnten gelesen hätte. Als Roman für Erwachsene immer noch absolut lesenswert, tolles Coming of Age, tolle Perspektive und eine sehr einnehmende Sprache.

Recht und Straßenverkehrsordnung

oder: Wie RTL unbeabsichtigt die rechte Bigotterie ein weiteres Mal aufzeigt

RTL und Spiegel TV, so viel sollte eigentlich jeder wissen, sind immer gerne fröhliche Brandstifter. Meistens werkeln sie gerne an rassistischen Kampfbegriffen herum – „Clankriminalität“ zum Beispiel und nein, sie meinen damit nicht die CSU.

Nun haben sie einen naiven jungen Mann gefunden, den sie gut für ein bisschen Clickbait ausnutzen konnten – die YouTube-Veröffentlichung haben vermutlich fünfmal so viele Menschen gesehen, als die Erstausstrahlung in Spiegel TV – und ihn dann Hetze und Gewalt ausgeliefert. Die Rede ist natürlich vom selbst ernannten Anzeigenhauptmeister. Einem 18-jährigen, dessen Spezialinteresse es ist, Falschparker und sonstige Verkehrsdelikte anzuzeigen.

Und da es im Moment ein wahnsinnig gutes Geschäftsmodell ist, auf Twitch und YouTube Videos anzuschauen und diese Reaktionsvideos wiederum zu veröffentlichen, wurde das Video dann noch mal heftig weiterverbreitet. Das machten einige sonst stabile Internetmenschen, das machten natürlich noch viel mehr die rechten Influencer, die dann teilweise auch gleich noch indirekt zu Gewalt und sogar Mord an dem jungen Mann aufriefen. Ihr wisst, wie das geht: „Also, ich bin mir sicher, der kriegt mal irgendwo voll in die Fresse. Ich mein, ich verurteile das natürlich, aber ganz bestimmt kriegt der richtig …“ Solche Maschen hoffen immer auf den stochastischen Terrorismus, aus dem man dann ganz bestürzt noch mal Content machen kann.

Was passierte? Der Hass entlud sich vehement. Gewaltandrohungen unter jedem Video, Mordaufrufe und immer wieder völlige Enthemmung. Und nein, das reichte natürlich nicht, inzwischen wurde der junge Mann auch schon tätlich angegriffen und musste nach einer Attacke in einer Bahn vom RTW abgeholt werden. Klar, jetzt machen alle Youtuber erstmal Videos darüber, was für Arschlöcher es sein müssen, die einen 18-jährigen zusammenschlagen. (Ihr könnt gerne das Geld, dass ihr mit dem Jungen gemacht habt, als Schmerzensgeld an ihn überweisen …)

Aber mal ganz abgesehen davon, dass RTL natürlich wusste, was da über einen Teenager ausgekübelt werden würde und man dafür der entsprechenden Redaktion auf den Tisch kotzen möchte. Ich frage mich so oft, was für moralische Amöben für solche Redaktionen so arbeiten. Wie wenig Gewissen kann man denn haben? Ganz davon abgesehen: Ist es nicht unfassbar entlarvend, wer da mit dem ganzen Hass auf einen Teenager einprügelt, der vermutlich nicht ganz neurotypisch ist?

Natürlich sind es die Rechten. Die, die ständig vor sich her tragen, wie sehr sie für Recht und Ordnung sind und das ist hier immer noch Deutschland und da geht es ordentlich zu. Und dann kommt so ein junger Mann, der genau das verinnerlicht hat. Recht und Straßenverkehrsordnung! Das ist Halteverbot! Da darfst du nicht parken! Ich mach jetzt ein Foto von deinem Wagen und gebe es an die Behörden weiter. Deutscher geht es ja nicht. Und kiffen würde so ein Mensch auch nie. Die ganzen Nazis und Rechtskonservativen und sonstigen Law and Order-Fetischisten sollten frohlocken und jubilieren und versuchen ihn zu vereinnahmen. So muss der junge Deutsche doch sein!

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Genau die sind es, die ihren Hass über ihm auskübeln. Gewalt androhen oder verwirklichen. Weil Rechte es hassen, wenn Gesetze auch für sie gelten. Für Ausländer, klar, aber für Autofahrer? Bitte? Für linke Chaoten, klar, aber für brave Treckerterroristen? Für linke Demos, klar, aber für rechte Fackelmärsche? Rechts spricht immer von Recht und Ordnung, aber nirgends versammelt sich so viel kriminelle Energie, wie in rechten Parteien und ihren Organisationen. Und natürlich können sie einen Jungen nicht leiden, der ihnen aufzeigt, wie wenig sie sich eigentlich an Recht und Gesetz halten wollen. Wehleidige Würmer, die sie nun mal sind.

