Quick – … da wird kein Grass drüber wachsen …

Ja, das „Gedicht“ von Günter Grass ist schon ein paar Tage alt, aber es hilft ja gar nichts, man muss sich seine Gedanken dazu machen. Das liegt vor allem an den Diskussionen, die sich an die Veröffentlichung des Textes angeschlossen haben. Aber kurz zu den Zeilen des Herrn Grass, die ich nicht Gedicht nennen möchte, weil sie keinerlei künstlerischen Ansatz haben – es ist nicht kein Gedicht, weil es sich nicht reimt, wie in paar Vollpfosten gerne mal anführen, es ist kein Gedicht, weil es in Prosa gehaltene politische Aussage ist – man kann einem Nobelpreisträger vielleicht eine solche Deklarierung durchgehen lassen, ich will aber nicht. Nur weil der Mann steinalt ist, braucht er nicht mit so einem Quatsch anfangen.

Das gilt auch für den Inhalt. Vieles davon ist ja völlig richtig, aber in die falsche Richtung zugespitzt. Ja, dass Israel ein U-Boot geliefert wird, ist falsch. In eine solche Region darf man keine Waffen liefern. Mal ganz ernsthaft, ich sehe eigentlich überhaupt keinen Sinn darin, solche Waffen in alle Welt zu verkaufen. Die Regierung, die solche Exporte genehmigt, ist für alles Leid, das mit den Waffen angerichtet wird, mitverantwortlich. Dass das Wort „Erstschlag“ wieder ausgesprochen wird, finde ich erschreckend. Ich bin ein Kind des Kalten Krieges, mit den Bedrohungen dieser Zeit aufgewachsen, und ich habe einfach keinen Bock, dass irgendwer auf der Welt wieder solche Gedanken hegt.

Aber lieber Herr Grass, wie kann man diese wirklich blöden Erstschlagsideen mit dem Holocaust vergleichen? Wie kann man das Regime des Irans einfach mal verharmlosen, und dabei auch noch vorschicken, dass man ja eh mit dem Antisemitismusvorwurf gescholten werden wird. Das sind ja gleich drei Gründe, warum man sehr ernsthaft desselben verdächtigt werden darf. Clever ist anders, und wenn ich so etwas wie ein politisches Gewissen sein will, meine Stimme als Intellektueller erhebe, wie kann ich dann so dumm handeln?

Schaut man sich die Gesamtsituation an, den Grundkonflikt Israel vs. Iran, dann merken wir ganz schnell, wo es auf der Welt an Aufklärung ganz dringend fehlt. Da hilft es keinen Deut, dass die einen sagen, wir stammen von hier, wir haben ein historisches Recht auf diesen Staat, und die anderen sagen, ihr habt da Jahrhunderte nicht gelebt, die Gründung eures Staates war gemein und wir finden euch eh doof. Was für eine kranke Scheiße!

Die Situation ist, wie sie ist, Israel ist ein existierender Staat, und das ist auch in Ordnung so. Die, die an der Gründung beteiligt waren, sind heute tot oder noch älter als unser Literaturgreis Grass, Ungeschehen macht man da gar nichts mehr, und natürlich hat Israel ein Existenzrecht, es existiert doch, oder?

Andererseits hat Israel in seiner nun auch gar nicht mehr so kurzen Geschichte fast ständig Kriege geführt. Da stimmt auch etwas überhaupt nicht. Rechtsextreme Siedler, orthodoxe Spinner – einen religiösen Rassismus gibt es durchaus nicht nur auf der Seite des Irans, der ist in Israel genauso verbreitet – und nicht nur da, sondern auch in dem Land, dass Israel sicherster Bündnispartner ist, also in der USA. Und wenn uns das noch so archaisch und hirnverbrannt vorkommt, religiöse Brandstifter aller drei monotheistischen Religionen heizen das Feuer im nahen Osten seit Jahen immer stärker an.

Ich habe verdammt wenig Hoffnung, dass die Vernunft, die sich in den diversen demokratischen Gegenbewegungen artikuliert, egal ob Occupy, Piraten oder Anonymus, in den Nahen Osten ernsthaft einziehen wird, bevor die ganze Ecke hochgeht.

Wir müssen uns hier über einen gemeinsamen Feind klar werden. Es geht um die religiöse Rechte, um die Rassisten dieser Welt. Es geht um die Sektierer und Prediger, die im Namen ihres ironischerweise auch noch gleichen Gottes den Hass herunterbeten und den Kindern dieser Welt einpflanzen.

Diese Feinde gibt es im Nahen Osten, keine Frage, und es ist keineswegs antisemitisch, darauf hinzuweisen, dass es in Israel viel zu viele davon gibt. Es gibt sie auch bei uns. Die Typen, die in christlichen Sekten oder bei kreuz.net ihren Hass herauskübeln, aber auch die einfachen Rassisten bei pi, die Sarrazins und Broders, die jedes islamophobe Vorurteil salonfähig machen wollen.

Es gibt die Islamisten, die ihren Kindern den Schwimmunterricht verbieten und sie möglichst früh indoktrinieren wollen. In deren Familien alles verpönt ist, was für uns normal ist, die sich mit den Christen an der Hand halten könnten, wenn sie Frauen unterdrücken, ihre Kinder mit Moralvorstellungen über Sex unterwerfen und demütigen.

Wir haben nun dieses Internet, diesen wunderbaren Ort, an dem sich jeder Aufklärung holen kann, wenn er nicht auf die dunkle Seite abdriftet, auf die Seiten der Verdummer, der Rassisten und Diskriminierer. Wir müssen alle dran arbeiten, gegen religiösen Wahn und Rassismus vorzugehen, wir müssen hier bei uns anfangen und alle Welt ermutigen, genauso zu handeln – dann sind Erstschläge und Auslöschungen vielleicht irgendwann Vokabular aus dem Mittelalter.

