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Niemand wird in der Schule besser durch kein Theater

Ich bin einigermaßen frustriert. Ich inszeniere gerade Woyzeck, eine semiprofessionelle Produktion, und weil ich eigentlich ziemlich begeistert bin, was für Jugendliche ich gerade in der entsprechenden Gruppe habe, habe ich einige junge Menschen angefragt, ob sie nicht kleine Rollen übernehmen können. Weil es zehn Vorstellungen an vier Wochenenden sind, und weil ich weiß, dass alle in vielen Terminen gebunden sind, habe ich diese Rollen noch mal geteilt, lasse jeweils zwei die gleiche Rolle lernen, so kommt man dann einzeln nur auf fünf Aufführungen an zwei Wochenenden, die dann im Mai und Juni verteilt sind.
Nun haben mir inzwischen schon drei Jugendliche, beziehungsweise ihre Eltern abgesagt, eine frühzeitig, die anderen beiden in den letzten Tage, eine Woche bevor es probentechnisch spannend wird, und natürlich so kurzfristig, dass es ernsthaft schwierig wird, noch Ersatz zu finden. Wie bei vielen, kenne ich die Eltern alle auch persönlich, komme mit allen auch gut aus. Und so ist es natürlich umso frustrierender, wenn diese doch so netten und aufgeschlossenen Eltern ihren Sprösslingen die Teilnahme untersagen. Die Gründe: „Es wird zu viel! Zu viele Termine, die Schule leidet.“
Ich frag mich eigentlich immer, wenn Leute mit dem Theater aufhören und mir sagen, es ist zu viel, ich krieg das mit der Schule nicht mehr hin, was da falsch läuft. Es hat sich natürlich seit der Einführung von G8 an unseren Gymnasien stark verschärft. Und ich kann auch ein wenig verstehen, dass das ein Problem ist – das Gymnasium ist auf funktionieren gedrillt. Interessanterweise sagen Lehrer, Schüler und Eltern übereinstimmend, dass die Situation mit G8 nahezu unerträglich geworden ist, niemand nutzt dieses Wissen – es gibt Schulen, die einem das Abitur ermöglichen, und auch die Zeit, seinen Hobbies nachzugehen. Wie kommt man denn da auf die Idee, dass es das Gymnasium sein muss?
Jetzt mal ernsthaft. Wenn es irgendetwas bringen würde, dass die Jugendlichen eine solche Produktion nicht machen, ich hätte deutlich mehr Verständnis. Sie holen sich in einer solchen Produktion nicht nur neues Selbstvertrauen, spielen mit ein paar der besten Amateure und Semiprofis zusammen, die ich kenne, und die unsere Arbeit hervorgebracht hat. Werden auf eine Art mit Büchner konfrontiert, die kein Deutschleistungskurs bieten kann. Sie reifen auch als Persönlichkeiten, haben Spaß und spüren das Glück des Applauses – aber sie sind besser in der Schule, wenn sie das nicht machen? Wie sagt eine Freundin gerne: Wollt ihr mich flachsen?
Und selbst wenn es stimmte, wenn kurzfristig hier und da noch eine Note verbessert werden kann – sie werden merken, wie ihre Kollegen davon profitieren, sie werden spüren, was ihnen verloren geht. Es ist wirklich kaum zu verstehen. Wäre ich in der Situation gewesen, als ich 13 oder 14 war, ich hätte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dabei zu sein. Weil die Gelegenheit einfach faszinierend gut ist, weil es nicht die Produktion mit der zugegeben guten Gruppe ist, sondern mit guten Erwachsenen, mit Leuten, von denen man unglaublich viel lernen kann – solche Möglichkeiten gibt es alle zwei bis drei Jahre mal. Für mich ist es jetzt die Frage, wie ich damit umgehe, ob ich in Zukunft solche Gelegenheit überhaupt noch ermögliche, ob ich mir die Blöße gebe, oder nicht einfach auf Sicherheit gehe, die Leute aus den jüngeren Gruppen einfach im eigenen Saft schmoren lasse – ich muss das ja nicht tun, es ist ja nur Zusatz. Wahrscheinlich ja, wahrscheinlich laufe ich auch in Zukunft wieder ins offene Messer. Wahrscheinlich werde ich in ein paar Monaten oder einem Jahr wieder hier sitzen und meinen Frust herunter bloggen. Immer dann, wenn die hochfliegenden Pläne durch das Denken an das kleine Heute gegen die eine oder andere Wand gehauen werden.