Verantwortung braucht Mut

Stell dir vor, so ein Typ wie der Trump und was der alles gemacht hat, glaubst du der würde hier gewählt? Der wäre doch von vornherein unten durch!?

Das ist ein netter Reflex und man muss gar nicht damit kommen, dass Hitler in Festungshaft war, weil er einen Putsch mitverantwortet hat. Auch wenn die Parallele zum 6. Januar ja schon mal da ist. Aber wir können in der Geschichte zur Genüge sehen, also auch in unserer eigenen und näheren Geschichte, dass Menschen, die mit großer krimineller Energie handelten, dadurch nicht diskreditiert wurden. War nicht letztens noch das große Beerdigungsfestival für Schäuble? Der Typ, der Schwarzgeld in nicht gerade kleiner Menge angenommen hat? Der sich dann natürlich nicht mehr erinnern konnte? Der danach – und nein, das ist kein Schreibfehler – noch Minister und Bundestagspräsident wurde? Der hat nicht nur keine Ehrenveranstaltung im Bundestag verdient, der hätte nach Bekanntwerden seiner Transaktionen mit Aktenköfferchen voller Geld nie wieder irgendwas werden dürfen – hätte er Verantwortung für sein Tun übernommen.

Ah, da ist ja das Wort, dass ich suchte. In der neueren deutschen Geschichte gibt es da unendlich viele Beispiele zu, Kiesinger, Filbinger, alte Nazis, die später Bundeskanzler und Ministerpräsident wurden. Aber immerhin, deren rühmt sich heute niemand mehr. Aber ein Franz-Josef Strauß, der nicht nur wegen der Spiegelaffäre, bei der er klar gegen Gesetze verstieß, eigentlich umstritten sein sollte, ist immer noch das Lieblingsabziehbild der CSU. Der olle Graf Lambsdorff, der noch viel tiefer in einen Spendenskandal verstrickt war, als Schwarzgeld-Schäuble, war auch später wieder ein wichtiger Typ in der FDP und nicht automatisch für immer diskreditiert.

Immerhin traten früher Minister*innen noch zurück. Und wenn wir noch mal kurz nach Amerika schauen: Nixon hat sich definitiv immer politisch als ein ziemlich ruchloser Typ gezeigt, aber er ist nach den Watergate-Veröffentlichungen zurückgetreten. Trump hätte da sieben mehr Gründe für gehabt und will jetzt wiedergewählt werden. Da scheint es also eine Bewegung zu geben. Eine Bewegung weg von Verantwortung.

Ja, ich weiß, sieht man es vom Menschheitsverbrechen des Holocausts aus, ist das alles zu relativieren. Wer es von den Nazis und Mitläufern damals geschafft hat, in ein neues Leben danach zu flüchten, hat nie Verantwortung übernommen und es muss erschrecken, wie viele Massenmörder hinterher nie wirklich behelligt wurden und stattdessen geachtete Mitglieder der Gesellschaft. Die, die nicht fliehen konnten, brachten sich zum größten Teil selbst um. Wir wissen ja, es gibt keine mutigen Nazis, natürlich flohen sie feige in den Suizid.

Aber ich versuche über Zeiten der Demokratie zu sprechen und wenn ich, der ich gar nicht so langsam auf die Fünfzig zugehe, an frühere Zeiten denke, dann gehört da eben hin: Früher gab es noch Rücktritte, weil Verantwortung übernommen wurde. Heute gibt es das nicht mehr. Schaut nur auf Andreas Scheuer, der über zweihundert Millionen mit einer Maut verschleuderte, von der jedem Denkenden klar war, dass sie gegen europäisches Recht verstoßen und damit nicht durchführbar war. Dieser Typ, der willentlich fast eine Viertelmilliarde in die Wirtschaft rausgeworfen hat, meldet sich heute noch zu politischen Themen. Das ist doch unfassbar.

