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Breivik … oder: zieht eure Schlüsse!

Ekelerregend sei er, ein Tier, ein Wahnsinniger – das kann man lesen und hören, immer dann, wenn von Anders Breivik die Rede ist. Man solle ihm keine Bühne geben, und gerne auch immer wieder die Frage, ob dieser Mann zurechnungsfähig ist.

Ich bin weder Psychiater noch Psychologe, aber ich bin mir trotzdem verdammt sicher, dass er es ist. Jemand, der nicht zurechnungsfähig ist, wird entweder von starken Trieben oder ernsthaften Störungen zu dem getrieben, was er tut. Breivik nicht, der ist kalt, berechnend und logisch. Und wenn er ernsthafte Störungen hat, dann welche, die verdammt weit verbreitet sind.

Breivik hat Gedanken zu Ende gebracht, die überall vorgedacht werden. Jeder, der von Islamisierung redet, von Überfremdung, jeder, der es in Ordnung findet, dass die Gideons ihre Bibeln verteilen, aber Muslimen das Verteilen von Koranen verbieten will – alle die denken die Gedanken des Anders Breivik, nur eben nicht so weit, nicht zu Ende.

Erforscht man sich ehrlich selbst, dann wird jeder die eigenen Ressentiments erkennen. Es ist mir so gegangen und geht mir immer noch oft so. Was denke ich, wenn mir ein paar lautstarke arabische Jugendliche entgegen kommen? Obwohl ich doch auch mal ein Jugendlicher war, und auch schon mal lautstark. Was erwarte ich, wenn mir schwarze Menschen entgegen kommen, oder asiatische oder was auch immer? Was denke ich bei Homosexuellen? Oder Transsexuellen? Ich belüge mich nicht, ich habe manchmal seltsame Gefühle, Vorurteile – mein Verstand sagt, dass diese Ressentiments Unsinn sind, und ich versuche das auch immer im Vordergrund zu halten.

Wer sich aber diese durch Erziehung und Umwelt eingeimpften Vorurteile nicht bewusst macht, der wird gedanklich natürlich auch dadurch geprägt – und dann muss man diese Vorurteile auch in klare Gedanken fassen. Man muss sich diese Vorurteile irgendwie erhalten und begründen. Und so wachsen diese Ideen, die im Endeffekt zu solchen Begebenheiten wie Utøya führen. Ideen, die auf Begriffen basieren, die leider eben doch nicht überwunden sind. Begriffe wie Ehre, Reinheit und Stolz – wohlgemerkt nicht auf etwas, was man geschafft hat, oder zumindest ermöglicht, sondern auf Dinge, die rein zufällig sind. Viele dieser Begriffe sind religiös geprägt, andere stammen aus Zeiten, in denen sich Nationen fast gewohnheitsmäßig gegenseitig gemetzelt haben. Mit solchen Begriffen kann man ganz großartig klingende Gedankengebäude aufbauen, die nur leider immer darauf basieren, dass manchen Menschen besser sind als andere.

Vielleicht ist das sogar wahr, vielleicht sind sogar manche Menschen besser als andere, zum Beispiel, weil sie sinnvolle Arbeit machen, weil sie helfen und weil sie keinen Gedanken daran verschwenden, möglichst viel Geld zusammen zu kratzen, sondern selbst glücklich zu leben, und möglichst viele andere Menschen auch glücklich zu machen. Aber das kann ins Poesiealbum, auf jeden Fall ist niemand besser als andere, weil er weißer, männlicher oder weiblicher, christlicher oder muslimischer, noch nicht mal weil er atheistischer ist als andere, NIEMAND, KEINER. Ich hoffe, dass ist jetzt deutlich geworden. Und immer, wenn irgendwelche archaischen Gedanken im Hinterkopf etwas anderes behaupten, dann muss man aktiv im Kopf werden, diesen Gedanken dahin verweisen, wo er hin gehört, in den Restmüll – bloß nicht auf den Kompost, da kriegen die nur wieder neue Wurzeln …

Wie also kann man gegen die Breiviks dieser Welt vorgehen? Der Pessimist sagt natürlich: „Gar nicht!“ Doch es passt mir gerade gar nicht Pessimist zu sein – wenn dem so wäre, müsste ich mich heute noch umbringen. Nein, ich bin Optimist, ich träume von der perfekten Welt, und in dieser perfekten Welt, würden alle, ja ALLE, immer und immer wieder an sich arbeiten, nicht auf die kleinsten rassistischen, intoleranten Ideen anzuspringen. Jeder Erwachsene würde es sich zur Aufgabe machen, die nächste Generation von solchen Ideen fern zu halten, statt sie ihr einzuimpfen.