Quick – Bildung im Streik

Wenn ich heute in die Zeitung schaue und von den Studenten- und Schülerprotesten lese, dann werde ich ja fast wehmütig – in meiner eigenen Studentenzeit gab es Ende der Neunziger schon mal einen Studentenstreik und ich war mittendrin.
Und das Schlimme ist, es ist seitdem nichts besser geworden, eher im Gegenteil. Heute bin ich immer noch mit Bildung beschäftigt, und auch wenn ich als Nachhilfelehrer von den eklatanten Schwächen der Schulen lebe, stellt sich bei mir kein gutes Gefühl ein. Dass das G8 – zumindest so, wie es hier in NRW verwirklicht wird – ziemlich krank ist, schlecht geplant, schlecht durchgeführt – habe ich schon mal in diesem Blog beschrieben. Dass die Bachelor- und Master-Studiengänge die Uni auch nicht gerade bereichern, ist absolut nachvollziehbar. Wenn ich im Moment von Bekannten aus der Lehrerausbildung höre, graust es mir.
Die Bildung ist am Abgrund. Und die Politik schiebt immer noch ein Stückchen weiter. Es will keiner mehr Lehrer werden – weil die Arbeit unzumutbar ist, weil Klassenstärken über 24 Kindern schon nicht mehr gehen und meistens 30 unterrichtet werden müssen. Weil Elternhäuser nicht mehr erziehen, weil Schulen schlecht ausgestattet und teilweise abbruchreif sind. Weil Bürokratie bestimmt, weil immer mehr vorgeschrieben wird, weil Bildung kleingeschrieben und Funktionieren groß. Humanistische Bildung – nun machen sie sich aber mal nicht lächerlich!
Sechs Jahre Grundschule, ein einiges Schulsystem (hier in NRW gibt es nebeneinander Gesamtschule und Haupt/Real/Gym – und beide Systeme gehen gerade kaputt – mehr Lehrer in die Klassen, an jede Schule einen Psychologen, der Probleme anpackt – und bitte auch wieder wirklich fördern und fordern – denn das Niveau ist mit dem Zentralabitur keinen Deut gestiegen, eher ist das Gegenteil der Fall – das alles wären Beiträge zur Verbesserung. Lebenswichtige Fächer sind nicht nur Mathe und Englisch – Kunst und Musik sind es auch, und auch Sport – aber da wird immer weiter gekürzt.
Bildung ist unserer Gesellschaft nichts wert, zumindest dem Staat nicht. Viele Eltern geben viel Geld für Unterrichte aus – und die, die dieses Geld nicht haben? Die fallen runter, auf das die Schicht der ängstlichen Bildleser, Pocher-Fans und sonstigen ungebildeten Leichtregierbaren immer größer wird.
Wenn heute Studenten und Schüler Privatbanken besetzen und hier und da auch mal was kaputt machen, ist das sicherlich nicht die feine englische Art – aber wenn mit den Mitteln der Demokratie nichts mehr machbar ist, weil man in Parteien unter 30 nichts ist, und unter 40 immer noch die Deppenarbeiten machen darf, weil sich die wohlhabenden Politiker doch nicht für die einfache Schulpolitik interessieren, weil da einfach keiner die Augen aufmacht und sich lieber in wohlfeile Parolen vom Turbo-Abi flüchtet, und in Exellenz-Unis und so einen elitären Blödsinn – ja, es ist völlig in Ordnung, wenn es all das gibt, aber wichtig wäre erstmal was anderes.

G8 – oder wie aus Staaten ein Abitur wurde

Wenn ich G8 höre, denke ich immer noch an eine Konferenz von Regierungschefs … allerdings muss ich mich umgewöhnen und eher an eine Lehrerkonferenz denken. G8 ist einer der Namen, die das Abitur nach zwölf Jahren hat. Ich schau mir als Nachhilfelehrer ganz aus der Nähe an, wie das so vor sich geht. Prinzipiell denke ich, dass es kein Nachteil ist, wenn man ein Jahr früher aus der Schule kommt, allerdings glaube ich auch, dass man das mit bedacht hätte planen müssen, zumindest bei uns in NRW ist das nicht der Fall gewesen – das ging sehr schnell und sorgt für Hochbetrieb, besonders bei uns Nachhilfelehrern.

Wie ist das Abitur nach zwölf Jahren gestaltet? Ganz einfach: man macht mehr Unterricht und versucht den mehr oder weniger gleichen Stoff nun in acht Jahre Gymnasium zu packen. Es hätte einige interessante Varianten gegeben, eine solche Sache durchzuziehen, aber diese scheint mir definitiv die Dümmste zu sein.