Aber es ist eben auch weit verbreitet. Und nicht nur direkt in der Politik. Letztlich ist es ja nicht nur im Großen so. Eine große Koalition aus CDU, SPD und FDP hat sehr hart dafür gearbeitet, dass die Klimaerhitzung nicht gebremst wurde. Jahrzehnte lang. Niemand hat dafür die Verantwortung übernommen. Sie wird sogar aktiv bestritten. Und dabei wäre das Eingestehen dieser Verantwortung ein so nötiger Schritt, damit wir endlich was tun könnten. Das war jetzt das Große.

Im Kleinen schaue ich raus in die hügelige Mittelgebirgslandschaft des Bergischen Landes und da, wo mein Leben lang das dunkle Grün von Fichten dominierte, ist nun Kahlschlagödnis. Ich kenne die offiziellen Zahlen nicht, aber ich vermute, dass locker neunzig Prozent der Nadelbaumparzellen in meiner Heimatgegend tot sind. Quasi alles, was es an Fichten gab, die älter als zwanzig Jahre waren. Ja, das ist halt eine Folge der Klimaerhitzung, und was hat das jetzt mit der Verantwortung im Kleinen zu tun?

Nun, wir alle wussten, oder hätten es zumindest wissen müssen, dass Fichtenplantagen hier ein Problem waren. Die Waldbauern, viele davon Landwirte, die gerade mit Treckern marodisieren, haben sich einen Scheiß darum gekümmert, dass man schon vor vierzig Jahren gesagt hat: Wir brauchen einen Waldumbau in Laub- und Mischwald! Die Fichten werden die Klimaerhitzung und die Umweltverschmutzung nicht überleben. Zwei trockene Jahre 2018 und 19 haben das dann erledigt. Der Borkenkäfer kam vorbei und fraß riesige Parzellen leer. Nadeln rieselten wie bei Weihnachtsbäumen an Knut und übrig blieben weißliche Skelette. Und was machten die Waldbauern? Sagten sie: Verdammt, die Wissenschaft hatte Recht und wir waren saudumm? Nein, sie jammerten um Zuschüsse und heulten dann rum, wenn die Gelder mit der Bedingung verbunden waren, nicht wieder Monokulturen anzupflanzen. Sie übernahmen die Verantwortung für ihr unverantwortliches Tun nicht und was mich dabei bis heute aufregt:

Es wurde behandelt, als wäre es eine ganz normale Naturkatastrophe gewesen. Als ob man da nichts gegen hätte tun können. What the actual fuck? Das radikale und kaum vorher vorstellbare Waldsterben der letzten Jahre war vorhergesagt, jeder hätte es wissen müssen und die Waldbauern sind sämtlich selbst daran schuld, dass ihnen die Bäume weggestorben sind und verdammt wenig Geld mit totem Holz verdient werden konnte.

Und genauso werden die Hochwasser der nächsten Jahre immer wieder behandelt werden. Die nicht nur bestimmt kommen werden, hört da mal den Klimaforschern zu, die auch noch in Deutschland auf zu betonierte und kanalisierte Bäche und Flüsse treffen. Schaut doch mal, wo in den Mittelgebirgen in den letzten Jahren am meisten gebaut wurde: an den Bächen. Unsere Industriegebiete liegen da, unsere Supermärkte sind da – und natürlich auch Strom- und Wasserversorgung. Ich wohne in einem Bergdorf – na gut, Hügeldorf – und ich werde hier auch bei einer Flut wie vor relativ kurzem an der Ahr keine nassen Füße bekommen, aber wie ich dann einkaufen soll, wie es mit Strom, Wasser und Internet aussieht? Ach du je … Und was werden dann die Politiker sagen, die sich seit Jahrzehnten weigern, auch nur über Renaturierungen nachzudenken und immer wieder Baugebiete zulassen, die gerade mal zwei Meter über dem Boden der Bachbetten liegen? Die werden sagen, dass das ja keiner wissen konnte und dass die Natur ganz brutal zugeschlagen habe, ein Jahrhunderthochwasser und wir müssen jetzt alle zusammenstehen. Ja, müssen wir dann, aber man könnte sooo viel verhindern. Aber dafür müsste man über Verantwortung nachdenken.

