Archiv für den Monat Dezember 2012

Der Traum von einer diskriminierungsfreien Welt

Ich schreibe gerade an einem anderen Projekt, dafür ist der folgende Text entstanden, den ich aus Gründen mal vorab veröffentlichen möchte:

 

Heute schon diskriminiert? Nein, dann habt Ihr einen guten Tag. Denn wir alle machen es ständig. Ich für meinen Teil habe da ein jahrelanges Lernen hinter mir, und ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mich immer noch häufig bei rassistischen und sexistischen und sonst was für Gedanken erwische – und eigentlich war ich schon vor dem Lernprozess ein Mensch, dem solche Gedanken zuwider waren, wenn sie öffentlich geäußert wurden. Ich mochte schon als Kind keine Judenwitze, über die mit den Äthiopiern konnte ich in den Achtzigern nicht so richtig lachen und Blondinenwitze verfingen sich mit ihrer Frauenfeindlichkeit nicht bei mir.

Trotzdem habe ich erst so richtig die Augen aufbekommen, als ich „Deutschland Schwarz Weiss“ von Noah Sow las. Anhand des Rassismus kriegt man da schmerzhaft und eindeutig um die Ohren gehauen, was man für tradierte beschissene Muster im Kopf hat. Sollte man auch tun.

Ich habe mich selbst überprüft, habe mich gefragt, ob ich diese Gedanken habe, die, dass People of Colour (PoC) automatisch dümmer sind, aber schnell laufen und gut singen können, die Gedanken, dass ich Angst haben muss, wenn jemand orientalisch wirkt, die, dass Asiaten weniger individuell als Europäer sind. Und ich habe gemerkt, klar habe ich solche Vorurteile. Meistens nur irgendwo tief verkramt, aber manchmal kommen solche Gedanken, und ich habe keine Ahnung, warum ich diese Atavismen im Kopf habe. Aber wir sind alle Kinder unserer Erziehung, und ich bin in den 70ern geboren, als „ausländische Mitbürger“ noch „Kanaken“ waren. Und wie oft sind diese Rassismen in der Sportberichterstattung wiederholt worden, dass nur Schwarze schnell laufen können? Oder höher mit einem Basketball springen?

Wir sind umgeben von Rassismus. Wir sind auch umgeben von Homophobie – die auch noch euphemisiert benannt ist, haben doch Homosexuelle deutlich mehr Grund zur Angst vor Homophoben las Homophobe vor den berüchtigten Schwulenkommandos, die Heteros nachts durch die Stadt hetzen – ihr bekommt die Ironie mit? Danke, das ist auch besser so!

Das gleiche Problem besteht übrigens im Bereich der Islamophobie, die nichts anderes als eine Form des Rassismus ist, nichts anderes als sinnloser Hass. Und wie gleichen sich die Texte und Argumente? Nehmt einen antiislamischen Text von heute, setzt für „Islamisierung“ „Verjudung“ ein und ihr wisst, welch Geistes Kind die Autoren sind. Und natürlich gibt es auch hier keine Phobie – ha, das klingt ja sogar wie eine kleine psychische Störung. Hass ist aber keine psychische Störung, Hass ist bewusstes Tun.

Wir sind natürlich, und das in einem Maße, wie es uns vermutlich nur äußerst selten klar wird, von Sexismus umgeben. Patriarchale Strukturen haben sich nicht nur seit Jahrtausenden in unserer Kultur eingegraben, sie sind auch bei aller Arbeit seit ´68 heute nicht zurückgedrängt. Ja es ist in den letzten dreißig Jahren mit Sicherheit wieder schlimmer geworden. Deutschlands erfolgreichster Comedian lebt vom Sexismus, es wird in Kinderklamotten gegendert, dass es weh tut und insgesamt rollensortiert, wie zuletzt in den frühen Sechzigern. Und die Frauen wundern sich immer noch, dass sie weniger verdienen – Sexismus ist System und die Frauen lassen es zu, ja, sie bestätigen das System, weil ihre Form des Wehrens wohl auch die falsche ist. Aber ich werde hier nicht die Feminismusdebatte aufmachen, ich kann sie nicht lösen. Es ist auch nicht so einfach, ich bin biologisch männlich, nehme diese Rolle auch an und ich bin auch noch heterosexuell. Das heißt, ich bin auch gar nicht wirklich berechtigt, bei der Gleichberechtigung mitzureden, ich muss erst mal dafür sorgen, dass ich meine eigenen Sexismen in den Griff bekomme.

Immerhin weiß ich schon von ziemlich früher Jugend an, was es heißt, diskriminiert zu werden. Ich gehöre zu einer gar nicht so geringen Zahl an Menschen, die zum Abschuss allgemein frei gegeben sind. Ich bin dick. Und noch nicht mal ein bisschen, sondern schon ziemlich. So habe ich auf der einen Seite das Weißer-Mann-Privileg, das natürlich gewaltig ist, auf der anderen Seite weiß ich aber eben auch, was es heißt, selbst diskriminiert zu werden.