Über Hollarius

Ich bin in den Siebzigern geboren, halte mich voll Hybris für einen Künstler und meine auch noch, alle müssten lesen, was ich so meine ...

Veröffentlicht am April 10, 2012 in Politik und mit , , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 7 Kommentare.

  1. Eines wird hier übersehen: Die religiösen Spinner, die Fanatiker, die Rassisten und
    Sektierer, die es überall gibt, sind nicht die Initiatoren! Sie werden nur wie Waffen benutzt von Regierungen und Multinationalen Konzernen, die nur einem einzigen Gott dienen. dem Gott Mammon. Die Gier nach Macht leitet diese Initiatoren und sie sind nicht so leicht zu identifizieren wie die armen Idioten, die sich benutzen lassen ohne es zu merken!

    • Sie sind nicht so leicht zu identifizieren, man kann es nicht beweisen – auch wenn es manchmal so offensichtlich erscheint – aber letztlich, gäbe es nicht so viele unaufgeklärte Idioten, würden die angenommenen Initiatoren ja auch dumm da stehen. 😉

  2. Ich gebe Dir 99%ig Recht, aber – und spätestens seit Game of Thrones wissen wir, dass erst jetzt der relevante Teil kommt – einen Punkt kann ich so nicht unkommentiert stehen lassen.

    Du zählst als einen der drei Gründe, ernsthaft des Antisemitismus verdächtigt zu werden die Erwartung desselben auf. Das ist leider genau die unreflektierte Kultur, die Dich selbst widerlegt. Sehr viele kritische Aussagen Israel gegenüber werden leider sofort mit dem Antisemitismus-(Totschlag-)Vorwurf belegt, der, wenn einmal im Raum, kaum noch wieder herauszubekommen ist.

    Da hilft sicher auch nicht, diesen Vorwurf schon im Vorfeld anzukündigen, im Gegenteil. Trotzdem ist allein die geäußerte Erwartung, einem werde als Reaktion Antisemitismus vorgeworfen noch kein Zeichen für Antisemitismus. Denn es stimmt, dass der Vorwurf oft zu schnell kommt und eine sachliche Diskussion über problematische Themen erschwert.

    Am Rande: Ich hätte als Beispiel für Indoktrination nicht Muslime erwähnt, die möglicherweise aus Überzeugung ihre Kinder nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen. Man kann darüber diskutieren, ob das noch unter Religionsfreiheit zählt oder nicht. (Ich finde schon, aber das ist sicher streitbar.)

    Aber es gibt deutlich naheliegendere Beispiele, denen ich mich selbst durchaus schuldig mache: In konfessionellen Kindergärten wird durchaus indoktriniert. Die Indoktrination fällt vielleicht weniger auf, weil sie unserer Kultur angepasst ist, aber die ‚unumstößlichen Wahrheiten'(tm) der katholischen Kirche werden in katholischen Kindergärten nun mal genau so unreflektiert vermittelt.

    Danke für Deinen Blogbeitrag, hat mir summa summarum sehr gut gefallen.

    • Ja, doch, dieses Vorwegnehmen des Vorwurfes ist ein relativ untrügliches Zeichen. Es ist die schickere Form von „Man wird ja wohl noch sagen dürfen!“ oder „Ich bin ja kein Rassist, aber…“.
      Zu der Indoktrination, ich hatte gehofft, dass klar wird, dass es die auf beiden Seiten bei uns hier im Lande gibt. Die werfe ich beileibe nicht nur fanatischen Moslems vor, die gibt es auf christlicher Seite auch mehr als genug – und durchaus wie du schreibst, auch staatlich gefördert. Religionsfreiheit ist ein zweischneidiges Schwert.
      Jeder soll natürlich das Recht haben, seiner Religion nachzugehen. Unter dem Deckmantel der Religion Kinder zu separieren, diesen mit der Hölle Angst zu machen und ähnliche Scherze sehe ich sehr kritisch. Kinder aus irgendwelchen Unterrichten zu nehmen, hat überhaupt nichts mit Religionsfreiheit zu tun.

      • Jetzt interessiert mich aber Deine Begründung, warum Kinder aus dem Unterricht zu nehmen, weil dort fast zwangsläufig zu viel Körper gezeigt wird, schlecht ist.

        Wie ziehst Du die Grenze? Wo genau, Du scheinst das klar benennen zu können, hört die Religionsfreiheit da warum auf?

      • Weil das überhaupt nichts mit der Ausübung von Religion zu tun hat. Nichts mit Gebet oder Ritus. Warum sollte man dass denn in irgendeiner Weise anerkennen?
        Da hört für mich spätestens die Religionsfreiheit auf. Wenn jemand beten will, kann er das tun, wenn jemand seltsame Riten vollführen will, kann er das, so er gegen keine Gesetze verstößt tun. Aber Religionsfreiheit kann nicht heißen, dass Regeln verabsolutiert werden. Und selbst wenn es ein Ritus wäre, wir haben Schulpflicht, es verstößt also gegen ein Gesetz …
        Aber mal nicht wortklauberisch, dafür die Gegenfrage: Warum sollte es jemandem erlaubt sein, Nicht Schwimm- oder Sportunterricht mitzumachen, nur weil er einer speziellen Religion angehört. Oder nicht aufgeklärt zu werden, oder nichts über die Evolution zu lernen? Bei sowas muss man auch die Kinder vor den Eltern schützen … wir schweifen übrigens ab .. 😉

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