Ich bin für eine Renaissance der Verantwortung. Können wir das machen? Das bedeutet allerdings auch, dass wir uns unserer Verantwortung stellen müssen. Und das braucht Mut. Unserer Verantwortung. Dass der Faschismus nie wieder regieren darf, dass wir alle eine Mitschuld an Ertrinkenden im Mittelmeer und an der Klimaerhitzung haben. Aber vor allem möchte ich, dass die, die was ändern können, die die Macht jetzt inne haben, mal ihre Verantwortungen übernehmen – ja, auch für Brechmitteltote und erschossene Jugendliche -, dass endlich radikal regiert und das gut und genauso radikal kommuniziert wird. Das wäre auch eine Möglichkeit, mal aus den Millionen, die gerade Woche für Woche gegen Rechts auf den Straßen sind, zu lernen. Das braucht Mut.

Kingsbridge und kein Ende

Ein neuer Kingsbridge-Roman ist raus und ich bin natürlich zu den üblichen Verkaufsstationen und habe das nötige Kleingeld aufgebracht, damit auch „Die Waffen des Lichts“ mein wurde. Ich habe keinen einzigen Follett gelesen, der nicht zur Kingsbridge-Reihe gehört, weil mich moderne Thriller überhaupt nicht interessieren, aber von Kingsbridge kann ich nicht lassen – und das obwohl man durchaus sagen kann: Meine Güte, die sind schon wirklich formelhaft geschrieben. Und nein, Follett ist kein wirklich guter Erzähler. Aber von vorne:

„Die Säulen der Erde“ gehört zu den Romanen, die in den Neunzigern jeder gelesen hat, der noch wusste, wie man ein Buch liest. Ich hörte, es gäbe da viel zu wenige von. Mit dem „Medicus“ brachte dieser Roman die historischen Romane in den Mainstream. Erst relativ spät hat Follett dann die Reihe fortgesetzt. „Die Tore der Welt“ spielten nicht mehr im Hochmittelalter, sondern im Spätmittelalter. „Das Fundament der Ewigkeit“ führte dann in die frühe Neuzeit, „Der Morgen einer neuen Zeit“ als Prequel noch ein paar Jahrhunderte vor „Die Säulen der Erde“. Der neue Roman ist jetzt in die Zeit der französischen Revolution gesetzt.

Alle dieser Romane spiele in Kingsbridge, im Prequel wird die Gründung dieses Ortes beschrieben. Die Mittelalterromane haben alle mit Bauwerken zu tun. Das Prequel mit der Errichtung der Brücke des Königs, die dem Ort den Namen gibt, die anderen beiden mit der Kathedrale. Die neuzeitlichen Romane verlassen dann die Kathedrale und es geht viel um die Änderungen in der Tuchwirtschaft – so viel, wie diese Romane insgesamt mit Wolle und Garn zu tun haben, da kommt einem schon mal der eine oder andere Faden aus den Ohren.

Was alle diese Romane neben Kingsbridge gemein haben: Sie atmen gute Recherche. Wer schon ein bisschen was an historischen Romanen gelesen hat, weiß, wie sich manche Romane anfühlen. Bei Mac P. Lorne zum Beispiel, haben die beiden ersten Robin Hood-Romane – mehr habe ich nicht gelesen – so viele Anachronismen, dass ich mehrmals aus der Lektüre geschreckt wurde. Bei den vielen genauen Beschreibungen in den Kingsbridge-Romanen habe ich nie das Gefühl, dass etwas wirklich falsch ist. (Vielleicht habe ich aber auch nur nichts gefunden, ich will das nicht ausschließen) Manchmal macht Follett es sich einfach, speziell im Denken der Menschen. Aber die technischen Details, die fühlen sich immer großartig an. Allein die reichen für mich eigentlich auch, dass ich da immer mehr von lesen will.

Was Follett kaum hinbekommt? Packende Dialoge und wirklich spannende Szenen. Im speziellen beherrscht er „Show, don’t tell“ quasi nicht. Seine Dialoge haben keinen doppelten Boden, seine Beschreibungen keine zweite Bedeutung. Follett ist maximal unliterarisch.

Follett kommt absolut damit davon, dass er einen Menschen wie folgt charakterisiert: Er war klein für sein Alter, aber wendig und neugierig. Das steht dann da so. Er zeigt nie, dass es so ist, lässt ihn nicht dringend was tun, was seine Neugier zeigt, es sei denn, die Neugier wird plotrelevant – oft ist der Mensch aber auch nur so charakterisiert, weil später diese Neugier wichtig wird. Es wundert dann auch nicht, dass die Charaktere nicht immer konsistent sind. Menschen ändern sich – und wenn sie sich ändern, dann sagt Follett das auch: In den Jahren, seit dieses und jenes passiert war, hatte sich x verändert. Aus dem neugierigen Jungen war ein bedachter, umsichtiger junger Mann geworden.