Und das Diskriminieren von Übergewichtigen ist Volkssport, es ist ja auch unglaublich praktisch. Wir haben hier einen ganz ähnlichen Mechanismus wie bei der sexualfeindlichen Religion. Diese erzählt Menschen in ihrer leidenschaftlichsten Zeit, sie sollten bis zur Ehe warten und auch ja nicht Hand an sich legen. Das führt automatisch zu Verstößen gegen die auferlegten Regeln und somit zu Machtgewinn bei den Erwachsenen, speziell natürlich bei den Geistlichen, auf jeden Fall bei allen, die im gesellschaftlichen und religiösen Status höher stehen. Bei Übergewichtigen – schon das Wort ist scheiße, ich bin nicht übergewichtig, ich habe genauso viel Gewicht, wie ich nun mal habe, da ist nichts „über“, das ist alles ich! – gibt es jede Menge Vorschriften, die von der Gesellschaft auferlegt bekommt, und die man mit seinem Gewicht bricht. Man hat also gefälligst immer ein schlechtes Gewissen zu haben – es sei denn, man macht sich selbst zum Vollclown, wie Herr Calmund das macht. Dann darf man sogar einen Halbpromistatus besitzen – oder man hat genug Geld und Macht, dann braucht man sich natürlich auch nicht rechtfertigen. Aber die Sache ist ja die, dass es in unserer Gesellschaft mit dem vielen billigen schlechten Essen sehr leicht ist, fett zu werden. Und es ist dann eben nicht so leicht, das zurückzudrehen, und anstatt dass die Gesellschaft sagt, hey, ist okay, sei wie du bist, du darfst, passiert das Gegenteil. Du wirst schief angeschaut, nein, du wirst definitiv diskriminiert – ich vermute, für Frauen ist es noch eine Stufe schlimmer als für Männer, allerdings kommen die wahrscheinlich dann immer noch besser an Sex – aber so sehr ins Detail wollte ich gar nicht und vielleicht war das auch gerade nur ein sexistisches Vorurteil, denn was weiß ich über den Sex von dicken Frauen?

Bist du fett, kriegst du einen Job nur, wenn du deutlich besser als der Rest bist, man traut dir keine Belastbarkeit zu, man traut dir keinen schnellen Geist zu. Dafür traut man dir allerdings alles Mögliche andere zu, aber das würde jetzt auch wieder zu weit führen. Nur so viel: Es ist nicht von Vorteil, wenn du mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten willst, wenn du fett, männlich und ledig bist. Richtig doofe Kombo.

Mir ist übrigens durch so einige Sachen klar geworden, dass es durchaus nicht so ist, dass Diskriminierung nur in eine Richtung geht. Ja, als weißer Mann habe ich unglaubliche Privilegien, Männerbünde fort he win. Aber in der Öffentlichkeit muss jeder Vater überlegen, ob er seine zehnjährige Tochter noch an der Hand halten darf – meine Nichte ist zwölf und manchmal anhänglich, ich bin mir nicht sicher, ob ich in der Öffentlichkeit meine Hand nicht zurückziehen würde.

Ja, an dieser Stelle gibt es Diskriminierung gegen Männer. Ich weiß, an viel mehr Stellen werden Frauen diskriminiert, aber das macht dieses Problem nicht weg.

Eines noch vor dem großen Fazit: Auch wenn es wehtut, man muss gerade in diesem Bereich ein verdammtes Mal auf Entschuldigungen verzichten – noch besser ist es, Entschuldigungen überhaupt zu meiden! – und sich nicht versuchen herauszureden, wenn man beim Diskriminieren „erwischt“ wurde. Jeder, der sich damit mal ernsthaft beschäftigt hat, weiß, dass niemand vor dem Diskriminieren gefeit ist. Also bitte nicht ausflüchten. Keine Wortklaubereien, wieso dieses oder jenes gar nicht so gemeint war. Kein: „Mein Kumpel ist schwul, also kann ich doch nicht schwulenfeindlich sein!“ Wenn ihr diskriminiert, dann ist das nicht schön, aber wir tun das alle. Wenn wir die Kritik einfach annehmen und damit nicht weiter machen, dann hilft das. Wenn wir abstreiten, ausflüchten und Entschuldigungen suchen, dann machen wir mit der Diskriminierung weiter.

Ich träume von einer Welt ohne Diskriminierung und ich finde, das ist eine Utopie, die man nicht hoch genug halten kann. Und auch wenn es sicherlich für immer eine Utopie bleiben muss, und auch wenn es zum Beispiel genauso eine Utopie ist, irgendeinen Teil der Gesellschaft diskriminierungsfrei zu gestalten, so sollte es doch für jeden ein Ziel sein, so etwas zu erreichen.

Funktionieren kann das nur, wenn man sich immer wieder klar macht, dass all die Kategorien, die Schubladen, in die man Menschen einsortiert, Unsinn sind. Egal wie Mensch ist, wie  Mensch aussieht, woher die Eltern  stammen, welches Geschlecht Mensch biologisch erfüllt und welches es für sich wählt, egal wie ihre Körperform ist und welche Körperteile er hat oder nicht hat. Das ändert doch nichts daran, dass Mensch Mensch ist. Und als solches sind Menschen schlicht und einfach gleich zu behandeln. Es darf keine Ausschlusskriterien geben, weil die alle heißen, dass es eine Seite gibt, die Zugang hat, und die denen, die keinen Zugang haben, ein Leid tun, wie ich es gerade mal von Goethe klauen möchte. Da wird Schaden angerichtet. Und da helfen keine guten Tipps, da hilft kein Aushalten, der Schaden wird mit jeder Diskriminierung angerichtet. Und alles, was man tun kann, ist versuchen, selbst so wenig wie möglich zum Täter zu werden.