Man hört in diesem eigentlich wunderbaren Haufen, der sich Piratenpartei nennt, immer wieder Einzelstimmen, die sagen, es müssten auch Idioten zu Wort kommen, wir hätten schließlich Meinungsfreiheit, treten offen für sie ein. Ja, das tun wir, Meinungsfreiheit ist richtig wichtig – so lange die Meinungen nicht menschenverachtend sind, da gibt es dann eine Grenze, die überschritten wird. Und da müssen wir hart und konsequent gegen arbeiten. Ja, ich oute mich hier als Nazibeißer. Ich werde nicht die Klappe halten, wenn wie zuletzt eindeutig antisemitische Töne auf der Mailingliste gespuckt zu werden, ich will keinen Rassismus, in welcher Form auch immer. Ich werde da auch gerne mal deutlich, oft auch extrem boshaft, nutze ebenso gerne meine einigermaßen vorhandenen sprachlichen Mittel – und lade alle ein, ebenso zu handeln. Piraten sollten es  sich nicht leisten, sich von solchen Stimmen vom wirklich guten Weg abbringen zu lassen.

Da steckt ja auch der verwesende Hund, den man doch nicht begraben hat – es bringt nichts, in alle Richtungen zu zeigen, während man selbst sich nicht mit aller Konsequenz dran macht, die eigenen bescheuerten Gedanken auszumerzen. Und wenn man dann so einigermaßen mit sich selbst im Reinen ist, ohne in der internen Antiidiotenarbeit nachzulassen, dann muss man erst mal in der eigenen Partei schauen, im eigenen Umfeld, und dann hat man vielleicht auch irgendwann eine Chance, anderen Gruppen und anderen Parteien zu helfen, aus diesen doofen Gedanken herauszukommen. Wenn ich lese, man sollte Breivik keine Bühne geben, dann kann ich das verstehen, glaube aber, dass das kurzsichtig ist. Es geht da nämlich gar nicht drum. Lasst den Mann reden und nutzt die Situation, um die Menschenverachtung seiner Gedanken klar zu machen. Zieht eure Schlüsse, kämpft nicht gegen den Mann, kämpft gegen seine Ideen – nicht durch Verschweigen, sondern durch Gegenrede! Wir müssen einfach alle Fernsehverblödung abwerfen, selber denken und diskutieren, manchmal erregt, manchmal nüchtern, aber wir müssen reden, aufklären und diskutieren – so bekämpft man rechte Idioten, nicht mit Hilfe des Verfassungsschutzes.

Quick – Beeindruckend

Ja, ich bin beeindruckt, ich bin sogar fast begeistert – es ist in diesem Zusammenhang ein unpassendes Wort – aber ich was da in Norwegen passiert ist, nachdem ein christlich und rechts motivierter Kreuzritter mehr als siebzig Menschen ermordet hat, ist schon beeindruckend. Während man bei uns nach Vorratsdatenspeicherung und Klarnamenpflicht geschrien hat, sagen in Norwegen König und Ministerpräsident: Jetzt erst recht eine offene Gesellschaft. Wir ziehen jetzt erst recht eine Gesellschaft durch, bei der Breivik und all den anderen Anti-Islam-Nazis und Das-wird-man-ja-wohl-sagen-dürfen- Stammtischfaschisten nur schlecht werden kann, durch – wir sind so frei.
Ich find das großartig, beeindruckend und bewunderungswürdig. Es geht hier um Freiheit, und das sollten wir uns alle im Gedächtnis halten. Freiheit, die ja immer noch die Freiheit der Andersdenkenden und -glaubenden ist, wird bei uns Mangelware und die, die Freiheit bei uns im Namen tragen, sind es, die sie beerdigen wollen. Freiheit kann man nur mit Verständnis und einem klaren Eintreten für die wirklichen Werte erreichen – und das wird uns in Norwegen gerade vorgelebt. Ich bin beeindruckt.

Quick – Keine Inkarnation des Bösen

Nein, Anders B. Breivik ist keine Inkarnation des Bösen, er ist auch nicht wahnsinnig – es mag sein, dass er ein Problem mit Gefühlen hat und anz sicher auch einen gewissen Narzissmus, aber ich glaube kaum, dass diese leichten psychischen Störungen bei ihm ausgeprägter sind, als bei Millionen anderen.