Als jemand der selbst schreibt: Ich würde immer vor solchen Sätzen zurückschrecken und sie als zu trivial löschen. Bei Follett funktionieren sie aber. Weil man ihn eben nicht wegen der Charaktere liest – wobei die in den ersten Kingsbridge-Romanen noch deutlich interessanter waren, als das in den zunehmend formelhafteren neueren der Fall ist. Die Dramatik der Bücher kommt aus einer ziemlichen Kompromisslosigkeit, mit denen Follett seine Figuren behandelt und ihnen harte Schicksale auferlegt – im neuen Roman ist das ein bisschen milder -, und einer sehr klaren schwarz-weißen Zeichnung der Figurenkonstellation. Die Schurken werden quasi von Anfang an festgelegt und können sich nur selten zum Besseren entwickeln und die Helden bleiben eigentlich auch immer Helden. Dabei sind die Härten, die schon erwähnt sind, oft das, was uns die Helden sympathisch macht. Dazu noch einige tragische Probleme, weil falsch geheiratet wurde, weil Klosterbrüder oder -schwestern die Sünden des Fleisches kosten, weil ungerechte richter zu brutalen Strafen aufgelegt sind. Affären und verbotene Liebschaften – auch gerne genommen, weil die Klassenunterschiede zu Problemen führen – sind noch in jedem Buch Treibstoff gewesen.

Jeder Kingsbridge-Roman ist ein Wälzer. Jeder berichtet den größten Teil eines damaligen Menschenlebens über ganze Jahrzehnte. Wir schauen also in verschiedene Jahre, bleiben dort mal länger und mal kürzer und springen dann drei bis fünf Jahre weiter, um wieder eine wichtige Geschichte mit viel Drama, Baby, zu erleben.

Die Kingsbridge-Romane sind in den letzten Iterationen nicht besser geworden. Die Recherche ist aber immer noch gut, die Welten lebendig und fremdartig genug, um spannend zu sein. Follett wird kein guter Autor mehr, und dennoch rast man durch seine Bücher.

Wenn Parteien die Demokratie retten wollten …

Nach den Wahlergebnissen des 8. Oktobers ist deutlich, dass wir im ganzen Land ein Demokratieproblem haben. Die AfD in Hessen hat offen rechtsradikale Mitglieder, die in den Landtag einziehen. Allgemein müssen wir eigentlich nicht darüber reden, dass die AfD eine faschistische Partei ist. Die Freien Wähler in Bayern haben Stimmen dadurch gewonnen, dass deutlich geworden ist, dass deren Führer in seiner Jugend Hitlerverehrer und Holocaustfan war. Und sich bis heute nicht glaubwürdig davon distanziert hat. Kurz: Wir haben ein Nazi-Problem.

Die Gründe zu analysieren, ist müßig. Ein großer Teil liegt bei Medien, die aktiv – wie Springer oder RTL – die Themen der Faschisten groß machen und ihre Kampfbegriffe streuen, oder die immer noch Nazis in ihre Talkshows einladen und die rechten Kampfbegriffe nachplappern. Ein anderer großer Teil liegt bei den Parteien – nicht zuletzt bei denen, die in den letzten Wochen alle auf die herbeigeredete Geflüchtetenkrise angesprungen sind und wo man aus allen Parteien eine Menge Rassismus gehört hat. Ich glaube, die Parteien müssen sich neu erfinden. Also außer den antidemokratischen, die müssen bekämpft werden.

Vielleicht werde ich mit dem Alter langsam milde, aber ich glaube, es gibt durchaus in einem politischen System auch Gründe, warum es konservative Stimmen geben muss. Ich glaube, die Parteien haben durchaus ihre Nischen, in denen sie auch wichtig sind, oder zumindest sein können. Für alle demokratischen Parteien, zu denen ich trotz Merz, Söder und Kubicki mal die CxU und die FDP dazu zähle – wie gesagt, ich bin heute milde -, muss es auf jeden Fall eine gemeinsame zentrale Botschaft geben: Wir schützen die Demokratie, die unveräußerlichen Menschenrechte und das Grundgesetz. Und liebe Alle, das macht man nicht, in dem man Menschen im Mittelmeer ersaufen lässt. Die anderen Punkte findet ihr auch, wenn ihr euch das GG noch mal genauer durchlest. Ist eine spannende Lektüre, wird euch überraschen.