Man hätte die Schule früher anfangen lassen können. Da ein gewisser Teil der Schüler eh in der Grundschule erzogen werden muss, um zumindest ein Mindestmaß an Schulfähigkeit herzustellen, wäre es durchaus sinnvoll, damit früher anzufangen. Man hätte auch endlich den Schritt machen können, der Grundschule ihre Schüler für sechs bis sieben Jahre zu überlassen. Da in der Grundschule meistens ein modernerer Unterricht durchgeführt wird, und Schüler einfach so gemeinsam unterrichtet werden, ohne über eine Differenzierung in verschiedene Qualitätsklassen nachzudenken, wäre da genug Zeit den Schrifterwerb und die Grundrechenarten samt Bruchrechnung und negativer Zahlen zu lernen – Grundfertigkeiten, die eigentlich alle haben sollten, die aber vielen Absolventen der Hauptschulen und fast noch mehr den G-Kurslern der Gesamtschulen abgehen. Auf die verlängerte Grundschule hätte man dann eine verkürzte Highschool-Phase setzen können – das würde funktionieren, da bin ich ziemlich sicher, einfach, weil die Trennung der Schüler in der fünften Klasse zu früh kommt, nämlich noch in der Kindheit. Der Einschnitt ist so heftig, dass in der gesamten fünften Klasse eher wenig Stoff geschafft werden kann. Mit Verschiebung der Trennung würde man mindestens ein halbes Jahr, eher mehr, einsparen.

Man hätte auch ein flexibleres System schaffen können. Trimester, deren Stoff jedes Mal gleich ist, die ohne größere Probleme übersprungen werden können und die auch genauso problemlos wiederholt werden können. Da kann man auch den Stoff komprimieren und die Zeit so auslegen, dass jemand, der immer mitkommt, nach elf Jahren schon das Abitur hat – jemand, der ein anderes Tempo anschlägt, hier und da mal was wiederholt, dann eben 13 braucht.

Man hätte bei gleicher Stundenzahl, weniger Schülern und einem sinnvoll leicht ausgedünnten Stoff ohne Probleme ein Abitur nach zwölf Jahren hinbekommen – wenn man damit auch die Qualität des Unterrichts erhöht hätte – da hapert es nämlich immer noch ganz heftig. Moderne Formen des Unterrichts, wie sie schon seit mindestens zwanzig Jahren auf den Unis gelehrt werden, haben bisher nur den Weg in die Grundschule gefunden, danach geht es mit langweiligem Frontalunterricht weiter. Problembezogener Matheunterricht? – Nö. – Experimentelles selber forschen in den Naturwissenschaften? – Nö. – Schüler zu und durch Projekte motivieren? – Wie soll man das denn benoten? Nö. – Und dann streicht man noch Kunst- und Musikunterricht auf ein Minimum zusammen, damit eine ganzheitliche Förderung des Gehirns vollständig unterbunden wird – ja, so schafft man sich noch größere Bildungsprobleme. Und in den Klassen sitzen immer noch dreißig Schüler, wird immer noch gemobbt, wissen die Lehrer immer noch nicht, was da eigentlich abgeht – Klassen mit mehr als zwanzig Kindern sind unsinnig, da fallen immer zehn Prozent hinten runter. Oder man macht es, wie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, da saßen gerne mal vierzig aus verschiedenen Stufen in einem Raum – die hatten aber auch noch Angst vor dem Rohrstock, ohne den geht so was nun mal nicht. Die besten Lehrer können vielleicht dreißig Schüler mit ihrer natürlichen Autorität bändigen – davon haben wir aber nicht viele.

Mit so schlechtem Unterricht ist das Abitur nach zwölf Jahren ein Horror. Fünftklässler haben schon so lange Unterricht, dass es kaum noch für Hobbys reicht – und schließlich müssen sie ja noch Zeit für die Nachhilfe einplanen – die ist schon lange keine Hilfe in der Not mehr, sondern regelmäßiger Zusatzunterricht, der sich oft über Jahre hinzieht. Wer sich die Nachhilfe leisten kann, der schafft die Schule, wer nicht, der schaut halt in die Röhre … und wird abgehängt. Die Frustrationen kommen immer früher – Eltern, die sich zwar zu wenig mit ihren Kindern beschäftigen, aber trotzdem ihren Ehrgeiz in deren Schullaufbahn projizieren, bauen dann auch gerne noch so viel Druck auf, dass ihre Kinder nur scheitern können. Schüler in der Grundschule haben schon Angst vor der Schule, und in der Pubertät gehen sie einfach nicht mehr hin, oder sind ständig krank, oder einfach nur unglücklich. Durch dieses Abitur nach zwölf Jahren, wie es jetzt funktionieren soll, wird die Schulzeit immer stressiger und unglücklicher. Der Turm neigt sich weiter …