Breivik ist von seinem Weltbild getrieben, er ist nicht der erste und wird sicherlich auch nicht der letzte sein, der aufgeputscht von rechten Brandstiftern – die er ja auch in seinem Manifest nennt – zu ähnlichen Schlüssen gelangt ist und gelangen wird. Wenn er geistig krank ist, dann hat er die gleiche geistige Krankheit wie jeder islamistische Terrorist, denn da ist das Weltbild nur um Nuancen verschieden – gut, statt fundamental-christlich sind die halt fundamental-islamisch – das tut sich nichts.

Auch bei uns kann ein solcher Anschlag täglich passieren, auch bei uns kann jemand die Broders und Sarrazins, die Bildzeitung irgendwann ernst nehmen, und die Rüttgers und Kochs, die mit ausländerfeindlichen Parolen Wahlkampf machten. Auch bei uns kann jemand den Papst und Kardinal Meißner plötzlich ernst nehmen – wem auch immer es zu danken sei, normalerweise macht das ja keiner. Und wenn dann junge Christen, frisch evangelikalisiert und in Besitz der absoluten Wahrheit, beginnen, das Wort Gottes mit Molotowcocktails und Baseballschlägern, mit Bomben und Gewehren zu predigen, kann das genauso bei uns in Deutschland passieren, wie in Norwegen. Und dann kann man noch so oft von Einzeltätern sprechen oder die Mär vom Amoklauf auspacken – so lange menschenfeindliche Weltbilder mit innewohnender Absolutwahrheit verharmlost werden, werden immer wieder Menschen unschuldig sterben.

Breivink ist keine Inkarnation des Bösen, wenn sich in ihm etwas inkarniert, dann der paneuropäische Rassismus. Aber Inkarnation heißt doch Wiedergeburt – nein, das ist Unsinn, der paneuropäische Rassismus muss nicht wiedergeboren werden, der war niemals weg. Der zeigte sein hässliches Gesicht in Rostock und Solingen, der marschierte auch in Afghanistan ein. Der Rassismus wird aus Angst geboren, und seit vielen Jahren werden wir über die Angst regiert. Zehn Jahre 9/11 bedeutet zehn Jahre Panikmache und medialer Islamhass – und was ist der anderes, als verbrämter Rassismus. Wer braucht denn da eine Inkarnation?

Utøya

Auf der einen Seite kann man ja eigentlich nichts sagen, denn was da vorgestern passiert ist,  ist eigentlich unbeschreiblich. Wie kann ein Mensch sich dazu entscheiden, eine solche geradezu perfekt geplante Massenmordaktion zu starten. Eine Bombe in der Hauptstadt hochgehen lassen, damit alle Rettungskräfte dort sind, wenn er eine Insel überfällt und dort annähernd 90 Menschen erschießt. Sich als Polizist verkleidet, alle zusammenruft und dann das Feuer eröffnet. Wie widerlich das ist, kann man kaum in Worte fassen, mir gelingt das heute auf jeden Fall nicht, vielleicht schafft das irgendwann jemand, aber ich finde im Moment überhaupt keine Worte.

Wie kommt es dazu? Welche Ideen treiben einen Menschen dahin: Nun, zwei Sachen werden bisher klar überliefert. Der Mann ist Christ und Nationalist. Und damit kommen zwei Sachen zusammen, die zum Beispiel schon Robert Ley angetrieben haben – für die geschichtlich Uninteressierten, Ley war Reichsarbeiterführer aus pietistisch geprägtem Bereich. Christ und Nationalist, und das sind wohl klar benennbare Auslöser. Als Nationalist und Rechtsextremist hat er einen Grund, warum es ausgerechnet die Teilnehmer eines sozialdemokratischen Ferienlagers sind, die man umbringen muss. Da wachsen freidenkende junge Leute heran, die natürlich gegen alles stehen, woran man als Nazi so glaubt. Als Christ hängt er einer der monotheistischen Religionen an, die immer auch beinhalten, dass es ja nur einen „richtigen“ Gott gibt, und das alle anderen Menschen, die nicht an diesen einen Gott glauben, minderwertig sind – das funktioniert in den anderen monotheistischen Religionen genauso gut, die afghanischen Selbstmordattentäter überprüfen diese Aussagen fast täglich. Nur wenn man glaubt, dass andere Leben minderwertig sind, dann kann man sie ohne größere Skrupel töten. So hat das in den KZs funktioniert, so kann man Flugzeuge in Hochhäuser jagen oder großflächig Städte und Dörfer bombardieren. Und wenn man geplant eine solche Tat begeht, wie dieser Herrenmensch am Freitag, dann muss man sich verdammt sicher sein, dass nur das eigene Weltbild stimmt.