Tragischerweise habe ich bei den Grünen am wenigsten zu meckern. Die machen ihr Ding in ihrer Nische und es ist okay. Ja, ihnen sind die Menschenrechte hier und da wegen Pragmatismus egal und sie haben den Konstruktionsfehler, für meinen Geschmack definitiv zu neoliberal zu sein – FFF hat halt Recht, wenn sie System Change fordert und ohne wird man die Klimakatastrophe nicht beantworten können, aber ich schweife ab.

Die Linke hat die Chance eine linke Partei zu werden, wenn sie die Putinjünger und Nationallinken in Richtung der avisierten Wagenknecht-Partei los werden. So lange wird es da keinen Fortschritt geben, die Partei ist zu tief gespalten. Das bleibt also abzuwarten.

Die stolze alte Dame SPD ist tief gefallen und sie hat ihre treuesten Anhänger in den Altersschichten, die schon immer SPD gewählt haben und die neue Zeit eh nicht verstehen. Hier wäre ein Umdenken nötig, ein Besinnen auf die alten Werte der Arbeiterbewegung, die zum Beispiele (politische) Bildung für alle wollte. Die mehr Arbeitnehmerrechte und mehr Arbeitgeberpflichten wollte. Allein an diesen beiden Punkten angesetzt, könnte die SPD Dinge sagen, die für das ganze Land wichtig und richtig wären. Aber im Moment sagt sie halt lieber nichts. Ist auch ein Statement.

Die FDP, nun, wer braucht die FDP? In der momentanen Form sicher niemand. Eine Partei, die ihren eigenen Namen so sehr dadurch verrät, dass sie nicht Freiheit für alle, sondern Privilegien für einige fordert und durchsetzt, ist unbrauchbar. Eine Partei, in der es hauptsächlich um Freiheitsrechte geht, wäre hingegen eine tolle Idee. Stellen wir uns vor, es gäbe eine Partei, die die Freiheit von aller Diskriminierung lautstark verlangt und durchsetzt. Die gegen die Zwänge durch Geldherrschaft vorgeht und versucht, dass sich alle ein Leben nach dem eigenen Gusto ermöglichen können, und nicht nur die, die reich geerbt haben. Ja, das ist ein sehr weiter Weg. Eine Auflösung der FDP scheint allgemein eine bessere Idee.

Und die CxU? Wir haben da zwei Schlagworte. Einerseits sind die CDU und ihre regionale Ablegerpartei allgemein für einen Konservativismus zuständig, andererseits tragen sie das Christentum im Namen. Ein brauchbarer konservativer Ansatz wäre das Bewahren einer lebensfreundlichen Umwelt und meinetwegen auch ein Garant für Religionsfreiheit aller Religionen – mir persönlich ist wie schon Pispers sagte, die Freiheit von Religion deutlich lieber. Aber ich bin ja milde heute.

Aber Apropos Christentum. Es gibt da ja durchaus in der christlichen Lehre ein paar hilfreiche und positive Botschaften. Sollte es diesen Jesus wirklich gegeben haben, so sagen seine direkten Lehren ja spannende Sachen aus: Also ran an die Bibellektüre. Wer für die CxU irgendwo Politik machen will, liest erst mal die Bergpredigt und lernt die auswendig. Ist nicht so mein Ding, aber ich bin ja auch kein Christ. Aber das sind die Botschaften, die dieser Jesus aus Nazareth verbreitet hat. Macht danach mal Politik, müht euch redlich und wie gesagt, Grundgesetz, das sollte für alle Demokraten immer der Kern der Politik sein.

Friedrich Merz ist angetreten, er wollte die Zahlen der AfD halbieren. Seit er Vorsitzender der CDU ist, haben sie sich grob verdoppelt. Niemand mit Verstand glaubt, dass das keinen Zusammenhang hat. Vor allem anderen sollte die CDU/CSU, aber auch die FDP immer klar stellen, was sie von der AfD unterscheidet. Eine Politik, die auf Gemeinsamkeiten mit der AfD aufbaut, wird wieder dazu führen, dass Konservative den Nazis die Steigbügel halten.