Um das noch ein wenig deutlicher zu machen. In polytheistischen oder gar pantheistischen Religionen gäbe es eine solche Fixierung nicht, weil man ja weiß, dass jeder den einen Gott mehr und den anderen weniger anbetet, dass es keine eindeutige Wahrheit gibt, es viel eher verschiedene Wege gibt, dahin zu kommen, wo man hin will. In unserer Kultur wird auf Menschen herabgeschaut, die quasi Thor bitten, sie im Gewitter zu verschonen, Mars, ihnen Kraft zu geben, oder die große Mutter um Fruchtbarkeit – als wäre es in irgendeiner Weise vernünftiger an einen Gott zu glauben als an viele. Menschengemacht sind sie ja nun alle. Die monotheistischen Religionen haben einen Gott, der den Rest des Pantheons verdrängt hat, der einen Absolutheitsanspruch erhebt, und damit schon für jede Menge ethnischer Säuberungen in den letzten Jahrtausenden gesorgt hat. Der Mörder vom Freitag lebt offenbar mit diesem Absolutheitsgedanken im Hinterkopf, und nicht nur da. Christ und Nationalist. Kreuzzug und Pogrom.

Ich muss zugeben, ich finde die Berichterstattung der bisherigen Tage teilweise sehr suspekt – und zwar sprachlich. Wäre der Täter Nationalist und Moslem gewesen – was die gleiche explosive Mischung ist und zu den gleichen Taten hätte führen können – dann stünde das Wort „Terror“ in jeder Überschrift – wäre es ein Kommunist gewesen, dann natürlich auch. Nun ist es aber ein Rechtsextremist, ein Nationalist und Christ, von mir auch gerne einfach kurz Nazi genannt – ich finde, man kann es auch mit dem Differenzieren übertreiben. Ich zitier mal Wiki: „Der Terror (lat. terror „Schrecken“) ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen. Das Ausüben von Terror zur Erreichung politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Ziele nennt man Terrorismus.“ Nun Schrecken wurde verbreitet, das ist mal sicher, politisch und religiös motiviert stimmt auch, also sprecht gefälligst von TERROR! Das macht ihr sonst doch schon, wenn irgendwo in Berlin ein Mercedes brennt.

Auch anderes ist bedenklich. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass der Täter in seinem Facebook-Account stehen hatte, dass er World of Warcraft gut findet. Das also ist bemerkenswert? Wenn er es gespielt hat, mag ja sein, dann war er einer von über zehn Millionen, in Zahlen 10 000 000! Soll das irgendeinen Zusammenhang mit seiner Tat haben? Oh weh, er hat schon Tausende von virtuellen Gegnern umgebracht, für einen solchen Menschen ist es auch kein Problem, sich als Polizist zu verkleiden, eine große Menge Kinder und Jugendliche zusammenzurufen und dann zu erschießen, wer ihm vor die Flinte kommt – machen die ja alle so. Nationalismus und ein fundamentales Verständnis seiner Religion sind irgendwie näher liegende Erklärungen. Weil WoW wirklich nur sehr selten das Weltbild eines Menschen bestimmt, Religion und Ideologie aber immer.

Und noch eins! Amoklauf ist es, wenn jemand ausrastet, wenn jemand sowas macht, wie nun in Norwegen passiert, genau und perfide geplant, dann ist das kein Amoklauf liebe Printmedien, dann ist das ein Terroranschlag oder ein Massaker oder ein geplanter Massenmord, sucht euch was aus, aber wer noch einmal Amoklauf schreibt, dem wird jegliche Beherrschung der deutschen Sprache aberkannt – oder kurz, wer da weiter von Amoklauf schwafeln will, sollte endlich mal seine Fresse halten …. sorry, bin da irgendwie nicht so diplomatisch heute.

Vielleicht – ich weiß, es wird vermutlich nur ein Wunschtraum bleiben – wird dieser Terroranschlag von Utøya nicht zur weiteren Angstmache genutzt; aber die größer werdende Gefahr aus Reihen der nationalistischen und religiösen Rechten sollte endlich auch etwas mehr in die Aufmerksamkeit gerückt werden.